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Digital Nomads und der Neokolonialismus

Sie arbeiten remote und reisen dabei um die Welt: Das Leben als Digital Nomads ist attraktiv und Dank viraler TikTok-Videos auch immer weiter verbreitet. Mit den Möglichkeiten der komplett ortsunabhängigen Arbeit entscheiden sich viele junge Arbeitnehmer:innen dazu, gar nicht mehr ins Büro zu gehen, sondern mit dem Laptop unter Palmen zu sitzen. Ihre Gemeinsamkeiten? Sie arbeiten hauptsächlich in der Tech-Branche oder im Digital Marketing und kommen aus den Ländern des Globalen Nordens, in denen auch ihre Arbeitgeber:innen sitzen, ihre Reiseziele sind primär Länder des Globalen Südens. Nennen tun sie sich Digital Nomads.

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Es gibt ganze Websites, die die besten Orte für Digital Nomads auflisten. Sie zeigen an, welche Städte sicher, „fun“ und günstig sind. Auch gibt es Blogs, die sich „Expat News“ und co nennen und zeigen, für welche Länder es günstige Visa gibt. Auf TikTok zeigen viele von ihnen ihren Alltag in Buenos Aires, Mexico Stadt, Ubud oder Medellín. Sie erklären, wie wenig Ausgaben sie haben, wie flexibel ihr Lifestyle ist, welche schönen Wohnungen sie sich leisten können. Millionen Menschen sehen ihre Eindrücke, liken sie und kommentieren: Das wollen sie auch.

Kritik wird laut: Digital Nomads fördern Neokolonialismus

Dieser einseitigen und privilegierten Darstellung setzen seit einiger Zeit einige Creator:innen etwas engegen: Digital Nomads sind Neokolonialist:innen, die Gentrifizierung vorantreiben. Denn Digital Nomads reisen beinahe ausschließlich in Länder, die niedrigere Lebenshaltungskosten haben, wodurch sie sich ein besseres Leben leisten können, als sie es in ihren Heimatländern könnten. Das führt zu einer Verteuerung von Wohnraum und anderen Ressourcen, was sich negativ auf die einheimische Bevölkerung auswirkt. Darüber hinaus nutzen sie oft lokale Ressourcen, wie etwa Coworking Spaces, ohne wirklich zur Wirtschaft des Gastlandes beizutragen. Denn schließlich arbeiten sie ja für Arbeitgeber:innen in ihren Heimatländern, wo sie Steuern zahlen und haben meist nur Tourismus-Visa für die Länder, die sie besuchen: Die Gastländer haben also den Nachteil der Gentrifizierung ohne den Vorteil der Steuereinnahmen.

Koloniales Erbe

Die Kritik an Digital Nomads geht aber über die bloße Diskussion von Gentrifizierung und ökonomischer Ausbeutung – welche ohne Frage schlimm genug sind – hinaus. Einige Kritiker:innen zeigen, dass Digital Nomads das Erbe des Kolonialismus in den modernen Zeiten verlängern und verstärken, indem sie ihr Privilegien als weiße Westler:innen ausnutzen, um sich in anderen Ländern niederzulassen. Ihre Herkunft aus Ländern des Globalen Nordens ermöglicht ihnen ein Profitieren von den politischen und wirtschaftlichen Strukturen, die von den europäischen Kolonialmächten geschaffen wurden. Digital Nomads haben einen privilegierten Zugang zu Ressourcen, Rechten und Möglichkeiten – wie privilegierten Zugang zu Visa – die vielen Menschen in den kolonialisierten Ländern verwehrt bleiben.

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Eine Bewusstseinsfrage

Wie so oft mit Privilegien, sind sich diejenigen, die sie haben, ihrer nicht bewusst oder eher: wollen sich dessen nicht bewusst sein. In den Tiktoks der Digital Nomads wird ausschließlich die romantisierte Seite ihres Lebens dargestellt, kritische Stimmen werden blockiert, ausgeblendet oder überhaupt nicht wahrgenommen. Auch, wenn sie in Stitches darauf hingewiesen werden, bleibt eine Äußerung oder eine Einsicht meist aus. Dabei ist es genau diese Ignoranz, die problematische Strukturen aufrecht erhält. Umso wichtiger ist es zu sehen, dass diese Spaces nun auch von Kritiker:innen eingenommen werden, die aufzeigen: Ihr seid Teil des Problems.

Mehr zu (Neo)kolonialismus gibt es in unserem Gespräch mit Tahir Della oder im Beitrag über Neokolonialismus in Tansania.

Bilder: from the archives aus Medellín und Palomino, Kolumbien.

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