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Gemeinsam gegen rechts – oder?

Endlich passiert was, endlich gibt es ein Momentum. Gegen die rechten und teilweise rechtsextremen Äußerungen, Taten und politischen Positionen der AfD – und nicht nur der AfD. Auslöser – mittlerweile wissen es alle – war die Recherche der Kolleg*innen von Correctiv. Anfang des Jahres deckten sie ein Geheimtreffen auf, bei dem rechte Funktionäre sogenannte „Remigrationspläne“ – de facto Deportationspläne – besprachen. Vor Ort waren auch AfDler:innen, CDUler:innen und Mitglieder der Werteunion. So weit, so bekannt. Seitdem diskutiert das Land vermehrt über die menschenverachtende Politik von Rechtsaußen, es formen sich Bündnisse, Demonstrationen verzeichnen bis zu einer sechsstelligen Anzahl an Demonstrierenden – primär gegen Rechtsextremismus, teilweise auch gegen rechts. Das ist erstmal gut: In einem wichtigen Wahljahr wie 2024 scheint es eine breite Anzahl an Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen zu geben, die sagen: So kann es nicht bleiben. Eine Einordnung dessen, was wir derzeit beobachten.

Zu der Kritik an Repräsentation und mangelnder Vielfalt

Menschen mit Migrationsbiografie, BIPoC, Menschen, die Rassismuserfahrungen gemacht haben, viele von ihnen sagen zusammengefasst etwas wie: „Schön, dass ihr auf die Straße geht. Gut, dass ihr euch engagiert und den Status Quo nicht hinnehmen wollt. Aber all das, was die Correctiv-Recherchen öffentlich gemacht haben, ist für uns schon immer Alltag. Das haben wir auch schon immer gesagt, ihr habt es nie gehört, vielleicht, weil ihr es nicht hören wolltet“. Das ist eine Kritik, die wir uns gefallen lassen müssen, denn sie ist wahr. Viele Menschen machen in Deutschland tagtäglich Rassismus-, Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen. Und so kann – beziehungsweise darf – es nicht wundern, dass sich einige dieser Erfahrungen sogar auch auf den derzeitigen Demonstrationen wiederholen: Weil viele der Demonstrationen eben recht pauschal „Nazis raus“ und „ganz Berlin hasst die AfD“ rufen. Ohne das systemische Große und Ganze zu sehen. So beschreibt Simone Dede Ayivi in einem taz-Artikel zum Beispiel, dass viele der Demonstrationen nicht barrierefrei seien. In den sozialen Medien werden Übergriffe auf Palästinenser:innen geschildert.

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Die Strukturen der Demos gegen rechts

Dass die Demonstrationen sich zunächst auf die aktuellsten Entwicklungen beziehen, kann aber auch nicht wundern. Sie sind der Auslöser und geben einen konkreten und akuten Anlass zur Mobilisierung. Dass systemische Fragen hier nicht ganz mitgedacht werden, kann an der Aktualität der Correctiv-Recherche, dem Medium Demonstration oder möglicherweise an den Initiator:innen der Demonstrationen liegen – vielleicht auch an einer Mischung. Während sich recht zeitnah nach den ersten großen Demos einige Bündnisse formiert haben, die Demonstrationstermine sammeln und ankündigen, stammt die ursprüngliche Struktur der Demos aus den Kreisen von Fridays For Future. Die Fridays haben in den letzten Jahren etwas zustande gebracht, was in den Jahren zuvor nicht wirklich in der gleichen Größenordnung gelang: Sie haben eine Infrastruktur aufgebaut, die regelmäßig große Teile der Bevölkerung dazu animiert, für etwas zu demonstrieren: Mehr Klimaschutz. Das muss man der Bewegung in jedem Fall anerkennen. Dennoch gilt sie als sehr bürgerlich, weiß und großstädtisch. Eine Kritik, der sich die Gruppe von unterschiedlichen Richtungen ausgesetzt sieht.

Das mit der Doppelmoral

Viele Linke sagen derzeit, dass sie nicht auf die großen Demonstrationen gegen rechts gehen. Sie sagen auch, dass alle, die es ernst meinen mit ihrem Appell gegen rechts und Rechtsextremismus dies auch nicht tun sollten. Grund dafür ist zum einen die beschriebene mangelnde Vielfalt. Zum anderen, dass auf den Demonstrationen nicht nur Linke mitlaufen würden, sondern auch diejenigen, die sich beispielsweise in den demokratischen Parteien engagieren. So sieht man auf den Demos in der Tat Poster, Banner und Fahnen von den Ampelparteien SPD, Grünen, FDP sowie von CDU und der Linken. Wer neben den Steigbügelhaltern der CDU demonstriert, könne es nicht ernst meinen. Auch die Ampelparteien mit ihrer restriktiven Migrations- und Abschiebepolitik seien nicht unschuldig am Erfolg der AfD. Wer AfD-Narrative übernimmt und eine ähnliche Politik nur in diplomatischerer Sprache macht, sei Teil des Problems. Das stimmt im Grunde. Von CDU über FDP und SPD bis Grüne sind alle Parteien zumindest mitverantwortlich am Rechtsruck.

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Sollte man neben Parteien gegen rechts demonstrieren?

Deshalb nicht mehr mit ihnen demonstrieren gehen zu dürfen, löst das Grundproblem aber auch nicht. Gegen einen so massiven Rechtsruck, wie er sich derzeit in den Umfragen und Wahlergebnissen abzeichnet, braucht es breite Allianzen und Bündnisse. Wenn man gemeinsam auf der Straße steht, heißt das ja nicht, dass man sich in anderen Räumen nicht inhaltlich auseinandersetzt und weiterstreitet. Das muss weiterhin passieren. Auch eine Doppelmoral – insbesondere der Grünen – muss weiter aufzeigbar sein. Gleichzeitig ist es auch wichtig zu betonen, dass Mitglieder der Basis einer Partei selten zu Einhundert Prozent mit der liberalen Realpolitik der Regierungsmitglieder übereinstimmen. Wer also – unbeabsichtigterweise – neben Jusos oder anderen SPD-lern demonstriert, wird selten Leute neben sich finden, die vehement die konservative Aussitzpolitik Olaf Scholz‘ in jedem Aspekt verteidigen.

Die stille Mehrheit der Gesellschaft

Dass auf den Demos Parteimitglieder sprechen oder Mitglieder aus Kirchenverbänden, hat den Vorteil, dass die Demonstrationen so ein großes Potential haben, einen breiteren und liberaleren Teil der Gesellschaft zu mobilisieren, als es ausschließlich linke Demos haben. In einem Wahljahr wie diesem ist das leider enorm wichtig, um die demokratische stille Mehrheit der Gesellschaft dazu zu bringen, nicht mehr still zu sein. Gegen Rechtsextremismus zu sein und gegen ihn auf die Straße gehen zu können, sollte Konsens sein können.

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Wen machen wir zu unseren Gallionsfiguren?

Greta Thunberg wurde das Gesicht einer Bewegung, als die Influencerkultur 2019 und vor der Pandemie in den sozialen Medien einen Höhepunkt erreicht hatte. Mit Greta Thunberg kamen Luisa Neubauer, ihre Cousine Carla Reemtsma, Clara Mayer und co. Die Klimabewegung bekam in Europa junge (und weiße) Frauen als ihre Gesichter. Die social Media Auftritte der Fridays wurden wichtig um Gleichgesinnte zu finden und Demodaten bekannt zu machen. Es gibt aber noch andere Aktivist:innen, für die die sozialen Medien wichtig sind. Eine von ihnen ist die bekannte Menschenrechtsjournalistin und -aktivistin Düzen Tekkal. Tekkal spricht derzeit auf vielen Demonstrationen, hat einen gemeinnützigen Verein gegründet, der sich für Menschenrecht einsetzt. Und seit neustem hat sie auch eine soziale Agentur. Was viele nicht wissen: Tekkal ist auch ein Gesicht der CDU. Sie war in mehreren CDU-Schattenkabinetten für Posten vorgesehen – unter anderem bei Julia Klöckner – und ist im Vorstand der CDU-nahen Adenauer-Stiftung. Sie verfasste 2020 mit Jens Spahn (!) in der FAZ (!) – Achtung, alles tiefkonservativ – einen Gastbeitrag zu einem neuen Leitbild der CDU.

Bekanntheit und Online-Kultur

Tekkal tritt auf den Demonstrationen aber nicht als CDUlerin auf, sondern als Aktivistin. Wie viele (linke) Demonstrationsteilnehmer:innen sind sich wohl dessen bewusst, dass sie aktives Mitglied in unterschiedlichen CDU-Gremien ist? An dieser Stelle können wir die linken kritischen Stimmen also mehr als nachvollziehen. Denn was sagt es über eine Bewegung aus, wenn sie intransparent die gleichen Redner:innen auf die Bühne stellt, die auf allen großen Demonstrationen, so zum Beispiel bereits bei den Demos für mehr Frauenrechte in Iran, sprechen? Einfach nur deshalb, weil die Redner:innen eine große Bekanntheit – ob online oder offline – haben. Dabei möchten wir Frau Tekkal ihre Expertise nicht aberkennen. Wir fragen uns nur, ob sie wirklich die Einzige ist, die in Frage kommt, um wiederholt auf solchen Demonstrationen zu sprechen. Und wir fragen uns, was es mit einer Bewegung macht, wenn wir nach jeder Demonstration – ob gegen rechts oder bei Fridays For Future – Selfies von Neubauer und Tekkal auf den jeweiligen Kanälen sehen. Ja, personelle Identifikation funktioniert. Aber an welcher Stelle wird daraus Performanz für die sozialen Medien, bestehend aus einem exklusiven Kreis von Aktivist:innen?

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Zu der Kritik an der Kommunikation: Das Video der Berliner Demo gegen rechts

Auch im Anschluss an die Demonstrationen gab es bereits Kritik. Unter anderem das Aktionskunstkollektiv Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) teilte ein Video der Demonstrationen in Berlin, unterlegt mit einem Sound von einem Lied, das auf der Demonstration so ähnlich gesungen wurde. Das Video ist von einem Turm gefilmt und zeigt eine Menge aus zehn- bis hunderttausenden Menschen, die ihre Handys mit Licht in die Luft halten und singen. Leider weicht der Text in dem Lied von dem ab, der vor Ort gesungen wurde. Außerdem ist der Ton viel zu klar, um gleichzeitig mit dem Video vom Turm gefilmt werden zu können. Während das ZPS niemals behauptete, dass das Video mit dem Originalton unterlegt sei, wurden bereits relativ schnell Stimmen in den sozialen Medien laut, die das Video als Fake bezeichneten.

Fake News?

Viele – nicht nur von rechter, spalterischer und verschwörungstheoretischer Seite – haben nicht das beste Gefühl bei dem Video. Es wirkt mächtig, erhaben und gleichzeitig eben ein wenig schräg. Das Video als Fake News zu bezeichnen, wie es einzelne Journalist:innen taten, trifft den Kern der Sache aber auch nicht: Bei TikTok und auch in Instagram Reels ist es gängige Praxis, Videos mit anderen Sounds zu unterlegen, darauf beruft sich auch das ZPS (das das Video von auf TikTok von einem SPD-Kanal übernommen hat). Dennoch hätten sowohl das ZPS als auch die SPD einfach in den Begleittext schreiben können, woher der Sound des Videos stammt, nämlich von einer Demonstration aus Leipzig zu einem früheren Zeitpunkt.

Das ist doch der Vorteil, den wir haben und den wir uns auch zunutze machen müssen: Die Wahrheit. Ohne zu verkürzen, zurechtzubiegen und ein ungutes Gefühl zu hinterlassen. Natürlich ist das Verfahren, ein Video mit anderem Ton zu posten für die sozialen Medien ganz normal. Aber gerade Plattformen wie das Zentrum für politische Schönheit wissen doch, wie sehr die Stimmung derzeit aufgeheizt ist – gerade online. Das Video mit dem falschen Ton schaffte es sogar in die Berichterstattung vom ZDF. Dort stieß es in den Kommentaren auf das typisch rechte Verschwörungsgeschrei. Schade. Wäre das ZPS – und die SPD – ein wenig vorsichtiger und gründlicher gewesen, hätte das ZDF vielleicht in diesem Beitrag nicht über die Diskussion berichtet, sondern über die Sache an sich. Darüber, wie viele hunderttausende Menschen auf die Straße gehen, weil sie sagen: Die AfD repräsentiert uns nicht. Wir wollen sie und ihre menschenverachtenden Inhalte nicht.

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Über Performanz und Medienwirksamkeit

Im Zuge der gesamten Diskussion haben wir uns noch etwas anderes gefragt, nämlich etwas ein wenig Generelleres. Müssen auf einer Demo alle ihr Handy zücken, in eine orchestrierte Richtung leuchten und im Chor dasselbe singen? Dass auf bürgerlichen Demos weniger laut und mit weniger Momentum Claims gerufen werden als auf Linken Demos, verwundert nicht. Aber ein Lied von einer Bühne vorzugeben, während gleichzeitig gesagt wird, man solle sich in eine bestimmte Richtung drehen und mit der Handylampe leuchten, weil dort das Foto für die Medien geschossen wird, ist schräg. Es erinnert zumindest an US-amerikanische Entertainment-Halbzeitshows von Sportveranstaltungen. Wurde die Demonstration bei um null Grad und Glatteis auf der Wiese vorm Reichstag in Berlin deshalb auf 16 Uhr gelegt, damit die Fotos stimmungsvoller aussehen?, wird online gemutmaßt. In jedem Fall spielt das Orchestrierte in die Hände derer, die sagen: Eure Demonstrationen sind performativ. In wenigen Wochen schwindet das Demo-High und damit eure Solidarität.

Was bleibt nach den Demos gegen rechts?

Was wir halten müssen, ist ein Momentum. Fridays For Future haben das geschafft, zumindest teilweise. Nicht mehr jeden Freitag gehen tausende Menschen auf die Straße, bei den Global Climate Strikes zwei Mal im Jahr aber schon. Das Anliegen bleibt aktuell, weil die Politik zu langsam, teilweise rückschrittig agiert (Danke, Christian Lindner und Volker Wissing). Deshalb ist es nachvollziehbar, wenn Klimaschutzaktivist:innen sagen, sie sind müde, beispielsweise nach der Räumung von Lützerath. Wie hält man also ein Momentum? Denn bei teilweise dreißig Prozent für eine AfD haben wir eine Mammutaufgabe vor uns. Wir dürfen nicht aufhören, über die Demonstrationen zu sprechen und zu ihnen zu gehen. Wir dürfen nicht nur Sharepics teilen an Tagen wie dem 19.Februar, sondern auch dann laut sein und auf die Straße gehen.

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Ein Momentum halten

Ganz besonders wichtig ist aber – und hier schließt sich der Kreis ein wenig – bestehende Bündnisse, Vereine und Initiativen zu unterstützen, die sich gegen rechts und Rechtsextremismus einsetzen. Es gibt seit Jahren und Jahrzehnten Bündnisse gegen den rechten Rand, die auf strukturellen und Alltagsrassismus aufmerksam machen, die sich gegen Ausgrenzungen und Diskriminierungen einsetzen. Sie haben Strukturen etabliert – teilweise sehr erfolgreich auch in ländlichen Räumen. Sie brauchen Geld, Schutz, Ressourcen und Öffentlichkeit. Wir müssen uns auch fragen, in welchen Räumen man auch darüber hinaus etwas erreichen kann. Lohnt es sich, in Massenmailings Abgeordneten zu schreiben? Oder ist es für nachhaltige Effekte vielleicht sinnvoller, auch auf Parteimitglieder oder Kreisverbände auf niedrigerer Ebene zuzugehen, die den direkten Dialog zu ihren Abgeordneten suchen können? Können wir uns einbringen in Initiativen im ländlichen Raum, auch ohne da zu sein? Zum Beispiel in der Unterstützung der Vernetzung zu unserem Wohnort oder vielleicht in der Öffentlichkeitsarbeit? Oder wir fragen sie einfach mal: Was braucht ihr? Und hören denen zu, die seit Jahren wissen, was sie tun. Wenn wir Wissen bündeln, dann sind wir gemeinsam gegen rechts besonders stark.

Vielen Dank an Timo Krügener, der für diesen Beitrag seine Demobilder aus Halle und Leipzig zur Verfügung gestellt hat.

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  1. Debord says:

    Guter Beitrag zur linken Spalt-Rhethorik! Selbstverständlich muss es bei der (mittlerweile AfD-freundlichen) Politik der „Ampel“ zwar bigott erscheinen, wenn deren Parteimitgliederinnen und -glieder auf einmal „gegen rechts“ auf die Straße gehen, und auch ich finde es befremdlich, mit €DUlerinnen und €DUlern gemeinsam zu demonstrieren — doch dies sind offenbar befremdliche Zeiten. Wenn die bürgerliche Presse begrüßt, dass „die Mitte“ (wer immer das sein mag) aktuell Gesicht zeigt, sollten orthodoxe Linke keine Mitdemonstrantinnen und -demonstranten ausgrenzen…

  2. Pingback:"Ein Kampf gegen Windmühlen" - Proteste gegen Rechts im ländlichen Sachsen - Reversed Magazine

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