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Hinter den roten Früchten: Gemeinsam für mehr Menschenrechte und gegen Ausbeutung in Andalusien

Kilometerweit reihen sich die Gewächshäuser aneinander, so weit das Auge reicht. Sie sind klein und oben rund, kaum mehr als zwei, zweieinhalb Meter hoch und mit Plastikplanen versehen. Man findet sie rund um Huelva, im südspanischen Andalusien. Hier werden auf tausenden Hektar für Mitteleuropa Erdbeeren, Himbeeren und Co angebaut, vor Ort nur frutas rojas, also die roten Früchte genannt. Auch Gemüse für den Rest Europas wird in Andalusien angebaut, allerdings ein paar hundert Kilometer weiter östlich rund um die Stadt Almería. Was die Standorte eint, sind die Arbeitsbedingungen: Ausbeutung von Menschen und Umwelt und Verletzungen der Menschenrechte sind an der Tagesordnung. Ana Pinto nennt sie sogar „moderne Sklaverei“.

Und sie weiß, wovon sie spricht: Ana ist in zweiter Generation Arbeiterin und Tagelöhnerin auf den Feldern Huelvas. 2018 begann sie mit Najat Bassit und vielen weiteren Arbeiter:innen aus den Dörfern von Huelva, die Missstände anzuprangern. 2020 haben sie dann die Jornaleras de Huelva en Lucha, die Tagelöhnerinnen Huelvas im Arbeitskampf, gegründet, um gegen die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, geprägt von Erniedrigung, Ausbeutung und sexuellen Übergriffen, vorzugehen. Insbesondere den marokkanischen Kolleg:innen wurde verboten, zum Arzt zu gehen, wenn sie krank waren. Denjenigen von ihnen, die ohne Papiere im Land waren, wurde Geld vorenthalten – und wenn sie es bekamen, dann weniger als andere.

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Die Menschen leben ohne Wasser und Strom

Und wer auf der Fahrt durch die Gegend um Huelva genau hinschaut, entdeckt zwischen den kleinen Gewächshäusern Spuren dieser Bedingungen, die sich nicht verstecken lassen, auch wenn die Firmen und Lokalregierungen es versuchen: Aus kaputten Plastikplanen haben sich Feldarbeiter:innen hier Unterkünfte gebaut, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Sie leben ohne Strom, ohne fließend Wasser und ohne jede finanzielle oder gesundheitliche Sicherheit. Es ist die hässliche Kehrseite einer kaputten Branche, die zwar 1.35 Millionen Euro Umsatz macht, aber die die schwächsten systematisch ausbeutet, damit wir im Winter Erdbeeren essen können: Rund achtzig Prozent aller Erdbeeren, die wir im Frühjahr in Deutschland kaufen können, stammen von dort. Das Problem ist aber noch komplexer, denn die invasive monokulturell geprägte Landwirtschaft zerstört auch die Umwelt und das Klima massiv. Und die lokalen Behörden stellen die Wirtschaft über die Menschenrechte und die Umwelt.

80 Prozent der Arbeiter:innen auf den andalusischen Feldern sind Frauen

Zwischen Huelva und Sevilla treffen wir Ana in ihrem Heimatort. Es ist später Nachmittag und der Abend vor einem Feiertag. Wahrscheinlich ist der Ort deshalb noch ein wenig verschlafener als sonst, die Bar auf dem Hauptplatz ist geschlossen. Ana lacht viel, versucht, positiv zu bleiben, obwohl ihr Kampf ein harter ist und häufig aussichtslos scheint. Aber „arme Leute wissen, wie man sich gegenseitig hilft“, sagt sie. Und es sind viele: Während der Saison arbeiten bis zu 100.000 Menschen auf den Feldern. Rund die Hälfte von ihnen sind einheimische Andalusier:innen, die andere Hälfte saisonale Arbeitsmigrant:innen. Und circa 80 Prozent der Arbeiter:innen auf den Feldern der frutas rojas sind Frauen. „Die Betriebe sagen, sie lassen deshalb mehr Frauen arbeiten, weil sie zartere Hände haben. Sie sagen, sie können die Früchte besser pflücken. Das ist eine Lüge. Sie stellen lieber Frauen ein, weil sie bewusst nach den Menschen suchen, die schwächer sind, um sie besser ausbeuten zu können“.

Ana lacht viel, versucht, positiv zu bleiben, obwohl ihr Kampf ein harter ist und häufig aussichtslos scheint.

Ana erklärt, dass viele Frauen keine andere Wahl haben. Sie müssen ihre Familien ernähren, sowohl die Frauen in den andalusischen Dörfern, als auch die Marokkaner:innen, die extra herkommen, um die Beeren zu pflücken. Sie werden besonders schlecht behandelt: „Die Besitzer wissen, dass die Frauen nicht hier wären, wenn sie nicht dringend Geld bräuchten, um ihre Kinder zu versorgen. Viele von ihnen können nicht lesen oder schreiben. Diese Notsituation nutzen sie aus, indem sie ihnen Geld vorenthalten und unter schlimmsten Bedingungen zu viele Stunden am Tag arbeiten lassen.“

Gewerkschaftliche Organisation gegen Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen

Ana beschreibt, wie sie langsam anfingen, sich zu organisieren, um gegen die Ausbeutung vorzugehen. „Wir hatten zu dem Zeitpunkt noch keine Ahnung, dass wir eigentlich Gewerkschaftsarbeit leisteten. Alles, was wir wollten, war den Frauen zu helfen“. Irgendwann begann sie, sich an einer Gewerkschaftskampagne zu beteiligen. „Auf einmal waren die Türen für mich überall, wo ich vorher gearbeitet hatte, verschlossen“. Mit dieser Organisation kam auch die Angst, ihren Job zu verlieren, so ganz ohne eine Berufsausbildung oder andere berufliche Perspektiven: „Ich konnte doch nichts anderes“. Auch Anas Mutter ist Feldarbeiterin.

Aber es gab trotz der Repressionen für sie keinen anderen Weg mehr, als etwas verändern zu wollen. „Wenn du jung bist und stark, dann hast du mehr Möglichkeiten“, erzählt Ana. Und sie begann, am Wochenende in Bars zu arbeiten, mit Arbeitslosengeld aufzustocken, nebenher zu studieren und sich in die ehrenamtliche Gewerkschaftsarbeit zu stürzen.

„Die Straffreiheit, die damals existierte, wurde gebrochen“

„Die Leute riefen uns häufig an. Sie meldeten sich bei uns, wenn ihnen ihr Gehalt vorenthalten wurde. Wir gaben daraufhin einem Journalisten Bescheid, der sich wiederum bei der Firma meldete und Druck machte“. Mit einigen Journalist:innen, unter ihnen Perico Echevarría und La Mar de Onuba, arbeiten sie noch immer eng zusammen. So begannen sie, öffentlichkeitswirksam zu arbeiten. Ihre Arbeit wurde bekannter, sie hielten sich mit Spenden und Crowdfunding über Wasser. Seit der offiziellen Gründung der Jornaleras de Huelva en Lucha 2020 hat sich gegenüber Anas Arbeit auf dem Feld der früheren Jahre somit einiges verändert.

Ob es nicht zuvor bereits gewerkschaftlich organisierte Arbeit gegeben habe, fragen wir Ana. An sich schon, faktisch nein: „Den Betriebsrat gibt es nicht. Er existiert formell, bürokratisch, aber die meisten Gewerkschaftswahlen sind Betrug. Ich habe noch nie an einer Gewerkschaftswahl teilgenommen, weil wir keine Informationen zu ihnen erhalten. Und ich habe mein ganzes Leben lang auf dem Land gearbeitet. Die Gewerkschaftsdelegierten sind die gleichen Leute, die für den Betrieb verantwortlich sind, oder es sind die Freunde des Eigentümers. Das funktioniert so natürlich nicht.“ Aber auch hier greift ihre kollektive und öffentlichkeitsorientierte Arbeit: Wenn es nun Pseudowahlen gibt, greifen sie zum Telefonhörer und fordern Gerechtigkeit ein. Ihr gemeinsames und kontinuierliches Auftreten hilft. Hinzu kommen ihre Kontakte in die Medien und mittlerweile auch in den Stadtrat, wo sie sogar zu Sitzungen eingeladen werden. Durch körperliche und psychische Ausbeutung Menschenrechte zu missachten ist nicht mehr so leicht wie früher: „Die Firmen denken zwar immer noch, sie hätten die ganze Macht. Die komplette Straffreiheit, die damals existierte, wurde aber gebrochen“.

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Wer von der Ausbeutung profitiert. Oder: Ein Teufelskreis

Obwohl sie sich mit Medien- und Vernetzungsarbeit langsam aber stetig mehr Rechte erstreiten, erschwert das politische Klima die Arbeit. In vielen umliegenden Dörfern regieren die konservativen bis extrem rechten Parteien PP und VOX, die ihre eigene Agenda vorantreiben. Sie spielen die Andalusier:innen gegen die Arbeitsmigrant:innen aus: „Sie sagen, die Menschen kämen her, um uns unsere Arbeitsplätze wegzunehmen. Dabei sind es doch die Betriebe, die die Löhne weiter drücken“. Teil des Teufelskreises ist es aber auch, dass die rechten Parteien eigentlich gar nicht daran interessiert seien, dass Migrant:innen nicht mehr kommen, erklärt Ana. „Denn nur, wenn die Menschen hier sind, können sie mit ihrem rassistischen Diskurs Wahlen gewinnen“. Auch von progressiveren politischen Kräften war die Unterstützung aber bisher nicht ausreichend, findet Ana. Die Jornaleras de Huelva en Lucha haben sich bereits mit Gleichstellungs- und Arbeitsministern getroffen – ohne wirkliches Ergebnis.

Ana beschreibt weiter, wie die Polizei gelegentlich die Barackensiedlungen aufsucht und die Leute kontrolliert. „Aber sie vertreiben niemanden. Weshalb? Weil es auch in ihrem Interesse ist, dass die Menschen dort sind und für einen Hungerlohn arbeiten. Die Felder sind wichtig für die Wirtschaft in Andalusien.“

Die Polizei, Lokalpolitiker:innen und Betriebsunternehmer:innen profitieren also alle von den Zuständen vor Ort. Dass sich hier noch nichts getan hat, verwundert Ana nicht, aber es macht sie trotzdem wütend. „Das Problem besteht nicht erst seit gestern – sondern seit 20 Jahren. Und noch niemand mit Macht und Ressourcen hat versucht, etwas zu unternehmen“.

Ausbeutung von Menschen, Umwelt und Klima als System

Das ist so, weil die Ausbeutung System hat. Denn ob in Huelva, in Almería, in Lleida oder in Frankreich: Die Menschen in der gleichen Branche leiden überall ähnlich. Das ist Teil eines übergeordneten Problems. „Wessen Verantwortung ist es denn, dass Menschen sich gezwungen fühlen, herzukommen? Die gleichen Konzerne, die hier vor Ort ausbeuten, haben das zuerst auf dem afrikanischen Kontinent getan. Dort fehlt Menschen nun ihr Land, ihre Lebensgrundlage. Die Konzerne haben alles monopolisiert. Die Bewegung wird immer weitergehen.“

Das gleiche Schicksal wird auch die Region um Huelva treffen, wenn sich nichts ändert: „Es gibt kein Wasser mehr“, erklärt Ana die Nachteile, die das derzeitige Modell nicht nur auf die Menschen, sondern auch auf die Umwelt hat. Es werden immer weitere Tausende Hektar mit den Gewächshäusern der roten Früchte gebaut, dieses Mal rund um den Guadiana-Fluss. „Früher oder später wird er austrocknen.“ Einige Dörfer in der Sierra haben bereits jetzt schon Wasserbeschränkungen, ihnen wird nachts das Wasser abgedreht.

Vernetzung und Veränderung: Gemeinsam für die Einhaltung der Menschenrechte

Aber die eine Lösung gegen diese riesige Industrie gibt es nicht, das sieht auch Ana. Zunächst ist es natürlich wichtig, den ganz akuten Verantwortungen gerecht zu werden: „Wenn man die Leute hier haben möchte, so, wie die Betriebe, dann braucht man auch die betreffende Infrastruktur. Es müssen alternative Unterkünfte geschaffen werden, damit die zehntausenden Leute, die jede Saison kommen, nicht mehr in Barracken wohnen müssen“.

Seit einiger Zeit wird vermehrt auch von Boykott gesprochen. „Boykott ist leider nicht wirklich eine Lösung“, meint Ana. „Wenn man mich persönlich fragen würde und ich nicht in der Profession wäre, in der ich eben bin, würde ich auch auf die Straße gehen und zum Boykott des Kaufes andalusischer Früchte aufrufen.“ Aber für die Menschen vor Ort ist das zu kurz gedacht. „Was sollen die Menschen machen, wenn nicht gleichzeitig eine Alternative aufgebaut wird? Es sind zehntausende Frauen, die komplett ihre Lebensgrundlage verlieren würden. Das ist die Realität“.

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Stattdessen plädiert Ana dafür den Leuten zuzuhören, um einen Systemwandel zu ermöglichen: „Es geht darum, insgesamt das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie Menschen in der Landwirtschaft Ausbeutung ausgesetzt werden und wie Abhängigkeitsverhältnisse von multinationalen Unternehmen zustande kommen. Deshalb ist es wichtig, den Leuten zuzuhören und zu verstehen, welche Arbeitsalternativen sie benötigen, damit wir aus dieser Industrie, die uns und unsere natürlichen Ressourcen ausbeutet, herauskommen können“.

Auch betonen die Jornaleras immer wieder, dass es wichtig ist, dass die Menschen legale und langfristige Möglichkeiten haben, hier zu arbeiten und zu leben. „Wir alle in der Arbeiter:innenklasse profitieren davon, wenn wir alle gleichberechtigte Arbeitnehmer:innen sind.“ Und natürlich ist da noch die Vernetzung quer durch Andalusien und bis hoch nach Frankreich. „Wir alle kämpfen den gleichen Kampf. Und gemeinsam sind wir stärker“.

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Auch mit dem Andalusischen Saatgut-Netzwerk haben wir über Klima und Veränderung in Andalusien gesprochen. Und mehr zu Menschenrechten gibt es auch hier.

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