S

Schule muss anders: Im Gespräch über Bildung als Grundstein unserer Gesellschaft – Teil 1

Schule muss anders gehen: Schlechte Bedingungen und fehlendes Reinigungspersonal, Lehrkräftemangel, Sanierungsstau, keine Infrastruktur für Inklusion und unzureichende Lösungen seitens der Politik: Die Kampagne Schule muss anders kämpft für bessere Bildungs- und Arbeitsbedingungen und -voraussetzungen an Berliner Schulen, fordert eine grundlegende Bildungsreform. Die Probleme sind seit vielen Jahren bekannt, geändert hat sich bisher aber so wenig, dass die Lage immer prekärer wird. Und das, obwohl Bildung doch für eine demokratische Gesellschaft unabdingbar ist. Deshalb möchten wir euch bei reversed unsere erste Reihe vorstellen: Wir begleiten die Kampagne Schule muss anders über den Sommer, um alle Aspekte, die medial und politisch häufiger zu kurz kommen, zu beleuchten.

In unserem ersten Teil erzählt uns Susanne Kühne, die hauptberuflich in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit arbeitet, unter anderem für Schule muss anders, was die Kampagne genau erreichen will und welche Forderungen an die Politik sie hat.

Wir freuen uns, bald tiefer einzusteigen.

Susanne, was ist Schule muss anders?

Schule muss anders ist eine Initiative aus Eltern, Schüler:innen, Lehrkräften, Sozialarbeiter:innen, Studierenden. Wir sind eine politische Kampagne. Das heißt, wir stellen grundlegende Forderungen an die Politik. Denn wenn die Basis nicht da ist, dann müssen wir gar nicht weiterdenken, an welchen Stellen man kurzfristige und langfristige Lösungen finden kann. Wir brauchen nicht über eine chancengerechte und individuelle wie auch inklusive Schule nachzudenken, wenn in der gesamten Schullandschaft weder Gelder, Personal noch Räumlichkeiten vorhanden sind.

Deshalb ist es eine Kernforderung von uns, mehr Personal auszubilden, das Studium an der Universität attraktiver zu machen und Voraussetzungen zu schaffen, damit das Studium gut gelingen kann. An den Schulen braucht es aber auch multiprofessionelle Teams, um den Bedarfen der Schüler:innen gerecht zu werden. Als Initiative haben wir es geschafft, dass für die Lehrkräftebildung mehr Gelder zur Verfügung gestellt werden, insgesamt 50 Millionen. Das klingt zwar viel, ist bei 700 Schulen in Berlin und tief verankerten systemischen Problemen aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Der Vergleich ist natürlich schwierig, drängt sich aber auf: Das 100 Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr zeigt ja, dass noch Gelder zur Verfügung gestellt werden könnten.

Das ist das Geld, was es auch für die Bildung geben sollte. Sie ist nun mal der Grundstein unserer Gesellschaft. Unser Hab und Gut. Wir sind hier natürlich in einem wunderbaren Land mit vielen Möglichkeiten, aber wir laufen über Bildung – und über den gesamten sozialen Rahmen. Wir möchten nämlich auch, dass Kinder und Jugendliche die Möglichkeit haben, echte Teilhabe zu erfahren. Wenn sie Förderbedarf haben, muss er abgedeckt werden. Lehrkräfte sollten Zeit für die Kinder haben, um ihnen zuzuhören, sie als Personen wahrnehmen zu können. Denn nur dann werden die Kinder auch auf die Lehrenden zugehen, wenn es ein Problem gibt. Natürlich ist es auch für Lehrer:innen enorm frustrierend, wenn sie bemerken, dass ein Kind ein Problem hat, aber sie dem auf einer persönlichen und emotionalen Ebene vielleicht nicht nachkommen können.

Oder es braucht Ansprechpartner:innen, die genau dafür ausgebildet sind …

Ja. Deshalb sind multiprofessionelle Teams in Schulen bestehend aus Sozialarbeiter:innen, Ergotherapeut:innen, mehr Psycholog:innen und anderen Berufsgruppen definitiv auch eine unserer Forderungen. Bei Kindern mit speziellem Förderbedarf braucht es eigentlich auch noch mehr als eine Lehrkraft, bzw. eine passende und vor allem kontinuierliche Unterstützung im Klassenraum.

Wo mangelt es im konkreten Unterricht noch?

Bundesweit gehen rund 50.000 Schüler:innen jährlich komplett ohne Schulabschluss ab. Das ist nicht tragbar für ein Land wie dieses, wo es so viele Möglichkeiten gibt, gut auszubilden. Hier braucht es auf der einen Seite mehr Lehrkräfte, um diese Schüler:innen zu unterstützen. Und gleichzeitig eine Bildung, ein Bewusstsein und Sichtbarkeit dafür, welche Berufe es überhaupt da draußen gibt. Orte, an denen junge Menschen in Kontakt kommen mit Berufsbildenden und eine Möglichkeit haben, auszuprobieren, kennenzulernen, ein Interesse zu entwickeln. Das kann bei Handwerk anfangen über Werkstätten.

Foto: Schule muss anders

Welche anderen, vielleicht weniger sichtbaren Bereiche gibt es noch, die auch dringend einer Änderung bedürfen?

Inklusion wird politisch – und medial – überhaupt gar nicht richtig bedacht. In der Schule gibt es das Recht, aber nicht wirklich den Willen, dieses Recht umzusetzen, dass Inklusion auch wirklich gelingen kann. Immerhin gilt seit 2009 auch in Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention und damit haben behinderte Kinder ein Recht auf inklusive Bildung. Und es ist höchste Zeit, bestmögliche Grundvoraussetzungen dafür zu schaffen. Das gleiche gilt für Antidiskriminierung. Wir hatten es eigentlich geschafft, dass eine Antidiskriminierungsstelle in Berlin eingerichtet werden soll. Nach der Wiederholungswahl wurde das Thema wieder gestrichen und das ist beispielsweise etwas, wo wir uns wieder dahinterklemmen, dass das Thema doch umgesetzt wird.

Worauf genau bezieht sich diese Forderung von Schule muss anders?

Diskriminierung ist ein großes Thema an vielen Schulen und eine Antidiskriminierungsstelle soll hier in Berlin Betroffenen die Möglichkeit geben, sich außerhalb der eigenen Schule Unterstützung zu holen. Grundlegend muss allerdings auch dafür gesorgt werden, dass Antidiskriminierung im Studium bereits thematisiert wird. Wie geht man damit um als Lehrkraft, als Lehrerin, als Lehrer, in einer Situation, in der ich sehe, dass Kinder diskriminiert werden? Oder diskriminiere ich vielleicht selber, weil ich selber Vorurteile habe, die ich so gar nicht wahrnehme? Das kann ja auch durchaus vorkommen. Wir sind alles nur Menschen. Da sehe ich einen ganz großen Bedarf. Antidskriminierungsbildung kann einen großen Einfluss auf Schüler:innen haben: Habe ich noch ein Interesse an der Schule als ein Ort, wo ich gerne hingehe, wo ich neugierig sein kann, wo ich natürlich auch mal Durchhänger habe, aber wo eigentlich meine Interessen geweckt und gefördert werden sollten?

Das Thema Bildung ist komplex und vielschichtig. Es muss klar sein, dass Bildung uns etwas wert ist. Und nicht nur, weil es nice to have ist, sondern weil sie die Grundvoraussetzung ist, damit dieses ganze Land überhaupt am Laufen gehalten wird.

.

Schule muss anders ist in ganz Berlin aktiv mit einer starken Ehrenamtsstruktur und wenigen bezahlten Kräften. Thematisch kann man in unterschiedlichen Arbeitsgruppen unterstützen. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt ist die Kommunikation mit der Politik auf Landesebene. Wer mitmachen möchte, Schule neu zu gestalten, meldet sich gern hier.

Mehr zu Bildung gibt es zum Beispiel hier.

CategoriesAktuelles
  1. Pingback:5 politische Learnings aus dem Jahr 2023 - Reversed Magazine

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert