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Wie nehmen wir fossilen Lobbys die Macht, WeiterSo!?

Mitte Dezember letzten Jahres stand auf dem Alexanderplatz in Berlin ein Saunazelt, in ihm sehr entspannte Vertreter:innen vom Lobbyverband Zukunft Gas. So sah es zumindest aus. Eigentlich waren es Schauspieler:innen, die so auf die Übergewinne der fossilen Energieunternehmen aufmerksam gemacht haben. Diese Aktion ist aber nur eine, die das Aktionskunstkollektiv Weiter So! seit 2022 initiiert, um aufzuzeigen, wie viel Macht die großen Lobbys im politischen Deutschland haben.

„Wir haben uns gefragt: Warum fallen eigentlich Entscheidungen immer zugunsten der Konzerne und selten zugunsten der Menschen, der Lebensgrundlagen und der Zukunft aus?“, erklärt Sam Beiras* aus dem Kollektiv die Entstehungsgeschichte ihrer Arbeit. „Immer wieder sind wir an den Punkt gekommen, an dem wir gemerkt haben, dass die Macht der Konzerne und Konzernlobbyismus die Ursachen dieses Problems sind“.

Ein Gespräch über die Gas- und Wirtschaftslobby, darüber, wie man die Mächtigen entmachten kann und welche Rolle Kunst dabei spielen kann.

Welchen Lobbyverband habt ihr denn schon herausgefordert und weshalb?

Bisher haben wir uns vor allem mit zwei Akteuren beschäftigt. Das ist zum einen der Wirtschaftsrat der CDU – und an der Stelle nicht täuschen lassen – die gehören nicht zur CDU, sondern sind einfach ein Lobbyverband von großen deutschen Unternehmen, die sich so nennen, weil sie der CDU inhaltlich nahestehen. Die CDU stört sich aber gar nicht daran, dass der Lobbyverband ihren Parteinamen im Namen trägt. Es wird geduldet. Aber nicht nur das: Der Wirtschaftsrat der CDU hat einen ständigen Sitz im CDU-Bundesvorstand. So kriegt er alles mit, was der Vorstand bespricht.

Wie funktioniert das dann praktisch?

Sie haben im Vorstand der CDU sogar ein Rederecht, mit dem sie die Interessen ihrer Mitglieder direkt gegenüber dem Vorstand äußern können. Es ist auch ein Problem, dass sie durch ihren Namen in der Presse häufig als Parteigremium wahrgenommen werden. Dabei sind es Lobbyisten aus der Industrie und dem produzierenden Gewerbe, die aktiv an der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen beteiligt sind. Direkt vor dem Bundesvorstand können sie dafür werben, weniger starke Auflagen zu bekommen, beispielsweise in Lieferketten oder beim Klimaschutz.

Das ist krass. Was habt ihr dagegen unternommen?

Wir haben eine Kampagne gestaltet, in der wir gefordert haben, dass wir als Zukunftsrat der CDU jetzt auch einen Platz im Vorstand haben möchten. Denn wir sind die Stimme der Zukunft, die da nicht gehört wird. Aktuell läuft sogar eine Klage gegen den CDU-Vorstand, die eine Person mitinitiiert hat, die auch bei uns im Zukunftsrat dabei war. Mit LobbyControl hat sie den Bundesvorstand verklagt. Vorm Bundesparteiengericht sind sie aus formalen Gründen gescheitert und sind jetzt vor ein Zivilgericht gezogen. Das geht bald in die nächste Runde.

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Okay, wir bleiben gespannt, wie es da weitergeht. Der zweite Lobbyverband, dem ihr ein Dorn im Auge seid, ist demnach Zukunft Gas?

Genau. Während die Klage gegen den CDU-Vorstand weiterläuft, haben wir uns gefragt, welche klimapolitischen Themen in den kommenden Jahren noch wichtig werden könnten. Denn uns ist wichtig, dass wir nicht nur dann eine Entscheidung kritisieren wollen, wenn sie getroffen wurde. Sondern dass wir vorher ansetzen und versuchen wollen, mögliche kommende Entscheidungen zu verhindern. Ein großes Thema der kommenden Jahre wird weiterhin noch fossiler Brennstoff sein – und bleiben.

Weshalb ist es dann Gas und der Lobbyverband Zukunft Gas geworden?

Wir hatten zwei Schwerpunktthemen in der engeren Auswahl und stellten dann fest, dass sie nicht voneinander losgelöst behandelbar sind: Das Thema fossile Energien hängt auch ganz stark mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit zusammen. Wir haben viel darüber gesprochen, wie sehr die politische Macht der Konzerne auch dazu führt, dass benachteiligte Haushalte immer ärmer werden, immer weniger Zugang zu Ressourcen haben, immer schwierigere Lebensbedingungen haben. Gleichzeitig wird es für diejenigen, denen es eh schon gut geht, immer angenehmer und leichter. Diese Schere trifft alle Bereiche, ob Folgen des Klimawandels oder soziale Teilhabe. Gerade sind eben diejenigen Haushalte von Energiearmut betroffen, die es vorher schon schwer hatten. Gleichzeitig machen die Energiekonzerne Rekordprofite.

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Und das habt ihr euch dann auch wieder über einen Aktionskunst-Ansatz vorgenommen. Wie kommt man da eigentlich drauf?

Auf einer Ebene macht es natürlich mehr Spaß, kreativ zu arbeiten – sowohl in der Organisation als auch in der Durchführung. Die Dinge sind schon schlimm genug, wir müssen nicht auch noch tief in die Verzweiflung hineingehen. Ein neuer und anderer Ansatz erregt auch einfach mehr Aufmerksamkeit. Viele Menschen sind von den immer gleichen Bildern, die Aktivismus produziert, abgestumpft. Auch glaube ich, dass es viele Menschen vielleicht gar nicht mehr ertragen, sich mit den immergleichen Problemen der Welt auseinanderzusetzen. Wir hoffen und glauben, dass Leute anders reagieren, wenn man im ersten Kontakt zunächst etwas total Lustiges, Absurdes, Überraschendes macht. Dass dann vielleicht ein Lachen eine erste Reaktion ist und die Leute sich fragen: Was passiert hier? Die Mächtigen entmachten wir nicht, indem wie sie anschreien, sondern indem wir sie lächerlich machen.

Wie kommt ihr dann vom Thema – wie zum Beispiel Gaslobby und dem Lobbyverband Zukunft Gas – zu den Aktionen?

Wir arbeiten uns lange inhaltlich in ein Thema ein. Das brauchen wir als Grundlage, auch wenn es schwierig ist, manche Details dann nicht in den Aktionen abbilden zu können. Aber unsere Arbeit soll ja zugänglich und anschlussfähig sein und die meisten Menschen werden sich eben nicht so sehr mit den Themen beschäftigt habe wie wir. Wichtig ist für uns ist in der Konzeptionierung, dass wir am Ende wissen, ob eine Aktion eigentlich etwas gebracht hat. Derzeit arbeiten wir mit dem Konzept der Theory of Change. Deshalb recherchieren wir lange, überlegen uns langfristige Ziele genauso wie im Anschluss mittelfristige, die uns zu den größeren bringen können. Wichtig ist dabei, dass wir die Ziele zum einen so formulieren, dass wir am Ende wissen können, ob wir sie erreicht haben oder nicht, dass sie messbar sind. Zum anderen versuchen wir, dass sie so konkret sind, dass sie zeitlich begrenzt sind und wir damit wirklich messen können, ob es einen Impact gab. Und erst ganz am Ende überlegen wir uns die konkreten Aktionen.

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Habt ihr da ein Beispiel für uns?

In der Zukunft-oder-Gas-Kampagne sind mehrere Stadtwerke aus dem Lobbyverband Zukunft Gas ausgetreten. Das ist ein messbarer Erfolg. In Euro heißt das, dass wir auf jeden Fall im fünfstelligen Bereich – vielleicht sogar im mittleren fünfstelligen – Einfluss genommen haben auf die Finanzierungsgrundlage vom Lobbyverband. Dadurch, dass wir auf die konkreten Zahlen schauen, versuchen wir uns auch selber ein wenig resilienter zu machen. Dass wir zwar wissen, dass wir einen Marathon laufen, aber dass es eben viele kleine Erfolge gibt, die wir feiern. Und gleichzeitig sehen wir im Austausch mit den Leuten bei den Aktionen auch schon, was gut funktioniert und was nicht. Bei der Zukunft-oder-Gas-Abschlussaktion am Alexanderplatz haben wir gemerkt, dass die Ausgangssituation gut funktioniert hat, das Zelt hat Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Aber die satirische Interaktion mit den Menschen war zu kompliziert. Besser war es, als wir in der direkten Interaktion dann eine erklärende Rolle eingenommen haben. Wir haben sie zum Beispiel gefragt, ob sie viele Nebenkosten hatten. Da haben wir gemerkt, wie stark der Redebedarf einfach ist.

Bietet ihr in euren Aktionen dann auch Lösungen an?

Die sozialen Krisen, in denen wir stecken, sind sehr komplex. Wer diese Komplexität einfach nicht anerkennt und eine einfache Lösung anbietet, das sind in der Regel die rechten und populistischen Kräfte. Natürlich ist Verkürzen leichter als zu sagen: Das ist ein strukturelles Problem, das natürlich auch noch mit den Faktoren x und y zusammenhängt. Diese Komplexität anzuerkennen heißt aber auch noch lange nicht, dass man sie gut erklären kann. Die spannendsten und schwierigsten Aspekte unserer Arbeit sind, der Komplexität gerecht zu werden und sie gleichzeitig verständlich zu halten. Kunst kann da eben ein Zugang sein.

Ihr habt ja eben schon LobbyControl erwähnt und dass ihr mit ihnen zusammengearbeitet habt. Im Grunde haben sie ein ähnliches Ziel wie ihr – nur einen anderen Weg.

Wir sind der Meinung, dass wir über jeden uns verfügbaren Weg versuchen sollten, diese strukturellen Probleme zu bekämpfen und eine Gesellschaft und eine Politik zu schaffen, die transparenter und gerechter ist. Da braucht es wichtige NROs wie LobbyControl, Leute wie uns und vielleicht auch noch radikalere Kräfte als uns, die zum Beispiel in Richtung gewaltfreie Sabotage oder ähnliches denken. Das ist nicht unser Weg. Aber wir entfalten am meisten Wirkung, wenn wir diese verschiedenen Wege zusammendenken und nicht einzelne Herangehensweisen kritisieren. Wir wollen, dass es Leute gibt, die das auch noch auf eine andere Art probieren als wir. Und am Ende können wir vielleicht die Dinge zusammendenken. Das haben wir auch im letzten Jahr schonmal gemacht.

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Was war das für eine Aktion, an der es eine Zusammenarbeit gab?

Das war tatsächlich vergangenen Sommer bei der eben schon erwähnten Stadtwerke-Kampagne, bei der wir die Stadtwerke zum Austritt aus Gas bewegen wollten. Dort hat sich gezeigt, dass man die unterschiedlichen Taktiken von LobbyControl und uns gut kombinieren kann: LobbyControl hat mit ihrer großen Reichweite, auch in die Presse, sowie ihrer großen Glaubwürdigkeit eine politische Kampagne gestartet. Unsere Aktionen waren vielleicht ein wenig ungehorsamer. Am Ende haben wir beide in Absprache jeweils das gleiche Thema behandelt für mehr Aufmerksamkeit. Das hat gut funktioniert.

Davon sollte es mehr geben…

Absolut – denn die Gegenseite macht es ja genauso. Wenn wir nicht zusammenarbeiten, dann geben wir ihnen einen riesigen Vorteil. Es ist ein Netzwerk aus Unternehmen, Parteien, Lobbyverbänden, Beraterfirmen, schrägen Vereinen und rechten Medien. Wenn die sich strategisch vernetzen und wir nicht, dann geben wir uns selbst einen riesigen Nachteil – und deren Vernetzung ist absolut strategisch. Und bei den Lobbyverbänden laufen all diese Fäden zusammen, deshalb sind sie für uns so interessant. Dort kommen Leute aus der Politik, Wirtschaft und Presse zusammen, um sich darüber auszutauschen, welche sinnvollen Strategien und Ideen sie haben, wie beispielsweise die Mitgliedsunternehmen von Zukunft Gas noch lange Geschäfte mit Erdgas machen können. Diese Ideen werden gebündelt und zurück in die Parteien, Ministerien, Unternehme und Medien getragen. Das müssen wir auch tun.

*Pseudonym.

Vielen Dank an Timo Krügener für die Fotos, die im Rahmen der Zukunft oder Gas-Kampagne entstanden sind und an weiterSo! für die Bilder, die im Rahmen der Zukunftsrat der CDU-Kampagne entstanden sind.

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