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Antworten auf den Rechtsruck mit Abdul Kader Chahin

Abdul Kader Chahin fotografiert mit ernstem Blick auf einer Demonstration gegen die AfD und gegen den Rechtsruck

Am Wochenende war Ausnahmezustand in Essen. Mehrere Tausend Polizist*innen, 7000 Menschen in Blockadeaktionen und 70.000 Menschen bei einer Großkundgebung gegen den AfD-Parteitag. Eine deutliche Reaktion der Zivilgesellschaft auf die wachsende Bedrohung durch die AfD. Die Protestierenden schafften es durch zahlreiche weitestgehend friedliche Sitzblockaden und Menschenketten den Start des Parteitages zu verzögern. Nur unter dem massiven Einsatz von körperlicher Gewalt, Schlagstock und Pfefferspray gelang es der Polizei, einen Abgeordneten nach dem anderen den Weg zum Gelände „freizuprügeln“. „Wir haben gezeigt, dass es eine demokratische Mehrheit gibt gegen die faschistische Hetze der AfD und für eine vielfältige Gesellschaft“, zieht Mika (Name geändert) aus dem Presseteam von Widersetzen, die zu den Blockadeaktionen aufgerufen hatten als Fazit am Ende des Tages. Am Rande eines großen Polizeikessels sind wir mit Abdul Kader Chahin ins Gespräch gekommen. Er kommt aus Duisburg, ist Künstler, Podcaster, Autor und noch einiges mehr und ist am Samstag ebenfalls nach Essen gereist, um sich den Protesten gegen den AfD-Parteitag entgegenzusetzen. Wir treffen ihn, kurz nachdem die Polizei die Protestierenden von Widersetzen auf dem Weg zur Grugahalle gewaltvoll festgesetzt hat.

Wie hast du die Proteste heute erlebt?

Abdul Kader Chahin: Ich war sehr früh schon hier. Sehr orientierungslos, wie manche Menschen, weil ich nicht so organisiert bin und es in meiner Position auch schwieriger ist, solche Aktionen zu besuchen. Bis jetzt merkt man einfach nur, dass die Polizei vehement ihre Marschrichtung durchpeitschen möchte, was mega traurig ist. Ich empfinde die Situation an sich als friedlich, wenn die Bullen nicht dem einen oder anderen Bruder den Knüppel gegen den Hinterkopf geballert hätten. Das habe ich alles heute schon gesehen, obwohl die Menschen, die sich hier zusammengetan haben, sehr friedlich sind. 

Was lösen die Proteste in dir aus?

Abdul Kader Chahin: Auf der einen Seite Hoffnung, auf der anderen Seite schon auch Angst, weil wir darauf angewiesen sind, antifaschistisch auf den Rechtsruck, den wir in Deutschland haben, zu antworten. Wenn ich also auf der einen Seite Repressionen, ob institutionell, seitens der Polizei, oder auch auf einer politischen Ebene sehe; Wenn ich höre, was gewisse Leute auch von vermeintlich progressiven Parteien von sich geben; Wie salonfähig Rechtsradikalität und Faschismus in Deutschland geworden sind, dann ist das etwas, das in mir Angst auslöst. Hoffnungsvoll ist andererseits, dass eine Masse an Menschen seit Anfang des Jahres in dieser Sache vereint zusammenkommt. Auch wenn wir unterschiedlich sind, viele unterschiedliche Ansichten vertreten, ist dies das Maß an Mobilisierung, das wir brauchen, um die Demokratie zu schützen. Das gibt mir Antrieb!

Nach der Protestwelle Anfang dieses Jahres hattet ihr im Brennpunkt-Podcast teilweise gemischte Gefühle ausgedrückt? 

Abdul Kader Chahin: Es gibt immer, vor allem aus dieser migrantischen Perspektive, sehr viel Pessimismus und Misstrauen. Ich glaube, wenn wir die Robocops sehen, dann hat jeder einen flauen Magen, weil man irgendwann mal mies auf die Fresse gekriegt hat oder ähnliches. Bei mir ist diese Geschichte aber schon sehr lang mit meinen 31 Jahren. Ich erlebe die Polizei auf Demos als gewalttätig. Ich habe diese Leute aber auch schon gewalttätig erlebt, als ich mit meinen Jungs auf der Straße gechillt habe und wir nichts mit Politik am Hut hatten. So war ich fast gezwungen, mich zu politisieren.  Wenn ich das auf Anfang des Jahres beziehe, ist es immer eine Mischung zwischen Pessimismus, Hoffnung und Antrieb für Aktivismus, aber immer wieder auch Hoffnungslosigkeit. 

Wie blickst du auf die Europawahlen?

Abdul Kader Chahin: Sie sind ein super Abbild dafür, was sich politisch und gesellschaftlich entwickelt hat. Wie Rechtsradikalität und rechte Ideologien salonfähig gemacht wurden. Wie der Neoliberalismus   mittlerweile überall verwurzelt ist.

Es ist in meinen Augen aber auch der letzte Warnschuss vor allem aus deutscher Perspektive, mit der deutschen Geschichte und der Machtposition, die Deutschland in Europa hat. Nächstes Jahr ist Bundestagswahl. Wenn wir jetzt nicht gegensteuern und alles, was in unserer Macht steht, tun, dann sind wir auf gut Deutsch gesagt am Arsch. Es war der letzte Warnschuss. Wer den nicht gehört hat, der soll am Ende nicht heulen.

Da würde ich auch direkt nochmal anknüpfen wollen. Was würdest du politisch als Reaktion auf den Rechtsruck erwarten, sowohl vielleicht von Politiker*innen, aber auch von Medien oder Aktivist*innen – An wen du es richten willst. 

Abdul Kader Chahin: Die meisten Aktivist*innen machen alles richtig. Ich würde großen Abstand davon nehmen, die genannten Gruppen in einen Topf zu werfen. Die jungen Menschen sind auf den Straßen. Die jungen Menschen sind aktiv, bemühen sich und bekommen auf Demos für diese wichtige Sache auf die Fresse.

Bei der Politik würde ich vor allem vermeintlich progressive Parteien wie die Grünen, SPD’ler und unseren Kanzler adressieren. Ich appelliere an sie, diese scheiß rechten Narrativen nicht zu reproduzieren. Nicht selber die AfD-Politik zu machen, die man eigentlich verhindern möchte.

Die sollen ein bisschen Rückgrat zeigen und ihre von mir aus sozialdemokratische Politik machen. Dann tun sie wirklich etwas Förderliches für die Demokratie, anstatt immer weiter rechten Narrativen Raum zu geben. Das ist, was wir aus der Europawahl als Erkenntnis mitnehmen konnten: Es bringt nichts, die AfD zu imitieren. Die AfD muss nicht herrschen oder regieren, wenn wir so eine Koalition und so eine Regierung haben. Die machen doch zum Teil die AfD-Politik und das muss endlich aufhören. 

Du machst auch Jugendarbeit. Merkst du den Rechtsruck auch dort?

Abdul Kader Chahin: Das Ding ist: In der migrantischen Ecke, woher ich komme, aus dem Brennpunktgebiet in Duisburg, aber auch im Norden von Essen oder Dortmund, nimmt man das nicht so aktiv wahr, wie zum Beispiel die Aktivist*innen hier. Die Jugendlichen merken aber schon, was die AfD macht. Viele fühlen sich bedroht. Bedroht in der Hinsicht, dass wir in Deutschland keine Existenz haben, auf die wir setzen können. Es ist nicht sicher, hier zu leben. Was ist, wenn irgendwann die AfD an die Macht kommt und diese Remigrationspläne durchgesetzt werden?

Die Menschen werden im Kapitalismus systematisch kleingehalten. Sie sollen bloß nicht aufmüpfig sein, sich politisieren oder sonst was, weil die Politik diesen Frust auf den Straßen nicht haben will. Dieses System ist leider sehr erfolgreich. Ich versuche diese jungen Menschen aber zu politisieren und dazu zu bringen, aktiv zu werden. Deswegen auch nochmal ein ganz, ganz großes Lob: Ich sehe so viele migrantisch gelesene Menschen hier auf der Demo und das finde ich richtig, richtig geil. Es ist so wichtig, dass auch die im Aktivismus abgebildet werden.

Du und dein Podcastkollege Burak Yilmaz, ihr habt auch viel zum Thema Antisemitismus gearbeitet. Wie denkst du über die Art und Weise, wie aktuell über Antisemitismus in Deutschland gesprochen wird? Das Thema bekommt im Moment sehr viel Raum in der öffentlichen Debatte. Vor dem 07.10. hat es aber kaum jemanden interessiert.

Abdul Kader Chahin: Ich glaube, das Thema Antisemitismus ist immer mehrdimensional. Seit dem 07.10. ist so viel schief gelaufen, sodass die Leute da keine Ernsthaftigkeit mehr reinbekommen. Das ist gefährlich. Wir haben sehr viele antisemitische Straftaten und die Tendenz geht weiter nach oben. Gleichzeitig haben wir in Deutschland viele jüdische Menschen, die sich engagieren, für Frieden beispielsweise. Die werden jetzt kaum gehört und vor dem 07.10. noch weniger.

Im Extremfall ist es dann auf einmal interessant. Hat man sich davor für jüdisches Leben interessiert? Nein. Hört man die Vielseitigkeit und Vielfältigkeit von jüdischem Leben, die wir in Deutschland haben? Jucken uns jüdische Menschen in Deutschland oder jucken uns nur Israelis oder tote jüdische Menschen?

Das ist ein geiles Abbild unserer Gesellschaft aus politischer Perspektive. Wir kennen unsere Minderheiten nicht. Für Deutschland gibt es entweder türkische Menschen, jüdische Menschen, aber meistens als Israelis dann, syrische Menschen etc.. So werden die Menschen immer in Kasten eingeteilt, die übersichtlich sind. Niemand differenziert so, wie er eigentlich sollte. Wir haben mit den türkischen Menschen die größte migrantische Community in Deutschland. Das sind ehemalige Ausländer*innen, die jetzt hier leben und deren Heimat Deutschland geworden ist. Dann macht man es sich in der Politik leicht. Man arbeitet mit den großen muslimischen Verbänden zusammen. Diese Verbände bauen Moscheen und sind happy, aber was der afghanische, palästinensische, libanesische oder marokkanische Mensch will – So weit wollen die Politiker*innen gar nicht schauen. Immer schön einfach, „assimiliert euch doch“, dann seid ihr am wenigsten nervig. So darf das in einer Demokratie aber nicht sein!

Differenziert wird dann nur, wenn es hilft, dabei Leute gegeneinander auszuspielen? 

Abdul Kader Chahin: Exakt und das ist genau diese Herrschaftskacke, die abgeht. Die Menschen, die ganz unten sind, gegeneinander aufzuhetzen. Guck nach links, guck nach rechts, aber niemals nach oben. Weil da findest du die Täter*innen meistens. 

Es heißt dann, dass der arme deutsche Mensch auf der Straße lebt, weil die Kanaken jetzt hier leben. Oder der Many aus dem Plattenbau kann seine Privilegien nicht nutzen, weil es bei ihm im Plattenbau jetzt Kanaken gibt. Diese Leute leben aber alle am selben Ort und haben ähnliche Probleme. Eigentlich habe ich mehr mit diesem Plattenbau-Many zu tun, als mit Landsleuten. Diese Erkenntnis soll aber nicht gewonnen werden. Unser kapitalistisches System ist ein Klassenkampf von oben nach unten. 

Hast du abschließend Ideen, wie wir dabei vorankommen können, dass sich da mehr gegenseitig wahrgenommen wird?

Abdul Kader Chahin: Ich denke, wir sind auf einem gutem Weg. Erstmal ist es ganz wichtig, sich zu organisieren. Menschen ernst nehmen. Differenzen, die man hat, auch ernst nehmen. Debattieren, Streitgespräche führen, aber sich niemals teilen lassen. Das ist das, was ich seit Jahren versuche zu preachen: Wir können eine andere Meinung haben zu jedem Thema. Wir können uns auch in die Haare bekommen, aber wir müssen in der Sache immer vereint bleiben.

Mehr zum Thema Rechtsruck gibt es zum Beispiel hier oder hier.

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