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Was Georgiens Straßenhunde über die Zerrissenheit des Landes verraten

Straßenhund in Georgien schaut durch ein Fenster, dahinter Natur. Szene in Tbilisi, Georgien, Straßenhunde-Rettungsprojekt von NGO DOG Georgia.

Lautes Bellen und aufgeregtes Schwanzwedeln – wer am DOG-Shelter in Tbilisi, der Straßenhunde versorgt, ankommt, wird schon von weitem herzlich empfangen. Und auch mit ein wenig Durcheinander. Deshalb schreibt Sara Anna Modzmanashvili-Kemecsei, die das Tierheim co-leitet, vorher: Zieht euch unbedingt Kleidung an, die dreckig werden kann. Unsere Puppies sind süß, aber auch sehr energisch. Vor Ort sehen wir, dass sie vor allem aber besonders eins sind: unglaublich liebevoll.

Georgiens Straßenhunde

Der südliche Kaukasus ist ein Wandertraum, Tbilisi eine gehypte junge und kulturell vielseitige Stadt, das am Schwarzen Meer gelegene Batumi das Las Vegas der Region. Das Essen ist reichhaltig, der Aufenthalt für Mitteleuropäer:innen vergleichsweise günstig: Georgien ist ein Reiseziel, das sich wachsender Beliebtheit erfreut. Worüber Reisende aber auch berichten, wenn sie wiederkommen, ist die große Anzahl an Straßenhunden und -katzen, die eigentlich jedes Stadtbild prägen. Laut Sara Anna Modzmanashvili-Kemecsei wird derzeit von 500.000 von ihnen ausgegangen. Nicht wenige von ihnen sind Huskies oder Schäderhunde.

In Städten dösen sie im Sommer faul im Schatten von Cafés, streiten sich in der Dämmerung lautstärker um Essensreste. In den Bergregionen sind sie merklich schlanker, aber auch hier zutraulich. Die meisten freuen sich über Wasser und Futter, aber mindestens genauso sehr über Streicheleinheiten. Dabei bleibt die Kontaktaufnahme natürlich nicht uneingeschränkt empfohlen. Obwohl Krankheiten wie Tollwut wirklich selten sind, wie uns eine Pflegerin im Dog Shelter Georgia (DOG) erklärt, sind zum Beispiel Flöhe nie ausgeschlossen. Noch häufiger ist es aber so, dass man sich eine Wanderbegleitung über die nächsten Kilometer mitnimmt, wenn man unterwegs einen Hund füttert.

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Eine neue friedliche Koexistenz: Zivilgesellschaft und Straßenhunde

Vor den meisten Cafés und Supermärkten stehen – zumindest im Sommer und in Stadtgebieten – Näpfe voll Wasser für die Hunde. Die meisten von den Tieren bleiben in den Gegenden, die sie kennen und wo sie manchmal versorgt werden. Manche Inhabenden der umliegenden Cafés oder Restaurants locken sie mit Leckerlies auf die andere Straßenseite, damit sie in Restaurants die Kund:innen nicht anbetteln. Die Lage ist eingespielt. Aber das war nicht immer so. Als DOG 2009 gegründet wurde, wurden die Tiere noch auf offener Straße erschossen, um den hohen Zahlen Herr zu werden. Dass dies nicht der richtige Ansatz ist, erklärt sich einerseits aus menschlicher und tierrechtlicher Perspektive. Und andererseits auch an den aktuellen Zahlen: Allein die geschätzte Zahl der Straßenhunde in der Hauptstadt Tbilisi liegt heute noch immer bei ungefähr 30.000, erklärt Sara Anna Modzmanashvili-Kemecsei.

Politisches Versagen, Desinteresse und zu wenig Regeln

„Es ist eine Mischung aus unterschiedlichen Dingen“, antwortet sie auf die Frage, wie es trotz dem halbherzigen Eindämmungsversuch des furchtbaren Erschießens zu solchen hohen Zahlen kommen konnte. „Mangelndes Wissen verantwortungsvoller Haustierhaltung seitens der Menschen. Unkontrollierte und unregulierte Zucht, sowie kein Zugang zu bezahlbarer tierärztlicher Pflege und Maßnahmen wie Kastrationen“.

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Letzteres fehle besonders in den ländlicheren Gebieten, das Zuchtproblem bestehe aber auch andernorts. „Die Zucht wird nicht kontrolliert oder reguliert, sodass die Menschen in der Stadt oft „Rassehunde“ – von Hinterhofzüchtern – für sehr wenig Geld kaufen. Die Menschen betrachten sie eher als Statussymbol. Sie pflegen sie nicht richtig, sodass die Tiere Verhaltensstörungen entwickeln. Deshalb werden sie einfach auf die Straße gelassen. Das führt dann dazu, dass sie sich in den Städten paaren und ständig vermehren.“

DOG Georgia unterstützt, wo der kleine Verein kann. Kranke und verletzte Tiere, zum Beispiel nachdem sie von Autos angefahren wurden, nehmen sie auf. Sie impfen sie, organisieren ihre Operationen und pflegen sie liebevoll gesund. Nach Möglichkeit vermitteln sie sie dann an Interessierte, die einen Hund adoptieren möchten. Dies ist häufig aber gar nicht so einfach, weil infrastruktur und Interesse fehlen. Schließlich müssen die Tiere, wenn sie gesund genug sind, um auf die Straße zurückzukehren und niemand sie adoptiert, die Unterkunft aus Platzgründen verlassen – nur so kann DOG neue kranke oder verletzte Tiere aufnehmen. Dass das kein Modell für die Ewigkeit und nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, weiß auch Sara Anna.

Deshalb sie hier die Regierung in der Pflicht. Bildung, Kampagnen, die Adoptionen über das Anschaffen von Rassehunden empfehlen und Anreize schaffen, damit Menschen Straßenhunde adoptieren fallen darunter. Aber sie spricht sich auch für strengere Maßnahmen aus wie das Regulieren und Kontrollieren und in manchen Fällen sogar Verbieten von privater Hundezucht. Gleichzeitig brauche es eine bessere Bezahlung von Veterinären, insbesondere auf dem Land. Leider verschärft sich derzeit die politische Situation eher, als dass sie Sara Annas Empfehlungen folgt.

Georgiens politische Zerrissenheit

Historisch betrachtet hat Georgien natürlich schon immer ein ambivalentes Verhältnis zu Russland. Was davon übrig ist, sieht man unter anderem an den beiden Regionen Südossetien und Abchasien, die sich jeweils in der Kontrolle einer international nicht anerkannten, jedoch von Russland unterstützten separatistischen Regierung befinden. Jeder aktuelle deutschsprachige Reiseführer spart diese Gegenden aus. Viele Tourist:innen in Georgien kommen aber aus Russland, weil es günstig ist und einen Meerzugang hat. So wird man in den meisten Fällen auf der Straße und in Shops auf Russisch angesprochen, sobald man als Tourist:in identifiziert ist. Gleichzeitig befürworten laut einer georgischen Meinungsumfrage aus dem Frühjahr 2023 rund 89 Prozent der Georgier:innen einen EU-Beitritt. In vielen Cafés, Hotels und Restaurant sieht man EU- und Ukraine-Fahnen hängen.

Dies hält die georgische Regierung aber nicht davon ab, seit einiger Zeit einen sehr rechten Kurs zu fahren. Orientiert an russischen erlässt sie eigene Gesetze, die Minderheiten und Zivilgesellschaft stark einschränken. Letzteres merkt auch Sara Anna Modzmanashvili-Kemecsei in ihrer Arbeit mit den georgischen Straßenhunden. „Die derzeitige Wende in der Politik ist verheerend für jede NGO, die sich für Menschen oder Tiere in diesem Land einsetzt. Sie stigmatisiert Nichtregierungsorganisationen, indem sie uns zwingt, uns als ausländische Agenten zu registrieren und sie kann uns für unsere Arbeit bestrafen“, erklärt sie ihre derzeitige Lage. Das erschwert ihre ohnehin schon prekäre finanzielle Situation massiv.

Wie viele Nichtregierungsorganisationen ist auch DOG deshalb auf Unterstützung aus der Zivilgesellschaft angewiesen. Das kann Geld- und Sachspenden genauso umfassen wie Freiwilligenarbeit. Die Hunde lieben es, wenn man mit ihnen spazieren geht, sie bürstet und ihnen die Zeit vertreibt – und natürlich sie adoptiert.

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