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Politik, Medien, Verantwortung: Die gefährliche Debatte zu Flucht, Migration, Asylpolitik

Das neue Spiegel-Cover ist schwer zu ertragen. “Schaffen wir das noch mal?”, lautet die maximal geschmacklose und verkürzende Frage. Der Untertitel: “Der deutsche Streit über die Asylpolitik”. Es liest sich wie von BILD, AfD und co. Aber gehört dabei tatsächlich zu einem der größten deutschen Leitmedien. Einem häufig konservativen zwar, aber dennoch einem respektablen Blatt.

Der Kontext

Die Zeitung mit besagtem Cover erschien vergangenes Wochenende. Und zwar in einer gesellschaftlichen Stimmung, in der seit dem Sommer (und eigentlich noch länger) eine Diskussion zu dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS), (also der drastischsten Verschärfung des Asylrechts in den letzten 30 Jahren und einem historischen Angriff auf die Menschenrechte) und zur Krisenverordnung, stattfindet. Gleichzeitig rücken nicht viele Länder der Europäischen Union nach rechts, sie überschlagen sich, sie rennen. Die zunehmende Zustimmung vieler Deutschen zur AfD und zu rechtsextremen Positionen eingeschlossen. (Irgendwo in dieser Gemengelage findet man auch die unrühmliche Entscheidung der CDU in Thüringen, einen Antrag einzubringen mit dem Wissen, dass die AfD zustimmen würde.)

Migration, Flucht, Asyl. Alles wird in einen Topf geworfen, alle Menschen, die zu uns kommen, werden als gefährlich und problematisch für unser Land geframed. Wie ganz nebenbei werden Obergrenzen von Menschen, die zu uns kommen, gefordert, viele Parteien haben „Bauchschmerzen“, aber tragen menschenfeindliche Positionen dennoch mit. Kurzum: Die Normalisierung des Rechten, des Rechtsextremen schreitet weiter voran – und an der Migrations- und Asylpolitik wird von allen Seiten ein Exempel statuiert, während diese Debatte uns gleichzeitig wie unter einem Brennglas zeigt, was passiert, wenn wir die Menschenrechte und menschliche Positionen weiter aufgeben.

Die Medien und die Frage der Asylpolitik

Und jetzt das – zurecht von vielen kritisierte – Spiegel-Cover, das an das der neunziger Jahre erinnert mit der ebenso wenig rühmlichen Das-Boot-ist-voll-Metapher. Wieso also das neue Cover? Haben die Redakteur:innen – heute wie damals – wirklich gedacht, dass diese populistische Headline, dieses Bild eine gute Idee ist? Oder haben sie den populistischen und rechten Inhalt einfach billigend in Kauf genommen als Mittel zum Zweck für mehr Klicks? Oder ist die gesamte Debatte derzeit wirklich so weit nach rechts abgedriftet, dass es normal ist zu fragen, ob wir es wirklich aushalten, wenn Schutzsuchende zu uns kommen.

Wobei man an dieser Stelle sagen muss, dass obwohl es einen erwiesenen Rechtsruck gibt, die gesamte Debatte zur Asylpolitik eigentlich nie wirklich menschlich geprägt war. Die Themen Flucht, Migration, Asyl werden schon immer instrumentalisiert. Vor fünf Jahren hat Zeit online gefragt: „Oder soll man es lassen?“ – da ging es um ein Für und Wider der Seenotrettung. Ein vollständiger Titel wäre wohl „Oder soll man es lassen, Menschen vor dem Ertrinken zu retten?“ gewesen: Eine Position, die über unterlassene Hilfeleistung diskutiert und dabei kein Problem sieht, ist eigentlich völlig indiskutabel. Und wurde dennoch hingenommen. Auf eine Entschuldigung der Redaktion folgte dann nämlich: Nichts. Der Artikel ist noch immer online.

Dass wir uns von diesem rassistischen Framing nicht wirklich weiterentwickelt haben – seit dem Ansturm-der-Armen-Das-Boot-ist-voll-Cover des Spiegels 1991 und dem Zeit Online Seenotrettung-oder-soll-man-es-lassen-pro-und-contra-Artikel von 2018, ist erschreckend, aber nicht verwunderlich. Denn das Grundproblem heißt Rassismus und ist derzeit gepaart mit einem medialen Betrieb, der immer schneller arbeiten muss, immer mehr Aufmerksamkeit generieren muss. Rassismus verfängt.

Die Politik

Das zeigt sich nicht nur in der medialen Landschaft, sondern auch in der Politik. Von der CDU und FDP haben wir ehrlicherweise nicht viel erwartet. Dass sie nun AfD-Narrative übernehmen, ist eine traurige aber logische Konsequenz aus ihrer (rechts-)konservativen Haltung, die ein Friedrich Merz nur immer weiter in Richtung Populismus rückt. Oder besser: Gerückt hat. Sie sind längst angekommen. Auch seine allerneusten Äußerungen zu zahnmedizinischen Behandlungen lassen keinen Zweifel mehr daran, dass die CDU schlicht nicht wählbar ist, wenn einem Menschenrechte am Herzen liegen.

Auch die SPD, die Realo-Grünen und der Wagenknecht-Flügel der Linken stimmen in weiten Teilen entweder zu, dass GEAS eine gute Idee ist, dass man eine neue Politik an den Grenzen braucht, oder dass „[wir] unserer humanitären Verpflichtung gegenüber Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, […] doch viel besser nachkommen [können], wenn wir diejenigen zügig zurückführen, die keine Fluchtgründe vorweisen können. Denjenigen, die bei uns eine wirtschaftliche Perspektive suchen, werden wir mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz andere Zuwanderungswege eröffnen. Das ist für mich moderne linke Migrationspolitik.“ (Interview in der Zeit mit Saskia Esken).

Wenn das linke Migrations- und Asylpolitik ist, was ist dann rechts?

Es ist eine schwierige Lage für die demokratischen Parteien, keine Frage. Denn obwohl die Antwort ohne Zweifel natürlich immer lauten muss: Natürlich nehmen wir alle Menschen zu uns, die aufgrund von Klimawandel, Katastrophen, Krieg und co. (vieles davon von uns in dem Globalen Norden (mit-)verursacht, auch für diese Anmerkung muss Raum sein) zu uns kommen. So ist doch leider der gesellschaftliche Rahmen zu komplex dafür: Der Populismus nimmt zu, Kommunen klagen und die demokratischen Parteien müssen sich ihre Mehrheiten sichern. Schließlich sind wir mancherorts im Wahlkampf.

Die Hilflosigkeit

Neben tiefsitzendem Rassismus ist eine schreiende Hilflosigkeit ein weiteres Problem. Keine der etablierten demokratischen Parteien schafft es tatsächlich, der AfD wirkmächtig etwas entgegenzusetzen. Die CDU sagt, die Regierung sei Schuld am Zuwachs der AfD-Wähler:innen. Die Ampel-Koalition sagt, beim Populismus der Christdemokraten und Friedrich Merz liege die Schuld. Wahrscheinlich liegt die Wahrheit dazwischen. Denn dadurch, dass alle Parteien die Anti-Asylpolitik-Positionen der AfD zumindest teilweise übernehmen, machen sie sie nur sagbarer, normalisieren sie. Und geben ihr implizit recht. Und von einem Normalisieren der AfD-Positionen profitiert – Überraschung – die AfD am allermeisten. Das ist die Situation, in der wir stecken.

Die Medien berichten über Zunahmen der AfD und normalisieren gleichzeitig ihre Narrative, laden ihre rechtsextremen Politiker:innen übermäßig häufig in Talkshows ein. Politiker:innen der demokratischen Parteien trauen sich aus Wahlkampf-Stimmenfang-Hilflosigkeit nicht, fundamental andere Positionen anzubieten als das, was gerade auf der rechten Seite funktioniert. Sie nennen es Kompromisse und Realpolitik.

Die Verantwortung in Debatten der Asylpolitik

Wie kommt man da raus? Es ist die Verantwortung der Medien und der demokratischen politischen Parteien, echte Lösungen anzubieten und nicht weiter dem Weg nach rechts nachzulaufen. Es braucht einen konstruktiven Umgang mit einem Thema, dessen Debatte schon lange zu weit nach rechts abgedriftet und massiv gefährlich ist.

Eigentlich sollte es reichen zu sagen, zu schreien: es geht um Menschenleben! Wie vermessen können wir in einem der reichsten Länder der Welt sein zu sagen: Das schaffen wir nicht. Natürlich schaffen wir das. Wie können wir Menschen sterben lassen, deren einziger Fehler es war, in einem falschen Land geboren zu sein? Was ist denn überhaupt los mit euch allen? Niemand nimmt eure Jobs, euren Wohlstand oder eure scheiß Zahnarzttermine weg. (Und wenn es nicht genügend Termine in Praxen gibt, dann liegt es überhaupt nur daran, dass unser Gesundheitssystem, genau wie unser Bildungs- und Sozialsystem, kaputtgespart wird!)

Aber in unserer kapitalistischen Nutzgesellschaft es scheint nicht zu reichen, einfach an Menschlichkeit zu appellieren. So traurig das ist. Deshalb also ein weiterer Vorschlag an all jene, die in Politik und Medien arbeiten: Traut euch, euch neuer Framings zu bedienen. Und das natürlich, ohne mögliche Herausforderungen – beispielsweise für die Kommunen – außen vor zu lassen. Die Kommunen spielen eine wichtige Rolle. Deshalb braucht es hier Gelder, Fortbildungen. Die Forderungen sollten sein, die Kommunen zu unterstützen, nicht, die Grenzen dicht zu machen.

Ihr alle beklagt euch über den Fachkräftemangel? In einer alternden Gesellschaft wie Deutschland braucht es laut der Bundesagentur für Arbeit 400.000 Menschen im Jahr (!), die nach Deutschland kommen wollen, um unser System überhaupt am Laufen zu halten (Arbeits- und Fachkräfte für Deutschland – gemeinsam Chancen nutzen, S.9). Übrigens auch für die Zahnarztpraxen, Herr Merz. Wenn wieder welche schließen, weil nicht genug Personal gefunden wird, dann liegt das daran, dass es nicht genug Menschen gibt, statt zu viele.

Weshalb werden Zahlen und Möglichkeiten wie diese nicht medial und politisch immer und immer wieder hervorgebracht? Es gibt ein Menschenrecht auf Asyl. Es ist unsere Verantwortung, dass es umgesetzt wird. Nicht das Gegenteil.

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