Schon beim Verlassen des Zuges im sächsischen Waldheim wird deutlich, dass der Kampf gegen rechts hier ein anderer ist. Es finden sich zwar wie in Leipzig die klassischen antifaschistischen Graffitis. Sie sind hier jedoch von der Gegenseite übersprüht. Unter der Brücke beim Bahnhof – ein übermaltes SS-Symbol neben einer großen Lokfahne. Hier ist es, dass wir Ocean Hale von Queeres Döbeln und Cindy von den Bunten Perlen Waldheim treffen.
Die Veröffentlichungen vom Correctiv haben eine Protestwelle gegen Rechts ausgelöst, wie es sie lange nicht mehr gegeben hat. Deutschlandweit sind seitdem Millionen Menschen auf die Straßen gegangen und sogar die Umfragewerte der AfD sinken in einigen Umfragen. Die Bedrohung von Rechts wurde jedoch nicht erst mit den Veröffentlichungen deutlich: „Nie wieder war vor drei Jahren, vor 10 Jahren, vor 15 Jahren und vor 20 Jahren auch schon“, sagt Cindy, denn Cindy kommt aus Waldheim.
Für sie ist die Bedrohung seit jeher Realität. Hier aktiv zu sein ist unbequem. Es bedeutet, sich jeden Tag mit dem aktuellen Rechtsruck konfrontiert zu sehen. Den rechten Menschen auf der Straße zu begegnen, die Kinder in den gleichen Kindergarten zu schicken und seit Jahren Montagsspaziergänge mit hunderten Teilnehmenden mitansehen zu müssen. Ocean und Cindy sind zwei Menschen, die sich dem in den Weg stellen. Sie gehen seit Jahren trotz der schwierigen Bedingungen und einer ernsten Bedrohungslage auf die Straße.
Kampf gegen rechts – Kampf gegen Windmühlen
„Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, sich in Waldheim gegen rechts einzusetzen“, sagt Cindy. In Waldheim hat sie es nicht nur mit gewaltbereiten und häufig vorbestraften Neonazis zu tun, sondern auch mit dem Umstand, dass unterschiedlichste Akteure den Aktivist*innen Steine in den Weg legen. Dennoch entschied Cindy sich nach einiger Zeit auf Norderney und bei der Meisterschule in München, wieder zurückzukehren. Wieder in Sachsen lernte Cindy Ocean kennen. Eigentlich aus Döbeln kam Ocean nach Waldheim, um den dortigen Protest zu unterstützen. Im Gespräch schildern die beiden ihren Kampf.
„Egal, wo ich gelebt habe, ich war immer politisch aktiv, aber ich habe noch nie so krasse Sachen wie hier erlebt. Auch wenn wir bei überregionalen Bündnistreffen die Situationen in unseren Heimatstädten erzählt haben, waren die Leute nur fassungslos. Dir werden immer irgendwelche Steine in den Weg gelegt. Du musst dich immer nochmal extra durchbeißen“, beschreibt Cindy die Situation.
Der Kampf beginnt also schon bei der Anmeldung der Demo. Denn auch nach langen Verhandlungen und Kooperationsgesprächen bleibt es dabei: Man wird trotz ernsthafter Sicherheitsbedenken mit den Nazis auf dem gleichen Platz stehen müssen. Außerdem zieht die Nazidemo mehrfach im Verlauf des Abends nur eine Polizeiautobreite entfernt vom Protest vorbei. Die einzige Konsequenz, die die Polizei aus Cindys Sorgen zieht, ist eine komplette Umrandung der Kundgebung mit Polizeiautos. So ist die Kundgebung zwar vor dem Naziprotest geschützt – es bekommt jedoch niemand etwas davon mit, was hinter dieser Wand aus Polizeiautos stattfindet.
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Weiter geht der Kampf dann vor Ort: „Die Presse hat dann noch ihr Übriges dazu beigetragen. Wir hatten vor einer Woche Banda Comunale, eine tolle Band aus Dresden zu Gast, tolle Redebeiträge und insgesamt eine super Demo mit guter Stimmung. Und in der Presse gab es kein Wort zu den Redebeiträgen, kein Wort zu der Stimmung, sondern nur, dass unsere Teilnehmenden die Nazis beschimpft hätten. Wie es sein kann, dass wir Leute anschreien, die friedlich durch die Stadt laufen. Die Leute, die uns seit Jahren bedrohen“, erzählt Ocean dazu. Weiter steht in dem Presseartikel, dass es bei so einem Verhalten nicht verwunderlich sei, dass „die bürgerliche Mitte“ die Demo meide.
Vor Ort zeigt sich jedoch das Gegenteil: Die Versammlung ist sehr bunt und wird von allen Altersgruppen besucht. Ocean erklärt dagegen den eigentlichen Grund, weshalb einige Teile der bürgerlichen Mitte dem Protest fernbleiben: Die Leute haben Angst, dass die Schaufenster bei ihren Geschäften eingeschmissen werden, Profite ausbleiben, sie bedroht oder angegriffen werden, wenn sie sich auf den Demos zeigen. Diese Angst sei auch ein Grund, warum sich ein kleiner Teil der Teilnehmenden in der Vergangenheit vermummt hat: „Die filmen uns seit Wochen. Im ländlichen Raum, mit nur 200 Demonstranten auf der eigenen Seite ist das ein Problem. Da ist einfach keine Anonymität gegeben. Die greifen uns nicht am Protesttag an. Die wissen ja, dass Polizei da ist, aber die haben dann unsere Gesichter und ziehen uns im Alltag raus.“
Die Gegner
Neben all diesen Faktoren, die den Kampf gegen Rechts in Waldheim erschweren, sehen sich Ocean und Cindy mit einer erstarkenden und breit aufgestellten rechten Szene konfrontiert. Sie erklären: „Hauptakteur war hier in der Gegend lange die NPD. Wir hatten in Döbeln ein NPD-Mitglied im Stadtrat, das unter anderem wegen Körperverletzung vorbestraft ist. Es waren wirklich viele bekannte Gesichter aus der rechten Szene hier auf den Demos. Als dann der NPD die staatlichen Mittel gestrichen wurden, sind viele von denen zu den Freien Sachsen gegangen.“
Die seien der neue Hauptgegner geworden: „Sie wissen jedoch, wenn sie eine Veranstaltung über die NPD oder Freie Sachsen anmelden, schaffen die es zwar ein, zwei Mal die komplette Nazihorde aus Deutschland zu versammeln, aber sonst stehen bei ihnen nur sehr wenige. Immer dann, wenn es darum geht, größeren Protest zu mobilisieren, meldet die AfD an. Denn sie zieht die Leute mit angeblich demokratischen Werten.“ Auch diesen Montag sind auf der Demo überwiegend AfD- und Deutschlandfahnen zu sehen. Die AfD stellt zudem einen Anhänger mit Logistik. Darüber hätte sie, wenn die Polizei nicht eingeschritten wäre, auch während des stillen Hanau-Gedenkens Lärm gemacht.
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Die Verbündeten
Um dem etwas entgegenzusetzen, versuchen Ocean und Cindy in ihrem Bündnis breit zu mobilisieren. Dazu gehört es auch, Kompromisse mit den unterschiedlichsten Akteuren zu schließen. So finden sich auf der Demo Menschen aller Altersgruppen und aus diversen gesellschaftlichen Schichten. Es ist wichtig, solche Bündnisse voranzutreiben, aber Cindy betont, dass wir dabei nicht unsere hart erkämpften Werte aufgeben sollten. Deshalb stellt sie die Frage, wo wir die Grenze in unserer Kompromissbereitschaft ziehen.
„Wir sollten von unseren Werten, die wir uns hart erarbeitet haben, nicht wieder etwas abgeben. Ich hatte ein Gespräch mit einem sehr bürgerlichen Menschen auf unserer Demo. Irgendwann kam er auf mich zu und meinte, das Gendern nervt ihn. Ich wies ihn dann darauf hin, dass das doch gerade gar nicht das Thema der Veranstaltung sei. Da ist immer die Frage, wo fängst du an, die Grenze zu setzen? Darf dann bei uns eine Person keinen Redebeitrag mehr halten, weil es sein könnte, dass sie gendert und die fünf alten weißen Männer vertreiben könnte, die da stehen? Machen wir dann wieder Rückschritte? Natürlich ist das vielleicht im Vergleich zu dem krassen Faschismus, der abgeht, eine kleinere Sache. Genauso habe ich ihm das dann aber auch erklärt: Dass das hier gerade gar keine Rolle spielt. Dass es mir egal ist, ob du genderst oder nicht genderst.“
Ocean ergänzt dazu: „Dennoch gibt es jede Woche Beschwerden darüber, dass auf den Demos Antifa-Flaggen wehen und viel linke Musik zu hören ist. Wir haben bei der Musikauswahl extra darauf geachtet, dass da nichts gewaltaufrufendes dabei ist. Aber ich lösche jetzt nicht jedes Punkrocklied aus der Liste. Denn die Mehrheit, die dort sind, sind bekennende Antifaschist*innen. Auf jeder Demo sagen wir den Leuten: Lasst uns doch nicht auf unsere Unterschiede schauen, sondern auf unsere Gemeinsamkeiten. Leider verstehen das nicht alle.“
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Wie der Kampf gegen Rechts in Waldheim weiter geht
Auch auf der Demo am 19.02., dem Gedenktag für die Morde von Hanau, wird wieder viel Wert auf Gemeinsamkeiten gelegt. Obwohl die Zahl der Teilnehmenden im Vergleich zu den vorherigen Wochen weiter auf 150 gegenüber 220 auf der rechten Seite zurückgegangen ist, findet eine kraftvolle Demonstration und ein respektvolles Gedenken statt.
Maren Enke, die mit Freund*innen aus Leipzig angereist ist, berichtet ebenfalls am Rande der Demo, dass es ein empowerndes Erlebnis und sicher nicht ihre letzte Demo in Waldheim war: „Wir sind mit einem flauen Gefühl nach Waldheim gefahren, aber es war so inspirierend, den Protest vor Ort zu sehen. Er hatte auf uns eine ganz andere Wirkung als die Großstadtdemos, viel inspirierender. Großen Respekt an die Leute, die hier jede Woche auf die Straße gehen“. Auch Cindy zieht ein positives Fazit: „Es war eigentlich total gut. Wir sind froh, dass wir einen kleinen Slot hatten, um gut zu gedenken. Das wurde uns auch durch die Polizei ermöglicht.“
Der Protest in Waldheim wird in jedem Fall weiter gehen. In unserem zweiten Gespräch mit Ocean und Cindy sprechen wir über die Dringlichkeit von Support aus der Großstadt und das Thema Angst im ländlichen Raum. Eine Einordnung der aktuellen Proteste findet ihr außerdem hier.
Interessanter Artikel, gut geschrieben!!!
Mutiger Protest, und so wichtig in der heutigen Zeit!! Weiter so!!!
Flagge zeigen gegen Rechts ist immens wichtig.
Wir sind mehr !
Wichtige Recherche und toller Artikel. Weiter so!
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