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LGBTQIA+-Aktivismus in Polen: Zwischen entmenschlichender Politik und neugewonnener Unterstützung

Die rechte Regierung Polens hat die LGBTQIA+ Community zum Feindbild erklärt: Sie richtete LGBTQIA+-freie Zonen ein, propagiert Lügen über die „LGBTQIA-Ideologie“ in den Medien und wendet brutale Polizeigewalt auf Demonstrationen an. Seit der Wiederwahl des Präsidenten Andrzej Duda wissen Aktivist*innen des Landes: Die Situation wird sich in den kommenden Jahren wohl eher weiter verschärfen, als entspannen – ein Interview mit zwei Aktivist*innen von Lambda, dem ältesten und drittgrößten Verein für LGBTQIA+-Rechte Polens über die Dissonanz zwischen wachsender Gewalt und wachsender Unterstützung, einem Kampf gegen Windmühlen, Hoffnung und weshalb die Lage uns alle etwas angeht.

Sławomir und Hubert: Wie ist die Lage?

Sławomir: Schlecht. Strukturell wird es uns von allen Seiten schwer gemacht. Die Hassreden der Regierung sind schlimm. Unsere Finanzierung als Verein wird an jeder Ecke gekürzt. Eine große rechtsgerichtete Vereinigung, namens Ordo iuris, ist überall. Sie folgt jedem unserer Schritte, möchte über jedes unserer Gelder aus öffentlichen Quellen informiert werden: Wo es hinfließt und weshalb. Wir fühlen uns permanent beobachtet.

Hubert: Die Homophobie ist ganz klar systematisiert und von der Regierung initiiert. Die Hasskampagne der Regierung gegen LGBT+ Communities hat uns entmenschlicht. Sogar gerichtlich wird es LGBT+-Menschen schwer gemacht.

Wie das?

S: Momentan ist es so, dass wenn man eine Geschlechtsumwandlung vornehmen lassen möchte, man gegen seine Eltern vor Gericht gehen muss. Selbst, wenn sie einen unterstützen. Man muss sie quasi öffentlich dafür verantwortlich machen, dass man das falsche Geschlecht hat. Es ist absurd.

Glaubt die Bevölkerung der Regierung?

H:. Während der Wahlkampfzeit haben wir tatsächlich viel Unterstützung von der Gesellschaft bekommen, zum Beispiel mit Spenden. Dass die Situation für uns derart prekär ist, hat viele Menschen motiviert, uns zu helfen und sich aktiv einzubringen. Selbst vielen Menschen, die nicht aus der LGBT+-Community kommen, werden die Lügen langsam zu viel.

S: Viele Leute unterstützen uns, nicht unbedingt mit Regenbogenflaggen auf der Straße. Sondern auch durch Kommentieren oder Teilen in den sozialen Medien. In vielen Medienbeiträgen aus Regierungsnähe, in denen zum Beispiel Homosexualität mit Pädophilie gleichgesetzt wird, schreiben Leute darunter: Das stimmt nicht.

Also wird die Gesellschaft aktiver?

S: Vor zehn Jahren hat sich noch niemand um die Probleme der LGBT+-Community gekümmert, außer uns selbst. Auch die Politik hat uns nicht gesehen. Die Sichtbarkeit bringt Unterstützung, aber natürlich auch die riesige Homophobie vieler zutage. Die Gesellschaft ist gespalten.

Worin äußert sich das?

S: Ich kenne viele Leute, die Polen wegen unserer Situation hier verlassen. Sie gehen dann zum Beispiel nach Berlin, weil es dort inklusiver für die LGBT+ Community ist und trotzdem nicht weit von Polen entfernt. Viele fühlen sich hier nicht mehr sicher – insbesondere im konservativen Osten des Landes, wie Rzeszów oder Białystok. Aber auch in Warschau ist die Ablehnung groß.

Das Plakat ist Teil einer pro-LGBT+-Kampagne:
LGBT-Rechte sind nicht kirchen- oder verfassungsfeindlich, so wie es die Regierung propagiert (linke Seite), sondern rechtens (rechte Seite). „ja“ heißt „ich“, „ty“ heißt „du/Sie“.

Oft denkt man, dass die Hauptstadt eines Landes der liberalste und progressivste Ort ist. Weshalb ist das in Warschau nicht so?

S: Viele meiner Bekannten sagten, dass Danzig der erste Ort war, an dem sie auf offener Straße sahen, dass schwule oder lesbische Pärchen sich geküsst haben. Dass Danzig sicherer ist als Warschau, liegt glaube ich daran, dass Warschau als Hauptstadt Menschen aus ganz Polen versammelt.

Es treffen also Leute mit den unterschiedlichsten Vorstellungen aufeinander?

S: Genau, Warschau kann ein richtiger Clash of Cultures sein. Viele sagen sie fühlen sich hier in Gefahr, wenn sie mit ihrer sexuellen Orientierung offen umgehen. Ich selbst würde das von mir hier (noch) nicht sagen, zumindest nicht permanent. Aber ich passe mich der Situation an. Ich weiß, wenn ich mit einer Regenbogentasche durch die Straßen laufe, kann ich angegriffen werden. Also trage ich sie nicht mehr, ich möchte nichts provozieren. Meine Mitbewohnerin trägt ihre Regenbogenkleidung aber weiterhin. Jeder Aktivismus sieht anders aus.

Woran merkt man die Dissonanz zwischen Unterstützung auf der einen und Feindbild auf der anderen Seite noch?

H: Tatsächlich ist das Firmeninteresse derzeit groß. Lambda stellt schon lange Infomaterialien für verschiedene Unternehmen zu LGBT+-Themen bereit. Seit einiger Zeit kommen Firmen aber aktiv zu uns und sprechen uns direkt an, zum Beispiel weil sie ein Event zum Thema bei sich organisieren möchten. Insbesondere während des Pride Month ist das Interesse natürlich groß: Da haben wir dieses Jahr durch Covid beispielsweise ein Webinar zur Geschichte der LGBT+-Bewegung in Polen organisiert.

Spannend, dass die Situation politisch so schwierig ist, aber von wirtschaftlicher Seite wächst das Interesse. Wieso ist das so?

H: Lambda wächst. Teilweise kennen wir Leute in bestimmten Firmen, die sich für unsere Themen einsetzen und denen die Thematik am Herzen liegt. Kontakte sind in der derzeitigen Situation wichtig.

S: Und die Sichtbarkeit natürlich. Auch international.

Haben die Firmen keine Angst vor der Regierung?

H: Einige schon. Diese Unternehmen promoten das Event dann nicht öffentlich, über Social Media oder über ihre Website. Vielleicht machen sie sich Sorgen, dass es ihrer Außenwirkung schaden würde. Aber viele andere sind sehr interessiert, auch nach außen hin.

S: Insgesamt wird das Interesse von vielen Seiten aber größer, Jahr für Jahr. Trotz der Politik und trotz der Pandemie.

H: Genau. Denn viele Unternehmen, die bereits öffentlich mit uns zusammengearbeitet haben und jetzt sehen, dass sich das nicht nachteilig auf ihr Image ausgewirkt hat, kommen wieder auf uns zu.

Bunt und politisch: im Warschauer Lambda-Büro

Helfen euch solche Entwicklungen, die Hoffnung nicht zu verlieren?

S: Ja. Und dass das Wahlergebnis zum Beispiel so knapp war. Zuerst dachte ich, es sei naiv, zu hoffen, dass Duda die Wahl nicht gewinnt. Aber das Ergebnis war wirklich nicht eindeutig.

H: Ja. Und es ist unsere Aufgabe hier bei Lambda, Hoffnung zu haben und sie weiterzugeben an diejenigen, die sie brauchen. Wir tun, was wir können, Step by step.

Was ratet ihr LGBT+-Menschen in Polen?

S: Es gibt zum Beispiel einige große Facebook-Gruppen, wo LGBT+-Themen diskutiert werden. Die sind nicht speziell für Aktivist:innen, aber man wird über Neuigkeiten informiert und man kann offen diskutieren.

H: Und, was gerade jetzt sehr wichtig ist: Die Gruppen geben ein Community-Gefühl. Sie werden wirklich gebraucht.

Und was können wir in Deutschland tun?

S: Sichtbarkeit, Events, Solidarität, Spenden, zu unseren Veranstaltungen kommen. Wir sind nicht weit weg. Selbst organisieren, Druck auf die Regierungen ausüben. Wir können jede Hilfe brauchen.


Slawomir: ist 23, kommt gebürtig aus Danzig und zog nach Warschau zum Studieren. Seit mehr als drei Jahren engagiert er sich neben Uni und Job ehrenamtlich für Lambda, seinem „zweiten Zuhause“. Hubert: ist seit einem Jahr Teil des Lambda-Teams und zuständig für den Kontakt mit Firmen sowie die Koordination europäischer Projekte. Momentan arbeitet er an Material gegen die Diskriminierung von LGBT+-Menschen im Gesundheitssystem.

Der Artikel erschien zuerst auf divers.com.

LGBT ist die Eigenbezeichnung von Lambda.

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