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Georgier:innen protestieren: 2025 im Zeichen revolutionärer Stimmung

Supra in Tbilisi, wo die Georgier:innen protestieren

Zehntausende Georgier:innen feierten das neue Jahr in der zentralen Straße Schota Rustaweli. Direkt gegenüber, vor dem Parlament wurde ein langer Tisch aufgestellt – eine Hommage an die georgische Tradition der Supra. Normalerweise finden solche Festmahle im familiären Kreis statt, doch angesichts der Tatsache, dass Dutzende politische Gefangene diesen Tag fern von ihren Familien verbringen müssen, zeigen die Georgier:innen ihre Solidarität.

Der Zusammenhalt der Georgier:innen

Gemäß der Tradition georgischer Festtafeln wird das Geschehen von einem Familienoberhaupt geleitet, das eine Atmosphäre der Einheit und des gegenseitigen Respekts schafft. Dies steht in starkem Kontrast zur aktuellen Realität des Landes nach den Wahlen im letzten Herbst. Eines der markantesten Merkmale der jüngsten Proteste in Georgien ist das Fehlen einer:s zentralen politischen Anführer:innen oder einer Oppositionsgruppe. Die Demonstrant:innen scherzen oft, dass sie, wenn die Polizei nach der organisierenden Person fragt, lachend antworten: „Das georgische Volk!“

David, ein Organisator einer studentischen Aktivistengruppe der Freien Universität Tbilisi, erklärt, dass die Menschen sich in der Regel spontan ohne zentrale Koordination um etwa 19 Uhr im Zentrum von Tbilisi versammeln. „Die Proteste, die wir jetzt erleben, unterscheiden sich stark von denen, die anderswo auf der Welt stattfinden“, sagt David. „Es gibt keine Anführer:innen oder keine konkrete Organisation, die den Protest leitet. Deshalb haben wir verschiedene Chats, in denen wir die Pläne für den nächsten Tag besprechen.“

David beim Protest

Die Zeit nach den Wahlen

Auf den ersten Blick mag es scheinen, dass die Proteste bereits abflauen, nachdem sie Anfang Dezember ihren Höhepunkt erreicht hatten. Nachdem Premierminister Irakli Kobachidse angekündigt hatte, die Verhandlungen über einen EU-Beitritt bis 2028 auszusetzen, konnte die Welt Ende letzten Jahres heftige Zusammenstöße zwischen der Polizei und den Demonstrierenden beobachten.

Am 29. Dezember unterzeichnete der neugewählte Präsident Michail Kawelaschwili – der von der amtierenden Staatschefin Salome Surabischwili, der Opposition und einem großen Teil der internationalen Partner:innen nicht anerkannt wird – eine Reihe von Gesetzen. Darunter war ein Verbot, bei Demonstrationen das Gesicht zu verdecken, sowie eine deutliche Erhöhung der Strafen für Pyrotechnik und Graffiti.

Trotz der offensichtlichen Bemühungen der Regierung, die Proteste zu unterdrücken, scheint die Polizei Konfrontationen mittlerweile zu vermeiden. Das liegt weniger an einem verringerten Motivation der Georgier, die Proteste weiterzuführen, sondern vielmehr an einer neuen Strategie der Polizei.

Die Demonstrierenden möchten Teil der EU werden und stellen sich gegen den prorussischen Kurs der Regierung.

Die Georgier:innen möchten die Polizei müde machen

„In den ersten Tagen der Proteste gab es schwere Zusammenstöße“, berichtet Alexander Kavtaradze. Er ist Professor an der Ilia-Universität und aktiver Teilnehmer der Kundgebungen. „Aber irgendwann versuchten sie, die Taktik zu ändern: Jetzt stellen sie nicht mehr so viele Polizist:innen wie früher auf.“

Die neue Taktik ziele darauf ab, das Thema aus den Medien zu verdrängen und die Demonstrierenden „müde zu machen“, so Kavtaradze. Er ist aber davon überzeugt, dass die Georgier:innen sich dessen bewusst und auf langfristige Proteste vorbereitet sind. „Die Leute sagen, dass eines ihrer Ziele ist, selbst nicht müde zu werden. Sondern die regierende prorussische Partei ‚Georgischer Traum‘, ihre Schlägertrupps und die Polizei zu ermüden“, fügt der Professor hinzu.

Alexander Kavtaradze

Die revolutionäre Neujahrsstimmung ins Jahr tragen

Die Georgier:innen gehen tatsächlich seit vielen Wochen unaufhörlich auf die Straßen, um gegen die prorussische Regierung zu protestieren. Auch der revolutionäre Geist der Neujahrszeit ist noch nicht abgeklungen, sondern hat sich auf andere große Städte Georgiens ausgebreitet. Allein am Samstag, den 25. Januar, gab es in Tbilisi, Kutaisi, Zugdidi, Telawi und Batumi mehr als zehn verschiedene Anti-Regierungs-Proteste. Es wurde außerdem bekannt, dass mindestens sechs Personen festgenommen wurden.

Eine prorussische Regierung, die Verzögerung des EU-Beitritts und Polizeigewalt – dies sind die Folgen eines repressiven Regimes, das die demokratische Gesellschaft zu untergraben droht. Dagegen kämpfen Tausende Georgier:innen jeden Tag, indem sie auf die Straßen gehen und versuchen, genügend europäische Unterstützung und Aufmerksamkeit zu gewinnen.

Feierte Georgien den Beginn des Jahres 2024 noch stolz seinen neuen EU-Beitrittskandidatenstatus, so wurde 2025 bereits zu einem Jahr der Einheit im Kampf gegen den gemeinsamen Feind und mit der Hoffnung auf die Durchführung neuer, verfassungsgemäßer und gesetzestreuer Wahlen.

Mehr zu Georgien haben wir auch hier und hier berichtet.

Text & Fotos: Myroslava Kovalenko

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