Über Lebensmittelverschwendung und -rettung mit dem Real Junk Food Project Berlin

Im wunderschönen Haus der Statistik unweit vom Alexanderplatz haben wir Tobi getroffen, der 2015 das Real Junk Food Project Berlin nach britischem Vorbild gegründet hat: Mit dem Real Junk Food Project retten Tobi und ein Team von Freiwilligen Lebensmittel vor der Mülltonne, treffen sich zum gemeinsamen Kochen und spenden das Übrige. Der Aspekt des gemeinsamen Kochens – wie zum Beispiel für das monatliche Offene Buffet – ist beim Real Junk Food Project besonders wichtig: Es bedeutet Begegnung, kochen und Lebensmittelbildung in einem. Denn während weiterhin staatliche Regulationen gegen Lebensmittelverschwendung fehlen, braucht es gleichzeitig auch im Privaten noch viel Aufklärung. Ein Gespräch mit Tobi über Wertschätzung von Ressourcen und Zusammenarbeit – letzteres beweist auch Ben, der selbst in dem Bereich aktiv ist, sich für das Projekt Essbar, den LebensMittelPunkt am Haus der Statistik sowie Extinction Rebellion engagiert und sich kurzfristig zu uns gesellt hat.

Wie hast du begonnen, dich gegen Lebensmittelverschwendung einzusetzen?

Tobi: Für mich war es wohl die Kombination aus unterschiedlichen Anstößen: Ich koche sehr gern, hatte 2010 einiges über Veganismus gelesen und auch gerade entdeckt, welche Ausmaße das Thema Lebensmittelverschwendung hat. Gleichzeitig habe ich viel dazu recherchiert, wie viele Ressourcen in der Lebensmittelproduktion eingesetzt werden, welchen Effekt sie auf das Klima haben – alles sehr schockierend und Augen öffnend. Laut FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, werden fast 30 Prozent der weltweiten Agrarflächen dafür genutzt, Essen herzustellen, welches dann in der Tonne landet. Jährlich werden 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel weltweit verschwendet. Diese Zahl allein muss man sich mal richtig auf der Zunge zergehen lasen. Da kommt einem das Schaudern! Würde man sich Lebensmittelverschwendung als Land denken, produziert sie zusammengenommen mehr CO2-Emmissionen als jedes Land dieser Erde, ausgenommen die USA und China. Das ließ mich nicht kalt.

Das sind krasse Zahlen. Gibt es gegen die Lebensmittelverschwendung bei uns nicht irgendwelche EU-Richtlinien?

Ben: Man könnte auch auf kleinerer Ebene etwas ändern, wenn beispielsweise Supermärkte – oder die Politik – mehr Initiative ergreifen und sagen würden: Ab jetzt ist es strafbar, wenn ihr Lebensmittel wegwerft. Da würden sich so unglaublich viele Organisationen melden und sagen: Hey, wir würden das nehmen. Momentan wird genau das einfach selbst organisiert über Foodsharing und kleine Initiativen wie das Real Junk Food Project. Aber eine politisch bessere Organisation wäre wünschenswert. Was man dabei aber auch nie vergessen darf: Ungefähr die Hälfte aller Lebensmittelabfälle entstehen in privaten Haushalten.

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Was kann man gegen diese Lebensmittelabfälle im Privaten tun?

Ben: Hier geht es darum, beim Bewusstsein der Leute anzusetzen, dass sie zu viel einkaufen, konsumieren. Hier aufzuklären und zu bilden ist in unserer Arbeit ein wichtiger Punkt, zum Beispiel über unsere Aktionen. Dass man auch mit den Lebensmitteln kreativ in der Küche sein und kochen kann, die nicht hübsch und perfekt sind.

Tobi: Genau, diese Bewusstseins- und Bildungsarbeit ist sehr wichtig. Ein klassischer Fall ist natürlich das Mindesthaltbarkeitsdatum. Da kann man mit seinen Sinnen – schauen, riechen, schmecken – eigentlich schon immer sehr gut einschätzen, ob etwas noch essbar ist oder eben nicht. Insgesamt habe ich aber übrigens das Gefühl, dass es mit den ganzen neuen Lieferdiensten immer noch mehr wird, was weggeschmissen wird.

Weshalb? Das ist doch mehr ein Müllproblem und weniger Lebensmittelverschwendung, oder?

Tobi: Die Lieferdienste, die Lebensmittel in wenigen Minuten vor deine Haustür bringen, haben alle diese Micro Stores und Micro Lager über die ganze Stadt verteilt. Und an jedem dieser Standorte werden massiv Lebensmittel weggeworfen, die eigentlich einwandfrei und essbar sind. Ich glaube, das liegt an der Erwartungshaltung der Kund:innen: Wer zuhause eine Tüte auspackt, will darin nur die allerfrischesten und optisch perfektesten Paprikas und Bananen finden. Hier muss auch die Politik dringend mehr tun. Ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung bei großen Supermärkten, wie in Frankreich, wäre auch in Deutschland ein wichtiger erster Schritt.

Warum kommt dieses Gesetzt nicht, warum wird nicht endlich was geändert bei diesen Dauerbrennerthemen?

Ben: Für mich liegt ein Grund sicherlich in der jahrelangen CDU-Regierung, die diese Themen einfach nicht als wichtig begriffen hat. Das Problem gibt es ja nicht nur bei uns in unseren Haushalten. Wenn wir in Deutschland sagen, dass wir Müll recyclen, dann verkaufen wir ihn in großen Teilen einfach nach Asien oder Afrika und dort in die Länder, die das meiste dafür bieten. Dieser Umgang mit unseren Ressourcen ist das Grundproblem.

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Wie setzt ihr euch dagegen ein und wie sieht euer Lebensmittelrettungs-Alltag aus?

Tobi: Wir haben eine Kooperation mit Bio-Supermärkten und auch einem Großhändler und holen regelmäßig bei ihnen Lebensmittel ab – 18 Mal in der Woche. Für die Abholung gibt es kleine selbstorganisierte Teams von Freiwilligen, die dann die Abholung an den verschiedenen Standorten managen und durchführen. Entweder wir verwenden die geretteten Lebensmittel dann für Koch-Aktionen oder wir spenden sie weiter: Zum Beispiel an die Engel für Bedürftige, verschiedene FairTeiler oder Nachbarschaftszentren. Jetzt ist die Saison gestartet und wir gestalten auch wieder unsere Offene Buffets. Diese finden einmal im Monat statt. Oder wir veranstalten Workshops. Wenn solche Veranstaltungen anstehen, machen wir dann noch mal Aufrufe für Leute zum Mitmachen.

Da kann dann jede:r kommen und mitkochen?

Tobi: Genau, das sind meistens sehr offene Formate, sodass Leute einfach dazu kommen können und mitmachen. Das gemeinschaftliche Kochen ist immer das Schöne, weil man wirklich mit ganz verschiedenen Leuten zusammenkommt und man dann gemeinsam überlegt: Was für gerettete Lebensmittel haben wir da, was können wir daraus machen? Und jede:r hat eine Idee. So kommt die Schwarmintelligenz zusammen, die das Menü baut. Das ist einfach toll! Während des Kochens und Schnippelns lernen sich dann die unterschiedlichsten Leute kennen. Das ist häufig auch sehr international, weil wir oft Freiwillige aus verschiedensten Ländern im Team haben. Nicht selten ist Englisch unsere Verkehrssprache. Das ist ein schöner Nebeneffekt des Ganzen, dass es eben immer wieder neue Begegnungen sind.

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Weshalb seid ihr mit euren Kochaktionen im Haus der Statistik?

Tobi: Wir sind hier Teil der LebensMittelPunkte. Das ist ein ganz spannendes Netzwerk von Lebensmittelinitiativen und -akteur:innen, die sich für die Ernährungswende in Berlin einsetzen. Mit dem Real Junk Food Project kochen wir hier jeden zweiten Donnerstag im Monat. An den anderen Donnerstagen sind hier andere Initiativen, die aber auch Teil des LebensMittelPunktes am Haus der Statistik sind. Aber mit den einzelnen Projekten unterstützen wir uns gegenseitig. Das LebensMittelPunkte-Netzwerk an sich ist über ganz Berlin verteilt. Es sind lokale Orte in fast jedem Bezirk, an denen Menschen zusammenkommen und sich gemeinsam für bessere Ernährung einsetzen. Dort geht es um Lebensmittelrettung, solidarische Landwirtschaft sowie Nachbarschaftsinitiativen, die sich zusammentun.

Wer mitmachen möchte: Hier gibt es die Infos für den nächsten Zeitpunkt zum gemeinsamen Kochen.

Mehr zur Lebensmittelrettung gibt es zum Beispiel hier bei unserem Besuch bei der Berliner Tafel.

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