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Wie funktioniert der Kampf gegen Gewalt an Frauen und für Menschenrechte juristisch, JUMEN?

  • CW: häusliche Gewalt, Gewalt gegen Frauen, Vergewaltigung, Femizide, Mord (an Kindern)

Als die umstrittene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) bei dem EU-Innenminister:innenrat beschlossen wurde, haben wir JUMEN – Juristische Menschenrechtsarbeit in Deutschland gebeten, die Reform für uns einzuordnen. Aber JUMEN arbeitet nicht nur zu Asylthemen und -recht, sondern geht juristisch auch andere große Probleme im Bereich Menschenrechte im Land an, die so omnipräsent sind, dass man sich oft machtlos fühlt. Eines davon ist Gewalt gegen Frauen. „Letztlich ist Jura ein Machtinstrument, ein sehr mächtiges Handwerkszeug, um in unterschiedlichen Bereichen etwas zu verändern“, sagt Kaja Deller. Sie selbst promoviert zum Schutz von Opferzeug:innen in Sexualstrafverfahren und der Anwendbarkeit der Istanbul-Konvention. Seit mehreren Jahren arbeitet sie bei JUMEN zu den gleichen Themen, insbesondere im Projekt „Gewalt gegen Frauen – Genderstereotype in der Justiz“.

Kaja hat uns erklärt, wie menschenrechtspolitische Arbeit juristisch funktioniert und wie ihre Strategie, Frauen vor Gewalt und ihrer Fortführung vor Gericht schützen könnte.

Liebe Kaja, was sind die Menschenrechte und wie kann man – könnt ihr – sie juristisch verteidigen?

Menschenrechte sind etwas sehr Tolles, deswegen arbeiten wir auch dazu. Aber sie bringen eben auch Probleme mit sich. Denn man muss sich die Frage stellen: Wer macht eigentlich Menschenrechte und für wen gelten Menschenrechte? Mein ursprüngliches Bild vor Beginn des Jurastudiums von Menschenrechten hat sich im Vergleich zu jetzt also ziemlich geändert.

Spannend, wie meinst du das?

Menschenrechte sind ja häufig im Kontext von Völkerrecht ein Thema. Da gibt es die Konventionen der Vereinten Nationen, zum Beispiel die Kinderrechtskonvention. Oder im Bereich Gewalt gegen Frauen arbeiten wir mit der Istanbul-Konvention. Es gibt die Behindertenrechtskonvention, die Genfer Flüchtlingskonvention. Oder es gibt auch die EMRK, die Europäische Menschenrechtskonvention und so weiter. Diese Konventionen gelten auf dem gleichen Rang wie ein Bundesgesetz in Deutschland.

Aber wenn man sich die Praxis anschaut, also die nationalen Gerichte, dann merkt man auch relativ schnell, dass da Völkerrecht trotz der Geltung dieser Konventionen nicht so ein großes Thema ist. Sondern in diesem Bereich ist man schnell in einer Blase, in der man zwar hochjuristisch diskutieren und sich unterhalten kann, dabei aber sehr häufig sehr abstrakt bleibt. Es ist schwierig, dieses abstrakt wirkende Recht in der Praxis zur Geltung kommen zu lassen. Menschenreche haben das Potential, wahnsinnig wirkmächtig sein. Aber diese Wirkmacht ist einfach noch nicht so sehr in unseren nationalen Gerichten angekommen. Es braucht eine extrem starke Argumentation, damit sie ankommt.

Ist das nur wegen des Abstraktionsgrades so?

Auch. Es könnte aber auch daran liegen, dass Völkerrecht zwar Teil der juristischen Ausbildung, es dort aber nicht so zentral ist. Auch an Fortbildungen in dem Bereich mangelt es – aber genau deshalb betreiben wir diese Arbeit und machen auf die Themen aufmerksam. Die Konventionen sind unsere Argumentationsgrundlagen, um auf die Themen aufmerksam zu machen. Denn auch in Deutschland passieren viele Verletzungen der Menschenrechte. Insbesondere, wenn wir uns anschauen, was hier mit dem Aufenthaltsrecht passiert, aber auch, was in den Gerichten im Bereich Gewalt gegen Frauen oder im Bereich der Geburtenregistrierung – wo Kinder von geflüchteten Menschen teilweise keine Geburtsurkunde ausgestellt bekommen, ein weiteres unserer Themen.

Es gibt hier wahnsinnig viele marginalisierte Gruppen und vulnerable Personen. Während Deutschland sehr gut darin ist, nach außen zu schauen, ist es eben auch wichtig, auf die Ungerechtigkeiten im eigenen Land zu blicken, sie zu benennen und zu verändern. Und diese Möglichkeit haben wir hier mit unserem juristischen Handwerkszeug.

Wie können wir uns eure Arbeit zu den Themen vorstellen?

Wir haben mit zwei Gründungsthemen angefangen: Das war einmal Familiennachzug, als er für subsidiär Schutzberechtigte ausgesetzt wurde. Der Familiennachzug gilt zwar wieder, aber eben mit praktisch sehr wenig Möglichkeiten des Familiennachzugs. Da ist zwar viel passiert, da war und ist viel im Wandel, aber das ist immer noch keine Situation, bei der wir sagen würden, sie entspricht dem Recht auf Familie. Dafür haben wir zum Beispiel verschiedene Verfahren geführt für betroffene Menschen, damit sie ihre Familie nachholen können.

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Was ist das zweite Thema im Bereich Menschenrechte?

Ein weiterer großer Bereich, mit dem wir damals begonnen haben und an dem wir und ich persönlich auch arbeite, ist geschlechtsspezifische Gewalt. Es gibt zwei Tage im Jahr, wo die große gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf diesem Thema liegt – der internationale feministische Kampftag im März und der Tag gegen Gewalt an Frauen Ende November – aber das Thema ist leider auch darüber hinaus immer präsent. Denn das eigene Zuhause ist der gefährlichste Ort für Frauen.

Allein aus der Statistik des Bundeskriminalamts wissen wir, dass in Deutschland jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Expartner getötet wird und dass es jeden Tag einer versucht – und das sind eben nur die offiziellen Zahlen. Es gibt aber eine wahnsinnig hohe Dunkelziffer. Ich finde es immer wieder schockierend, diese Zahlen zu hören und der geringe Aufschrei abseits der Aktionstage verwundert mich immer wieder aufs Neue. Und auch, wenn wir die Datenlage nicht genau kennen, wissen wir, dass auch die Zahlen bei sexualisierter häuslicher Gewalt riesig sind. Wir haben deshalb angefangen, uns inhaltlich auf Vergewaltigungsmythen zu fokussieren, die auch in der Justiz auftreten, also in dem Verfahren selbst.

Worum geht es dabei?

Wir sagen, dass es in Verfahren häufig eine Perpetuierung, also eine Fortführung der Gewalt gibt. Die Beispiele, wie sich das äußert, sind die klassischen Narrative: Da wird gefragt, weshalb die Opferzeugin einen kurzen Rock getragen hat. Oder weshalb sie den Angeklagten gefragt hat, ob er mit ihr nach Hause kommen will, wenn sie das am Ende gar nicht gewollt hätte. Das sind gesellschaftlich internalisierte Vorstellungen – die gibt es sowohl zu dem biologischen Geschlecht als zum Beispiel auch zu rassistischen Wertungen. Die vielen Vergewaltigungsmythen beziehen sich darauf – egal, ob bewusst oder unbewusst. „Wenn sie nein sagt, meint sie eigentlich ja“, ihr Alkoholkonsum, ihre weiteren Verhaltensweisen, all das ist Teil davon.

Wo setzt eure Arbeit hier an?

Wir schauen genau darauf und fragen: Was müsste von staatlicher Seite gemacht werden, um diese Perpetuierung zu verhindern? Und was passiert da gerade nicht? Bei JUMEN bedienen wir uns der Methode der strategischen Prozessführung. Das ist ein juristisch politisches Mittel, das das Ziel verfolgt, über den Einzelfall hinaus Veränderungen für eine größere Gruppe zu bewirken. Das heißt – sehr heruntergebrochen – dass man sich eines Einzelfalls bedient, sich durch die Instanzen klagt und versucht, ein höchstrichterliches Urteil zu bewirken, was dann eben eine breitere Auswirkung hat.

Und wie funktioniert das konkret?

Für unsere Arbeit ist ein breites Netzwerk sehr wichtig. Wir sprechen viel mit Organisationen, die direkt mit Betroffenen zusammenarbeiten, um dann gemeinsam zu schauen, wo die Probleme liegen, wo wir ansetzen können. Und dann unterstützen wir mit unseren Kooperationsanwält:innen, die die Verfahren führen, die betroffene Person, wenn sie vor Gericht geht. JUMEN ist dann dafür da, um zu begleiten, die juristischen Ausarbeitungen mitzugestalten und die Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben.

Und dann geht ihr mit den Kooperationsanwält:innen vor Gericht, um für diese Menschenrechte zu kämpfen? Kannst du das an einem Beispiel beschreiben?

Ja, zum Beispiel aus unserem Projekt zur Aussetzung des Familiennachzugs: Das Argument, mit dem der Familiennachzug damals ausgesetzt wurde, war immer, dass es eine Härtefallregelung gibt, die aber in der Praxis quasi nie angewandt wurde. In dem Fall wurde mit Unterstützung von JUMEN ein Härtefallantrag gestellt, sowie Klage und Eilantrag beim Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht lehnte den Eilantrag ab, gab der Klage dann aber später statt. Zum ersten Mal wurde die dringende Lage des in Deutschland lebenden Kindes gewichtet und als Härtefall anerkannt. Das war extrem wichtig, weil damit dann eine Argumentation ausgearbeitet war, die man auch für viele andere Fälle nutzen kann. Quasi wie ein Präzedenzfall. Aber gleichzeitig – und das ist dann die strategische Prozessführung – sind diese Fälle auch sehr öffentlichkeitswirksam, erzeugen eine große Aufmerksamkeit. Durch sie werden diese Themen und unsere Arbeit dazu nach außen getragen und sind damit gleichzeitig hochpolitisch.

Wenn man so weit gehen wollte, könnte man sagen, dass wir die Gerichte als politische Räume benutzen, was definitiv auch kritisiert wird. Letztlich setzen wir juristische Instrumente für einen gesellschaftlichen Wandel und die Verbesserung der Situation von vulnerablen Gruppen ein.

Und beim Thema Gewalt gegen Frauen funktioniert das genauso?

Da ist es etwas schwieriger. Denn das Ankreiden von Vergewaltigungsmythen ist sehr problematisch. Die wenigsten Betroffenen stellen eine Anzeige und nur ein Bruchteil landet überhaupt vor Gericht. Nur etwa fünf bis zehn Prozent der Frauen, die bspw. eine Vergewaltigung erlebt haben, zeigen diese an. Weniger als zehn Prozent der angezeigten Tatverdächtigten wegen sexualisierter Gewalt werden verurteilt. Betroffene können in diesen Gerichtsverfahren als Nebenkläger:innen auftreten. Allerdings wird die Position der Nebenkläger:innen häufig kritisiert, da – so meinen manchen – das eine Stärkung von Opfer- und damit eine  Schwächung von Angeklagten-Rechten sei. Das ist sehr kompliziert.
Wir bei JUMEN arbeiten im ersten Schritt immer die Problemlage heraus und schauen dann, wie man juristisch hieran anknüpfen und arbeiten kann. Genderstereotype und Vergewaltigungsmythen kann man in den Prozessen – in der schwierigen Position der Nebenklage – aktuell nur sehr schwer etwas wirksam entgegensetzen.

Was sind bei so einer schwierigen Lage eure Handlungsoptionen?

Wenn wir, so wie im Bereich Genderstereotype und Vergewaltigungsmythen, noch keine konkrete strategische Prozessführung durchführen können, arbeiten wir an einer Sichtbarmachung in der Öffentlichkeit. Wir halten Vorträge oder sind – in diesem Fall konkret – bei dem Bündnis Istanbul-Konvention aktiv. Denn wenn ein Staat eine Konvention ratifiziert, verpflichtet er sich wie gesagt gleichzeitig zu dessen Umsetzung. Alle paar Jahre muss Deutschland dann nachweisen, wie gut es die Konvention umsetzt. Als Teil des Bündnisses Istanbul-Konvention begleiten wir mit anderen NGOs diesen Prozess im Europarat und können zeigen: Moment, da, wo der Staat sagt, er leistet super Arbeit, stimmt es vielleicht an der ein- oder anderen Stelle nicht ganz.

Deshalb verstehen wir es auch als unsere Aufgabe, darauf hinzuweisen, wenn es Probleme gibt. Und davon gibt es einige. Angefangen bei den wenigen Frauenhausplätzen über eben die Vergewaltigungsmythen und mangelnde Fortbildungsmöglichkeiten zum Thema Gleichstellung und Stereotype bis hin zu Gewaltschutzfragen und eine Unterwanderung des Gewaltschutzes. Diese Ergebnisse bekommen dann zum Beispiel die betreffenden Ausschüsse im Bundestag.

Und parallel recherchiert ihr permanent weiter, wo gute Anknüpfungspunkte für strategische Prozessführung sein könnten?

Ja. In Österreich gab es zum Beispiel einen Fall, in dem eine Frau von ihrem Mann häusliche Gewalt erfahren hat. Sie hat eine Gewaltschutzanordnung erwirkt, wonach er sich nicht mehr in der Wohnung aufhalten durfte. Trotz der Anordnung kam es weiter zu häuslicher Gewalt, die sie auch gemeldet hat. Schließlich ist er zur Schule des Sohnes gegangen und hat ihn erschossen. Die Mutter hat daraufhin in einem Amtshaftungsprozess vor Gericht argumentiert, dass der Staat ihre Kinder nicht hinreichend geschützt hat. Sie hat damals verloren – sowohl national als auch vor dem EGMR – bei JUMEN glauben wir, dass das ein Fall ist, der sich für einen Strategieprozess gut auf Deutschland übertragen ließe. Auch deshalb, weil es tatsächlich keine Beschwerden vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen Deutschland im Bereich geschlechtsspezifische Gewalt gibt – und das trotz der vielen Verstöße. Das ist ganz schön bitter.

Wann sehen wir euch damit vor Gericht?

Das ist eine der Herausforderungen von strategischer Prozessführung: Sie ist sehr anstrengend, die Verfahren dauern enorm lange an. Allein der innerstaatliche Rechtsweg in Deutschland wird mehrere Jahre dauern. Das bedeutet potenziell vor allem eine enorme Belastung für die Klägerin. Dazu kommen die innerstaatlichen Prozesskosten und so weiter. Das bedeutet für uns einen langen Atem und auch die Akquise von finanzieller Unterstützung. Prozessführung und die Planung davon wirkt als etwas Abstraktes zum Spenden und gleichzeitig arbeiten wir nicht mit Bildmaterial, das das Leid der Frauen abbildet oder sowas. Deshalb müssen wir priorisieren und schauen, an welchen Stellen wir wann wie weiterarbeiten können.

Ihr wollt JUMEN und ihre wichtige Arbeit für Menschenrechte unterstützen? Hier könnt ihr das.

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