„Nie wieder war vor drei Jahren, vor 10 Jahren, vor 15 Jahren und vor 20 Jahren auch schon“, sagt uns Cindy aus Waldheim in Sachsen Anfang des Jahres. Der Slogan wurde nach den Correctivrecherchen zu den Plänen der AfD zum Motto einer der größten Protestwellen Deutschlands. Mit ihrer Aussage hat Cindy recht: Nie wieder Faschismus sollte selbstverständlich sein. Nie wieder sollte politisches Handeln bestimmen, aber auch im Alltag bewusst gelebt werden.
Es ist aber nicht selbstverständlich und wie Cindy treffend sagt, war es das auch nie. Rassismus ist Alltag, Antisemitismus ist Alltag, Ableismus und viele weitere Diskrminierungsformen sind brutaler Alltag für Menschen in Deutschland. Die queerfeindlichen Proteste bei den jüngsten Christopher Street Days, so wie in Bautzen, zeigen das sehr eindrücklich. Eine eher jüngere Entwicklung ist aber die krasse Normalisierung von diesen rechten und menschenverachtenden Ansichten. Dabei spielt die AfD, die in ihren Wahlprogrammen eindeutig neonazistische Narrative reproduziert, eine wichtige Rolle. Ebenso problematisch sind aber etablierte Parteien, die die Argumente der AfD übernehmen.
Nie wieder heißt Ehrliche Solidarität statt Hetze und Pauschalisieren
Selbstständiger Pädagoge in der Jugendarbeit, Autor und Podcaster Burak Yilmaz sagte dazu bei den Protesten gegen den AfD-Parteitag in Essen sehr passend: „Wenn inzwischen fast alle Parteien aus jedem Problem ein Migrationsproblem machen, wenn auf jedes Problem in Deutschland mit Abschiebung geantwortet wird, dann machen sich diese Parteien zu Komplizen und sorgen dafür, dass der Rechtsextremismus Mainstream wird.“
Vor einigen Tagen führte der Fall Solingen uns dies in aller Deutlichkeit vor Augen. Hier hat ein islamistischer Terrorist drei Menschen getötet und acht weitere verletzt. Was es braucht, ist ehrliche Solidarität und Anteilnahme mit den Familien der ermordeten Menschen – und nachhaltige Strategien, um der Radikalisierung junger Menschen entgegenzuwirken. Ansätze, wie von Burak Yilmaz und seinem Kollegen, Künstler und Autoren Abdul Kader Chahin, die in einer Theatergruppe mit Jugendlichen Themen, wie Islamismus, Rassismuserfahrungen und Antismitismus aufarbeiten.
Unterstützung von solchen Projekten bleibt jedoch komplett aus oder ihre Finanzierung wird derzeit sogar gekürzt. Stattdessen stoßen Politiker*innen nahezu aller Parteien die nächste Abschiebedebatte an und verschieben den Diskurs weiter nach rechts. So wird erneut pauschalisiert und eine Gruppe von Menschen für den Terror verantwortlich gemacht, vor dem sie häufig selbst geflohen ist.
Die EU-Wahlen als letzter Warnschuss
Nächsten Sonntag finden Wahlen in Sachsen und Thüringen statt und im nächsten Jahr die Bundestagswahlen. Auch die EU-Wahlen sollten für uns alle gerade aus deutscher Perspektive der letzte Warnschuss gewesen sein, sagt Abdul Kader Chahin in einem Gespräch, das wir mit ihm führen konnten.
Im Mai dieses Jahres waren wir in der Gedenkstätte am ehemaligem Konzentrationslager Buchenwald. In einer Führung fragte eine Person, weshalb so wenig Menschen aus der Umgebung etwas gegen das KZ unternommen haben. Die Leiterin der Führung sagt dazu: „An dem Punkt war es zu spät.“ Es war zu spät, als die ersten Konzentrationslager errichtet wurden, zu spät, als die ersten Märsche durch Weimar nach Buchenwald stattfanden. An diesem Punkt war die Angst zu groß und zu realistisch, bei Widerworten oder Handlungen, selber dort zu landen. Vor 1933 hätte man aktiv werden müssen. Was Hitler vorhatte, war kein Geheimnis.
Die Zeit des Nationalsozialismus mit heute gleichzusetzen, wäre natürlich anmaßend und verharmlosend. Der Holocaust ist eines der furchtbarsten und dunkelsten Kapitel der Geschichte. Was wir aber heute tun können, ist der furchtbar ermordeten Menschen zu gedenken, und uns aktiv jeden Tag dazu zu entscheiden, gegen Hass, Hetze und rechtes Gedankengut einzustehen. Damit das Nie wieder ein Nie wieder bleibt.
Denn spätestens seit der Correctivrecherche wissen wir über die menschenverachtenden Pläne der AfD bescheid. Wer es in Betracht zieht, sie einfach mal probieren zu lassen, der sollte nicht unterschätzen, wie schwer es sein könnte, sie wieder aus der Machtposition zu bekommen. Der sollte nicht unterschätzen, welchen Schaden sie unserer Demokratie in einer Legislaturperiode zufügen können. Also animiert Menschen, wählen zu gehen, geht in Gespräche und bringt euch ein – auch über den kommenden Sonntag hinaus und egal, wie die Wahlen ausgehen.