Bei der IAA 2023 – „The world’s largest and most important mobility event“, also einer riesigen Autowerbeveranstaltung – setzte sich ein Demonstrant auf ein Autodach. Er gehört zur Gruppe Sand im Getriebe und wollte auf die Notwendigkeit der Mobilitätswende aufmersksam machen. Die Gruppe hält diese Art von Protest für notwendig: „Das Jahr 2023 war das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Im selben Jahr fand in München die größte Automesse der Welt statt – die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA). Während diese Welt nicht mehr aufhören will zu brennen, haben VW & Co. ihren Beitrag zur Klimakatastrophe auf den schönsten Plätzen Münchens ausgestellt – 2,5 Tonnen Stahl, Lithium und Kobalt. Gleichzeitig sieht die Politik fast tatenlos zu, wie der Verkehrssektor die Klimaziele krachend reißt.“
Das Verfahren gegen Sand im Getriebe
Für Aktivist Cosimo folgte ein strafrechtliches Verfahren, da durch seine Protestaktion kleine Dellen auf dem Dach entstanden seien. Vergangenen Dienstag hat in München seine Verhandlung stattgefunden. Das Ergebnis: 750 Euro muss Cosimo bezahlen. Die von VW geforderte Summe lag mit 4000 Euro bei deutlich mehr. Und war „sehr offensichtlich konstruiert“, erklärt Luise Weil, Pressesprecherin von Sand im Getriebe. Denn die Rechnung von VW hatte fünf verschiedene Punkte, die „dann zusammen zufällig bei glatt 4000 Euro herauskamen“. Am Ende, sagt Luise, war „der Ausgang der Verhandlung nicht sonderlich überraschend“.
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Positionen
Wir haben mit ihr gesprochen, um nicht nur das Urteil einzuordnen, sondern auch den medialen und gesellschaftlichen Umgang mit der IAA und Mobilität. Um hinzuschauen, auch wenn die kurzlebige mediale Aufmerksamkeit nachlässt, obwohl die Klimakrise es nicht tut. Die Berichterstattung zu dem Protest gegen die IAA sei ohnehin nicht immer einfach gewesen, erklärt Luise. 2019 zum Beispiel „lasen sich die Beiträge, als ob alle die Pressemitteilungen der IAA abgeschrieben hätten“. Mittlerweile würden die meisten Medien bei Interviews mit Vertreter:innen der Autobranche aber zumindest eine klimabezogene Frage stellen.
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Statt großer Zeitungen waren am Dienstag bei der Kundgebung vor der Verhandlung aber nur andere Aktivist:innen vor Ort. „Es war ein großes Zeichen der Solidarität“, meint Luise, „dass vom antikapitalistischen Klimatreffen, XR, der Letzten Generation und anderen Gruppen Leute da waren“. Nun überlegen sie, gemeinsam die 750 Euro zu zahlen. Zusammen haben sie aber bereits gezeigt, dass Aktive gegen eine anonyme und unangreifbare Gegenseite wie VW nicht allein sind: Sie lassen sich nicht einschüchtern und werden nicht aufhören, gemeinsam für eine Mobilitätswende einzustehen.
Die Mobilitätswende
Wie wenig sich da tut, stößt bei ihnen allen auf Unverständnis. Schließlich ist lange bekannt, dass ein Festhalten an Verbrennern nicht nur Klima und Umwelt zerstört, sondern auch dem Erhalt von Arbeitsplätzen und der Wirtschaft schaden wird. Letzteres ist ja bekanntlich das Lieblingsargument der liberal-konservativen. Sogar die IG Metall benennt das mangelnde Vorankommen bei der Mobilitätswende in einer aktuellen Studie als Problem. So werden insbesondere in der Automobil- und Zulieferindustrie in den kommenden 10 bis 15 Jahren voraussichtlich zwischen 100.000 und 450.000 Arbeitsplätze in Bereichen verlorengehen, die unmittelbar mit der Verbrennungstechnologie zusammenhängen, heißt es dort. Luise von Sand im Getriebe zitiert diese Zahlen um zu zeigen: Eine Mobilitätswende ist in unser aller Interesse. Es lohnt sich nicht, Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit gegeneinander auszuspielen. Mittelfristig werden die klimaschädlichen Wirtschaftszweige und Industrien eben einfach nicht weiter wie bisher bestehen können.
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Und natürlich sieht sie hier auch Volker Wissings verfehlte Politik als ein Teil des Problems. Luise erklärt dazu: „Wir sehen den systemimmanenten Wachstumszwang, nach dem die Konzerne in dem Fall, aber auch die Politik im Moment agieren muss, als Ursache des Problems. Nach einer eher FDP-Definition von Wirtschaftlichkeit, geht diese dann für uns explizit nicht zusammen mit Klimaschutz. Wenn damit industrielle Produktion – und industrielle Arbeitsplätze – gemeint ist, dann schon.“
Was für Sand im Getriebe vom Tag bleibt
Cosimos Fazit des Tages von Unverständnis geprägt: „Das Ziel des Strafverfahrens heute war der Versuch, eine Abschreckungswirkung gegen unsere legitimen Proteste zu erzeugen. Anstatt […] die Autoindustrie für die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen zur Verantwortung zu ziehen, werden diejenigen von der Stadt München und dem Freistaat angegriffen, die sich für eine sozial-ökologische Mobilität für alle einsetzen.“
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Denn obwohl das Gericht erstmal der Argumentation der Verteidigung von Sand im Getriebe folgte, „dass die Autowerbung durch die IAA angesichts der Klimakrise einen rechtfertigenden Notstand für die Legitimation der Handlung des Angeklagten darstellt“, stimmt es dennoch nicht mit der Wahl des Protests überein. Und stuft ihn als rechtswidrig ein – deshalb auch die Verurteilung zur Strafzahlung.
Nur: Wie sollen Aktivist:innen stattdessen protestieren, wenn sich dennoch nichts ändert? Obwohl das Gericht das Paradoxon von Autowerbung in Zeiten des Klimanotstands zwar anerkennt, aber die Autoindustrie dennoch nicht belangt? Im Gegenteil sogar: „Trotz der großen Proteste hat sich die Stadt München auch 2025 wieder dazu entschieden, die IAA in München stattfinden zu lassen. Dabei wird der Automesse auch wieder große Flächen in der Innenstadt zur Verfügung gestellt“, schreibt Sand im Getriebe.
Sie werden also weitermachen.
Und wir weiter begleiten.
Mehr zu sozial- und ökologischer Mobilitätswende gibt es zum Beispiel hier.
Fotos: Nico Knoll
naja, aber auch Elektromobilität ist keineswegs CO2-neutral:
„Ich sehe nicht, wie wir es schaffen sollen, bis 2030 aus der Kohle auszusteigen, zumal der Strombedarf durch Elektromobilität (…) deutlich steigt.“
(Clemens Fuest, ifo Institut — Quelle: https://www.augsburger-allgemeine.de/wirtschaft/interview-ifo-chef-ich-sehe-nicht-wie-wir-es-schaffen-sollen-bis-2030-aus-der-kohle-auszusteigen-id65598401.html)
Die Tage hat übrigens das Fraunhofer-ISI vorgerechnet, welche Kapazitäten im Fahrrad-Verkehr schlummern: Immerhin 34 % der Emissionen im Personenverkehr könnten eingespart werden, würden mehr Drahteselinnen und -esel genutzt (!)
Quelle: https://www.zeit.de/mobilitaet/2024-05/deutschland-koennte-radverkehr-verdreifachen
.. und Fraunhofer steht nun wirklich nicht im Verdacht, Vorreiter einer fiesen Öko-Diktatur zu sein.