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Weshalb Inklusion uns alle angeht – mit Maike vom Berliner Bündnis für schulische Inklusion

Maike vom Bündnis für schulische Inklusion im Portrait mit gelbem Hoodie

Ohne Bildung läuft nichts. Sie ist essenziell für Fragen der nachhaltigen Entwicklung, Gleichstellung, den Abbau von Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen. Und nicht zuletzt trägt gute Bildung auch zu mehr Demokratie bei. Deshalb begleiten wir die Kampagne „Schule muss anders“ über einen längeren Zeitraum, um von ihnen zu lernen, wo es derzeit in unserem Bildungssystem hakt – und was dagegen getan werden muss. In diesem zweiten Teil haben wir mit Maike Dieckmann gesprochen. Sie ist Teil des Berliner Bündnisses für schulische Inklusion, welches Mit-Initiator der Kampagne „Schule muss anders“ ist. Und im Bereich der Inklusion gibt es enorme Defizite. Ein Gespräch darüber, weshalb Inklusion uns alle angeht.

Liebe Maike, was ist das Problem mit der Inklusion im Bildungssystem?

Es ist ganz deutlich: Die Bundesregierung und auch die politischen Akteur:innen sehen eigentlich gar nicht, wie schlecht es um die Teilhabe und Inklusion von Menschen mit Behinderung bestellt ist, gerade beim Themenfeld Schule. Da passiert nicht so viel und das ist einfach sehr mühsam. Ich habe 30 Schulen angefragt und alle von ihnen haben mir gesagt, dass sie meinen Sohn nicht nehmen können, weil es zu viel Aufwand ist. Daher habe ich mich für die Förderschule entscheiden, obwohl sie vielleicht nicht meinen Vorstellungen von der bestmöglichen Bildungseinrichtung für meinen Sohn entspricht. Der Suchprozess dahinter wird von der Politik nicht gesehen. Die zahlreichen vergeblichen Versuche von uns Eltern, einen Platz für unsere Kinder an einer Regelschule zu bekommen, tauchen in keiner Statistik oder einem Bericht zum Stand der Inklusion auf.

Und dann wird von der Kultusminister:innenkonferenz (KMK), von den Regierenden, von Berlin gesagt: Wir müssen Förderschulen ausbauen, weil sich Eltern von Kindern mit Behinderung eher für Förderschulen als Regelschulen entscheiden. Das entspricht überhaupt nicht der Realität. Ich entscheide mich nicht dafür, ich habe keine Alternative. Manchmal fühlt es sich an, als würde man zwei Schritte vorgehen und dann wieder einen zurück. Und das, obwohl es im Berliner Bündnis für schulische Inklusion bereits viele tolle engagierte Leute gibt, die Kontakte in Senatsverwaltungen, Fachbeiräte und co. haben.

Das klingt nach viel Anstrengung. Wo gibt es bei der Inklusion noch Probleme?

Das Schulsystem ist unglaublich starr, das ist natürlich allgemein ein Problem. Die Förderschule ist von der Ausstattung her besser an die Bedürfnisse meines Sohnes angepasst, aber in der Schulform als solcher mangelt es genauso an Flexibilität. Mein Sohn ist beispielsweise sehr gut im Buchstabieren, in Rechtschreibung und Englisch. Bei Mathe sieht das anders aus. Wenn er sich aber zuhause zum Beispiel mit meiner Mutter an Matheaufgaben setzt, dann macht es ihm meist sogar Spaß und er versteht es. Weil sie sich die Zeit nimmt, um ihm das Gezeigte begreiflich zu machen. Beim Thema Gewicht musste er zum Beispiel ein blödes Arbeitsblatt ausfüllen, was ihn frustriert hat.

Denn wie soll ein spastisch behindertes Kind, das nicht in der Lage ist, selbst ein Glas in die Hand zu nehmen, das Gewicht von einem Glas, einem Elefanten oder einem Stück Schokolade einschätzen? Zuhause mit meiner Mutter hat sie ihm geholfen, ein Glas in die Hand zu nehmen um das Gewicht zu spüren und so die Aufgaben zu lösen. Aber das brauchte eben Zeit. In manchen Bereichen ist er noch sehr jung, zum Beispiel im Spielverhalten, in anderen Bereichen macht er sich Gedanken über Gott und die Welt und ist in einer Gedankenwelt wie ein Jugendlicher. Diese Bandbreite wird im klassischen Schulsystem einfach nicht abgedeckt. Das bringt Frust. Aus der Hirnforschung wissen wir aber: Jedes Kind hat seine ganz individuellen Lernwege und lernt unterschiedlich. Und: Lernen funktioniert mit Freude am besten.

Die ideale Schule sollte das also leisten müssen?

Ja, die ideale Schule sollte die Kinder da abholen wo sie sind und sich nicht zwanghaft an die Rahmenlehrpläne oder Vorgaben für die einzelnen Klassenstufen halten. Kinder bilden Kompetenzen und Interessen eben nicht linear aus. Warum können wir nicht schauen wo das Kind seine:ihre Interessen hat und es dann genau darin fördern? Dann kann der reguläre Stoff auch in andere Inhalte eingebaut werden. Dazu braucht es natürlich viel mehr personelle und sächliche Ressourcen in den Schulen! Schule sollte also auf die Bedarfe der Kinder zugeschnitten sein.

Was medial und politisch ja immer wieder auftaucht, ist dass die „Schüler:innen immer schlechter werden“ oder ähnliches. Was diese Aussagen gemein haben, ist ein Fokussieren auf einen Leistungsgedanken. Das ist es aber nicht, was unsere Welt braucht. Der ausschließliche Blick auf die Abiturschnitte zeigt uns viel zu wenig, wo eigentlich die Kompetenzen der einzelnen Schüler:innen liegen. Und noch viel weniger decken sie ab, was wir eigentlich für eine wirklich nachhaltige Welt brauchen. Wenn wir uns wirklich mal darüber Gedanken machen, was aus der Schulzeit bei uns hängen geblieben ist, dann ist das doch wirklich wenig. Können wir nicht den Lernstoff an bestimmten Stellen kürzen oder optional machen und an anderer Stelle mal schauen was wir an sozialen oder anderen Kompetenzen für die Welt brauchen? Und was die Kinder von sich aus schon mitbringen?

Ich finde, dass alles, was du beschreibst, auf alle Schüler:innen übertragbar ist…

Genauso sehe ich Inklusion eigentlich auch. Immer, wenn ich das Wort „Inklusionskinder“ höre, dann frage ich nach, ob denn alle Kinder gemeint sind oder nur die Kinder mit Behinderung. Und meistens sind dann die Kinder mit Behinderung gemeint. Wenn wir aber mal die Sichtweise öffnen und diese Beschränkungen, die wir derzeit haben – keine Räumlichkeiten und Infrastruktur, Personalmangel, Unterfinanzierung, eben alle Herausforderungen – wegdenken würden und dann fragen würden, was heißt eigentlich Inklusion? Dann würde man zu einem anderen Ergebnis kommen.

Denn Inklusion – und damit zitiere ich Stephie Loos aus unserem Bündnis – heißt eigentlich, dass sich das System dem Kind anpasst und nicht anders herum. Das betrifft dann jedes einzelne Kind. Und natürlich braucht dann das Kind mit Behinderung vermutlich häufiger mehr Ressourcen. Aber so müsste man eigentlich mit allen Bedürfnissen von allen Kindern umgehen. Dafür bräuchte es ein totales Umdenken und eine totale Umstrukturierung. Das dauert natürlich lang, aber am Ende profitieren alle davon.

Was bräuchte es derzeit ganz konkret an Verbesserungen für dich und deinen Sohn, solange dieses Ideal noch nicht existiert?

Es wäre schön, wenn wir eine Schule finden würden, die einfach Lust hat und offen ist, sich darauf einzulassen, gemeinsam zu schauen, was möglich ist. Eine Schule, in die mein Sohn gerne geht, da dort seine Interessen auch wahrgenommen und integriert werden. Aber das passiert nicht, oft aus Überforderung. Die Schulleitungen händeln Kontakte mit Eltern, Lehrer:innen, mit den Schulämtern, die Druck ausüben, beschäftigen sich mit Schulentwicklungen und Bürokratie und so weiter. Also auch da zeigt sich, dass das Grundproblem einfach ein Ressourcenproblem ist. Und wenn es nicht dort hapert, dann an anderen Stellen: Eine Montessorischule hier in der Gegend hatte Interesse daran, meinen Sohn als Schüler aufzunehmen. Aber sie dürfen in oder an das Gebäude keinen Fahrstuhl bauen, da es denkmalgeschützt ist. Denkmalschutz steht über Inklusion. Und so geht es immer weiter.

CategoriesGefragt
  1. Gesine says:

    Danke für den Klartext. Das ist so wichtig, dass wir als Gesellschaft lernen und aushalten, dass Menschen verschieden sind und unterschiedliche Unterstützung brauchen, um zum Ziel zu kommen. Leider fängt es schon auf dem Spielplatz an, dass andere Eltern davon ausgehen, dass alle Kinder alles können müssen. Dann steht schnell der Vorwurf im Raum, dass das Kind schlecht erzogen sei und die Eltern nicht konsequent. Die Kinder selbst dagegen sind neugierig und halten die Verschiedenheit aus. Wie überall- ob beim Klimaschutz, bei der Solidarität oder eben der Diversität, beginnt es mit der Haltung der Menschen, dass sich das System, die Gesellschaft verändert.

    1. Team says:

      Vielen Dank für deine wichtige Perspektive, du hast total recht. Es ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, alle Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind – und auf der Grundlage zu fördern.

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