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Fortress Europe: Die Reform des Asylrechtskompromisses, ein historischer Angriff auf die Menschenrechte und die Suche nach europäischen Werten

Es ist bittere Gewissheit: Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) wurde bei dem EU-Innenminister:innenrat beschlossen. Die Änderungen werden nach Verhandlungen mit dem Euopäischen Parlament die drastischste Verschärfung des Asylrechts in den letzten 30 Jahren darstellen und die Situation von Schutzsuchenden massiv verschlechtern, nämlich durch Schnell-Asylverfahren an den europäischen Grenzen. „Dies wird mit der Einrichtung von Internierungslagern einhergehen. Flankierend dazu sollen auf nationaler Ebene Ausreisezentren geschaffen, Abschiebehaft ausgeweitet, die Liste sicherer Herkunftsstaaten verlängert und die Möglichkeiten des polizeilichen Zutritts zu Unterkünften zur Durchführung von Abschiebungen ausgebaut werden“, schreiben Rechtsanwält:innen und Jurist:innen in ihrem offenen Brief an die Bundesregierung.

Ein Blick auf die gemeinsamen europäischen Werte – Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Minderheitenrechte – lässt fragen: Wie geht die GEAS-Reform mit einer formalisierten Missachtung grundlegender Menschenrechte an Europas Grenzen, an denen schutzsuchende Menschen – sogar Familien – Grenzverfahren unter Haftbedingungen drohen, damit denn konform?

Formalisierung von Menschenrechtsverstößen

Länder wie Österreich und die Niederlande haben während der Verhandlungen sogar noch Verschärfungen dieser Neuerungen gefordert, während Deutschland eher eine Abschwächung der Reformen forderte, bezogen zum Beispiel auf Kinder und Familien. Dass Deutschland mit einer Forderung nach Abschwächung quasi allein dasteht und stand, ist bereits ein europäisches Armutszeugnis.

Und dennoch: Ein Konsens zwischen den Mitgliedsstaaten ist erzielt, der Asylrechtskompromiss wird – nach Verhandlungen mit dem EU-Parlament – so weit verschärft, dass sich die europäischen Werte Menschenwürde, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Minderheitenrechte – kaum mehr finden lassen. Während Innenministerin Nancy Faeser das zynischerweise als „historischen Erfolg“ feiert, sind NGOs, Menschenrechtler:innen Jurist:innen und auch Gruppen wie die Basis der Grünen Partei fassungslos.

Sigrun Krause, Kooperationsanwältin und Mitbegründerin von jumen: Menschenrechte in Deutschland, erklärt: „Schon heute werden an Europas Grenzen vielfach die Grund- und Menschenrechte schutzsuchender Menschen missachtet. Wir kennen alle die Bilder von Moria oder von den Haftzentren in Griechenland. Wir wissen von den Push backs. Mit der Reform werden diese Bilder und Szenarien in Gesetzesform gegossen und formalisiert.“

„Mit der Reform werden diese Bilder und Szenarien in Gesetzesform gegossen und formalisiert.“

– Sigrun Krause, Jumen e.v.

Krause erklärt weiter, weshalb die Neuerungen gegen geltendes Recht verstoßen: „Die geplanten Grenzverfahren sind keine Asylverfahren. Der Zugang zum Recht wird dadurch stark beschnitten. Es besteht die Gefahr, dass Menschen in Drittländer abgeschoben werden, ohne vorherige Überprüfung durch ein Gericht. Das widerspricht der Charta der Grundrechte und dem EuGH Urteil im Fall Gnandi. Zudem ist eine Inhaftierung von Kindern bis 18 Jahre nicht mit der UN-Kinderrechtskonvention vereinbar.“

Krause gibt auch einen Ausblick auf ihre und die Arbeit der vielen Anwält:innen und Organisationen, die sich für Geflüchtete und ihren Schutz einsetzen: „Wir verschieben damit das Leid und die Probleme an die Außengrenzen Europas, wo es für uns nicht mehr sichtbar ist. Die Arbeit von Rechtsanwält*innen oder Berater*innen, die sich für die Grund- und Menschenrechte von Geflüchteten einsetzen, wird erheblich erschwert.“

Der Asylrechtskomprimiss von 1993

Bereits der Asylrechtskompromiss von 1993 war aufgrund seiner Härte nicht unumstritten. Er bestand aus mehreren Maßnahmen, von denen die bedeutendste Änderung die Einführung des sogenannten „sicheren Drittstaatenprinzips“ war. Dieses Prinzip besagt, dass Asylsuchende, die aus einem als sicher geltenden Drittstaat nach Deutschland einreisen, hier in der Regel kein Asyl erhalten. Dadurch sollte verhindert werden, dass Asylsuchende über als solche deklarierten sicheren Nachbarländer nach Deutschland kommen, obwohl sie bereits dort Schutz beantragen könnten. Durch die Einführung des sicheren Drittstaatsprinzips wurden und werden Menschen, die dringend Schutz benötigen, von einer fairen Prüfung ihrer Asylanträge ausgeschlossen.

Eine weitere wichtige Änderung war die Einschränkung des Grundrechts auf Asyl, das es vor dem Kompromiss uneingeschränkt in Deutschland gab. Mit der Reform wurde dieses Grundrecht jedoch eingeschränkt und es wurden bestimmte Ausnahmen und Hürden für die Anerkennung von Asyl geschaffen.

Europäische Werte und Menschenrechte

Während die Einigung von 1993 von Expert:innen, Menschenrechtler:innen und NGOs bereits scharf kritisiert wurde, übertrifft das neue GEAS-Abkommen sie bei weitem. Seit 1993 sind die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nach rechts gerückt. Noch vor wenigen Jahren wäre eine solche menschenrechtsverachtende Neuerung wie der gestrige GEAS-Beschluss in diesen Ausmaßen nicht denkbar gewesen.

Nur, weil Länder bestehendes Recht nicht einhalten, sollte dies nicht zur Grundlage einer Verschärfung werden. Im Gegenteil: Mit den vielen Menschen, die jedes Jahr im Mittelmeer ertrinken, den nicht auszuhaltenden Zuständen auf Lesbos und co. müssen wir uns fragen: Wie steht es um unsere europäischen Werte? Wie können – und müssen – wie sie verteidigen?

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