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Links auf dem Land: Über Angst und Resilienz mit Ocean und Cindy

Links auf dem Land: Das sind Ocean und Cindy im sächsischen Waldheim. Am Rande einer Demo gegen Rechts stehen sie im Winter auf der Straße unter einer Laterne (Portrait)

Der Kampf gegen Rechts auf dem sächsischen Land unterscheidet sich – wie das Beispiel Waldheim zeigt –im Kontext der aktuellen Protestwelle stark von dem Engagement in den Großstädten. Er ist unangenehm, er ist alltäglich, er ist bedrohlich und er wird häufig sehr persönlich. Auch deshalb wendet sich Ocean Hale schon vor mehreren Wochen mit einem Appell an die Menschen aus der Großstadt, das „Hinterland“ nicht zu vergessen und die Menschen dort in ihrem Kampf zu unterstützen. Der Aufruf wird über Social Media weit verbreitet, hundertfach geteilt und unter jedem Post der Waldheimer Aktivist*innen finden sich massig Solidaritätsbekundungen.

Die Zahl der Teilnehmenden auf den Demos in Waldheim geht dennoch weiter bergab. „Antifaschismus bedeutet mehr als Beiträge zu teilen und entspannte Großstadtdemos zu besuchen“, schreibt Ocean in dem Aufruf dazu. Als wir Ocean und Cindy in Waldheim besuchen, sprechen wir deshalb über die Bedeutung von antifaschistischer Arbeit auf dem Land, ihre ganz konkreten Wünsche an die Großstadt und unterschiedliche Dimensionen von Angst im Kampf gegen Rechts und für mehr Links auf dem Land.

Ihr habt mal gesagt, dass ihr teilweise aus der Großstadt nicht nur Ignoranz, sondern sogar Gegenwind verspürt. Was meint ihr damit genau?

Ocean: Da gibt es zum Beispiel Leute, die aus der Großstadt kommen und uns dann erklären wollen, wie wir die Demos besser organisieren sollten. Dass wir zum Beispiel die Demos lieber am Wochenende machen sollen, weil dann mehr Menschen kommen. Wir denken uns aber natürlich was bei der Organisation und bei der Tageswahl. Wir stehen hier jeden Montag, weil der “Spaziergang” der Gegenseite halt Montags ist. An einem Wochenende würden wir ja unser Ziel verfehlen, den Rechten zu zeigen, dass ihnen die Stadt nicht alleine gehört. 

Oder Leute, die schreiben, „heult nicht so rum, wir haben es auch nicht leicht in der Großstadt. Wir haben genauso viele Nazis wie ihr“. Das kann nur eine Person schreiben, die noch nie in der sächsichen Provinz gewohnt hat. Das sieht man ja schon an den Wahlergebnissen, dass diese Aussage nicht stimmt. Da hast du dann nämlich den rot-grünen Fleck Leipzig im schwarz-blauen Sachsen. Wenn es dich nervt als Großstädter:in, was ich schreibe, dann ignoriere es, aber uns als linke Szene negative Nachrichten darunter zu setzen und Leute davon abzuhalten, zu uns zu fahren, nach dem Motto Nehmt uns nicht die Demoteilnehmer weg – das ist mehr als unverschämt.

Cindy: Es kann ja auch sein, dass das eine Person ist, die in der Großstadt sehr eingespannt ist und deshalb nicht zu uns kommen kann. Mir würde es aber im Traum nicht einfallen, so unsolidarisch zu sein, wenn in Leipzig Connewitz aufgerufen wird, zu kommentieren „da gehen doch sowieso genug Leute hin, mir doch egal“.  

Das klingt wirklich nicht gut. Was sind denn auf der anderen Seite konkret eure Erwartungen und Wünsche an die Menschen aus der Großstadt in der aktuellen Situation?

Ocean: Dauerhafte Unterstützung wäre schon wichtig. Ich habe einen guten Kontakt zu den Organisator:innen von Wir sind die Brandmauer, die den Protest in Berlin und Dresden organisieren. Das Orgateam hat schon gesagt, dass es nicht versprechen kann, mehr Menschen zu schicken. Sie hätten jedoch Supporter*innen, die finanziell unterstützen können. Deshalb wollen sie dem ländlichen Raum Sachsens dauerhaft einen Transporter mit Technik zur Verfügung stellen, welcher in Dresden steht. Dann müssten wir beispielsweise nicht jede Woche einen Transporter anmieten. Auch sowas kann eine sehr hilfreiche Form von Unterstützung sein.

Wir können uns aber auch nicht nur auf die Großstadt verlassen. Wählen geht für uns auch niemand aus der Großstadt. Wir müssen die Leute hier direkt erreichen. In einer Großstadt gibt es ganz viele Vereine und Organisationen, die mit Menschen ins Gespräch gehen, die politische Bildung machen. Deren Hilfe könnten wir dringend gebrauchen. Wenn außerdem auf dem Marktplatz jede Woche nur die AfD und die Freien Sachsen stehen, brauchen sich die anderen Parteien nicht wundern, wenn sie in unserer Region weniger Wahlstimmen erhalten. Sie müssen hier mehr Präsenz zeigen! 

Finanzielle Unterstützung, materielle Unterstützung, politische Unterstützung und persönliche Unterstützung. Es gibt keine Form der Unterstützung aus den Großstädten, die wir nicht dringend benötigen. Und wenn es nur darum geht, dass uns Organisationen Banner und Flaggen zuschicken, damit wir uns vor rechten Kameras abschotten können.

Cindy: Sowohl in Waldheim als auch in Leisnig und Döbeln planen wir, neben den Demos noch andere Formate anzubieten. Es sind aber immer dieselben Verdächtigen, die in diesen Bündnissen sitzen. Und irgendwann können wir die Organisation auch nicht mehr allein stemmen. Es macht ja auch keinen Sinn, wenn die 20/30 Leute, die da wirklich organisatorisch tätig sind, komplett ausbrennen. Und so einen Zeitpunkt gab es schonmal. Da haben viele gesagt, es geht nicht mehr. Da dürfen wir auf jeden Fall nicht wieder hinkommen. Wir müssen unsere Ressourcen einteilen und da sind wir natürlich froh über jeden Support und über jede Hilfe.

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Habt ihr Gedanken zum Thema Angst? Wir können uns vorstellen, dass Angst für viele Menschen ein Faktor ist. Dass man sich nicht traut, allein aufs Land zu gehen, oder sich sehr viele Gedanken macht und sich am Ende dagegen entscheidet. 

Ocean: Ich sage mal ganz ehrlich: Natürlich ist es nicht ohne hier, aber die Großstädter*innen brauchen bei den Demos keine große Angst haben. An den Demotagen bist du in Waldheim wegen des großen Polizeiaufgebots sicherer als an anderen Tagen. Die Menschen, die „nur“ auf Demos gehen, sind für die Nazis keine Gefahr. Natürlich filmen die alle, aber die Döbelner oder Waldheimer Neonazis haben kein Interesse daran, nach Leipzig oder Dresden zu fahren um dort Leute zusammenzuschlagen, die eine Demo bei uns besuchen. Die wollen nicht die haben, die wollen uns haben. Wir sind die regionalen Leute, die ihr Gesicht zeigen und die Demos anmelden.  Wenn du es gewohnt bist, auf eine Demo mit 20.000 oder gar 100.000 Teilnehmenden zu gehen, ist es natürlich unangenehmer, hier in der Unterzahl zu stehen. Du brauchst aber keine Angst vor körperlicher Gewalt haben.

Cindy: Auch die lokalen Leute nehmen das sehr unterschiedlich wahr. Das habe ich zum Beispiel in den letzten Wochen voller Anfeindungen festgestellt. Leute, die es nicht betrifft, empfinden Situationen, die mich betroffen haben, viel bedrohlicher, als ich selber. Bei mir dauert es einfach eine Weile, bis ich wirklich Angst bekomme. Da bin ich einfach abgestumpft.

Ich persönlich denke immer, dass Angst etwas ist, das dich in deinen Entscheidungen total einschränkt. Du denkst dann zum Beispiel sehr lange darüber nach, ob du an einer Demo teilnehmen sollst oder nicht. Am Ende machst du es dann nicht. Für mich persönlich will ich das nicht. Ich will nicht permanent in meinen Nachrichten checken, ob es eine neue Drohung gibt. Ich will nicht bei jedem Auto, das vor meinem Haus hält, darüber nachdenken, ob da vielleicht Nazis drin sind. Solche Gedanken machen ja was mit dir. Und das sehe ich nicht ein. Ich gönne denen das nicht, dass ich mich einschüchtern lasse. Angst ist jedoch etwas ganz Persönliches und ich kann schon verstehen, wenn Leute Sorgen haben, aber was Ocean sagt stimmt natürlich. Wer an den Demotagen aus Leipzig kommt, muss eigentlich keine Angst haben. 

Haben Leute dann vielleicht durch die schlimmen Geschichten, die durch die Medien gehen, ein falsches Bild von der Bedrohungslage und Links sein auf dem Land?

Cindy: Schlimm ist es im Alltag. Wenn die Kinder im selben Kindergarten sind, ist die Situation eine andere. Da gibt es verschiedenste Beispiele, bei denen ich mir schon Gedanken mache, aber nicht weil ich Angst habe, sondern weil ich kein Bock drauf habe. Ich habe kein Bock drauf, dass mein Kind im selben Kindergarten ist wie die Kinder der Neonazis. Die Kinder können natürlich nichts für ihre Eltern, aber ich habe da trotzdem kein Bock drauf. Sowas kann dann schon schief gehen, weil die dann viel genauer wissen, wo man wohnt. Die Kinder kennen sich, wollen zusammen spielen und dann hast du die Eltern vor der Tür stehen oder lehnst das ab.

Das ist eine ganz andere Bedrohungslage, eine ganz andere Situation. Man läuft den Leuten hier täglich über den Weg. Die triffst du beim Einkaufen, die triffst du, wenn du irgendwo abends unterwegs bist, an der Tankstelle und an Orten, wo du auf einmal alleine mit denen bist.

Ocean: Ich habe seit meiner Jugend einst die NPD- Demos und heute die Demos der AfD und der Freien Sachsen kritisch begleitet und Gegenprotest organisiert. Außerdem habe ich die Döbelner CSD-Demos mitinitiiert. Die Menschen, die bei solchen Demonstrationen angegriffen und bedroht werden, sind fast ausschließlich regionale Leute. 

Das ist natürlich schlimm genug. Aber was könnt ihr dann auf der anderen Seite den Leuten aus der ländlichen Region mit Hemmungen, aktiv zu werden mitgeben? 

Cindy: Man muss sich überlegen, wie sehr man sich selber einschränken lässt durch die Angst. Es ist total wichtig, Gesicht zu zeigen, weil nur dann werden wir mehr. Und nur dann werden wir auch sicherer. 

Ocean: Das ist ja ein Teufelskreis und genau deswegen ist es so wichtig, dass Leute aus der Großstadt herkommen. Je mehr Menschen aus der Großstadt kommen, umso mehr Menschen trauen sich auch aus der Region her. Wenn hier 200 Personen stehen, wird jedes Gesicht einzeln erkannt. Wenn hier mal 500 Personen stehen würden, würden bestimmt mehr aus der Region kommen, weil man da besser in der Menge untergehen kann. Ich kenne viele Geschäftsleute, die sagen: „Wir würden uns klarer positionieren, aber wir haben Angst, dass Schaufenster kaputt gehen oder Umsätze ausbleiben.“ Wenn du ein Geschäft hier betreibst und die Hälfte der Stadt, oder ein Drittel der Stadt rechts wählt und du dich dann klar links positionierst, kann das definitiv reale Konsequenzen haben. Dafür, dass diese Menschen sich nicht trauen, habe ich erstmal Verständnis, aber wenn das alle sagen, stehen wir hier am Ende zu zehnt oder gar allein. 

Es hat sich jetzt auch die Regionalgruppe Omas gegen Rechts Döbeln gegründet und sie wachsen schnell an. Sie trauen sich ja auch Gesicht zu zeigen und fahren in die ganzen Kleinstädte um zu supporten. Wenn sie es schaffen, dann schafft es jede andere Person auch. 

CategoriesGefragt
  1. Kanuten-Pierre says:

    Respekt dem Leuten „auf dem flachen Land“! Dass die Demos etwas bewirken, sieht man am Rückgang der Zahlen für jene Deutschlinge… (jetzt bloß nicht nachlassen!)

  2. Pingback:Einsatz für ein solidarisches Sachsen – Mit den Omas gegen Rechts auf der Lila Welle - Reversed Magazine

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