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Weshalb wir anders über Sexarbeit sprechen müssen mit Ruby Rebelde

Auf einer Veranstaltung hat Sexarbeiter:in und Aktivist:in Ruby Rebelde sexarbeitsfeindliche Narrative in ihren historisch antisemitischen und verschwörungsideologischen Kontext eingeordnet – und wurde daraufhin abgemahnt. Es folgten eine Klage, Gerichtsverhandlungen und schließlich ein Sieg. Ruby Rebelde darf sexarbeitsfeindliche Aussagen von unterschiedlichen Bündnissen als solche benennen. Ein Gespräch mit Ruby über den Ursprung von Sexarbeitsfeindlichkeit und das Patriarchat, das Nordische Modell und weshalb Fragen von Gender und Migration beim Thema Sexarbeit immer mitgedacht werden müssen.

Du hast kürzlich vor Gericht recht bekommen und darfst nun dem klagenden Verein vorwerfen, strukturell antisemitische Argumentationen zu nutzen nachdem vergangenen Sommer zunächst die Gegenseite recht bekam – wie geht es dir damit?

Das Urteil ist eine große Erleichterung, denn weiterhin mit einer einstweiligen Verfügung leben zu müssen, hätte eine große Hürde für meine Arbeit bedeutet. Sie hätte die Gegenseite und ihre Allianzen ermutigt, mit zivilrechtlichen Klagen missliebige Stimmen aus dem Diskurs fernzuhalten und auszuweiten. Wir haben nun das Urteil. Darin steht: Das Urteil vom 13.7.2023 des Landgerichts Berlin wird abgeändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen. Die Gegenseite hat die Kosten beider Verfahrenszüge zu tragen. Inhaltlich bedeutet das: Wer das abwegige Phantom der Prostitutionslobby heraufbeschwört, muss damit leben, dass sowas als strukturell antisemitische Verschwörungserzählung kritisiert werden darf. Ein wichtiger Sieg.

Wie hat dich denn das Urteil aus letztem Sommer konkret in deiner Arbeit eingeschränkt über das letzte halbe Jahr?

Ich habe sofort gemerkt, dass Kooperationsanfragen oder Einladungen zu Panels oder zu Podiumsdiskussionen teilweise zurückgenommen wurden. Obwohl das niemand explizit als Grund angegeben hat, war das doch sehr auffällig. Generell und auch unabhängig von dem Vorfall habe ich aber das Gefühl, dass Anfeindungen gegen Sexarbeitende zunehmen.

Warum gibt es überhaupt eine Sexarbeitsfeindlichkeit?

Hier kommen viele Aspekte zusammen. Ein Aspekt ist der historische. Die Verfolgungsgeschichte der „Prostituierten“ – der Begriff ist eine Fremdbezeichnung – ist hier ein wichtiger Startpunkt. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden sie verfolgt und ermordet. Erst 2020 wurden sie offiziell durch den Bundestag als Opfergruppe anerkannt. Das ist erst vier Jahre her, was bedeutet, dass diese Gruppe bisher keinerlei Entschädigungen erhalten hat. Das merkt man auch im Diskurs. Und natürlich spielt auch die Sexualmoral eine große Rolle. Denn wenn es um sie geht, dann geht es immer auch um den christlichen Blick, zumindest in unserem westeuropäischen Kulturraum. Hier priorisieren wir die Ehe und Hetero-Beziehungen zum Zweck der Nachkommenszeugung. Homosexualität war genauso wie die „gewerbsmäßige Unzucht“ als widernatürlich gekennzeichnet. So etwas bleibt lange bestehen.

Und dagegen kann Aufklärungsarbeit über Sexarbeit wie deine nicht ankommen?

Es bleibt auch deshalb schwierig, weil viele Medienbeiträge zur Sexarbeit leider auch nicht wirklich differenziert sind. Man bekommt so ein wenig das Gefühl, dass unterschiedliche Redaktionen voneinander abschreiben. Die meisten sagen, dass Deutschland in den 2000ern die Prostitution legalisiert habe. Das stimmt nicht. Legal ist sie seit 1927 – in dem Gesetz von 2002 ist nur die Sittenwidrigkeit für die Tätigkeit der Prostitution weggefallen. Das Honorar von Menschen, die erotische und sexuelle Dienstleistungen erbringen, wurde dadurch einklagbar. Das sind große Unterschiede und mehr als nur Nuancen.

Es wird gesagt, seit dem Prostituiertenschutzgesetz sei Deutschland das Bordell Europas.

Das ist Quatsch, verkürzt und lässt alle anderen historischen Umstände, die in den letzten 25 Jahren passiert sind außer Acht – zum Beispiel die EU-Osterweiterung von 2004. Aber solche Formulierungen nutzt die Gegenseite gern und Medien übernehmen sie dann. Was Medien interessanterweise aber nicht übernehmen, ist die Selbstbezeichnung: Sex Worker. Heute wird die Eigenbezeichnung Sexarbeiter:innen sogar gern in Anführungsstriche gesetzt. Auch beim Begriff Nordisches Modell sieht man die Relevanz der Sprache. Es ist ein Euphemismus, weil er keinerlei Aufschluss darüber gibt, was dahintersteckt: Nämlich eine Kriminalisierung von Sexarbeit. Im Gegenteil weckt der Begriff nordisch gute Assoziationen, weil Deutschland ja immer recht neidisch nach Skandinavien schaut im öffentlichen Diskurs, zum Beispiel wegen dem guten Bildungssystem.

Lass uns nochmal kurz konkret auf das Nordische Modell schauen, weil die Diskussion immer mal wieder hochschwappt. Worum geht es dabei genau?

Das Nordische Modell ist ein Gesetz, in dem die Kund:innen von Sexarbeit kriminalisiert werden. Es wird behauptet, dass die Sexarbeitenden selbst straffrei bleiben. Das ist aber unzutreffend: In allen Ländern, die dieses Prostitutionsregime eingeführt haben, gibt es ergänzende Gesetze, die die Sexarbeitenden eben doch betreffen, zum Beispiel bei Kuppelei oder Zuhälterei. Das bedeutet, dass alle, die von den Honoraren eine:r Sexarbeiter:in profitieren – auch Kinder und Familie –  vor dem Gesetz als Zuhälter gelten. Das Anmieten einer Wohnung wird unmöglich, weil es eine Förderung der „Prostitution“ wäre.

Das klingt wirklich gar nicht nach Entkriminalisierung von Sexarbeit …

Beratungsangebote für Sexarbeitende sind in Schweden nahezu komplett an „Ausstieg“ gekoppelt. Wer nicht „aussteigt“, wird schlecht behandelt und bekommt keinen Support. In Schweden gibt es sogar ganze Sondereinheiten bei der Polizei, die illegalisierte Sexarbeitende aufstöbern sollen. Diejenigen, die keinen schwedischen Pass haben, werden abgeschoben. Das Nordische Modell ist also auch Migrationskontrolle durch die moralische Hintertür. Wie bei jeder Kriminalisierung ist es auch hier so: Nicht weniger Menschen sind in der Sexarbeit tätig, sie sind nur weniger sichtbar und gefährdeter.

Verfächter:innen des Modells sagen ja, sie wollten die Sexarbeitenden bloß schützen…

Das Thema Sexarbeit ist schambehaftet. Daraus resultiert dann die verkürzte Grundannahme, irgendeine unzulängliche und gefährliche Verbotspolitik besser wäre, den eigentlichen Missstand der Gewalt zu beheben. Bei geschlechtsspezifischer Gewalt wissen wir aber, dass sie eben aus patriarchalen Gründen geschieht. Deshalb funktioniert das Schutzargument auch nicht. Im Laufe der Geschichte ging es erst sehr spät um den Schutz derjenigen, die die Arbeit ausführen – und lange vorher ging es um den Schutz der Gesellschaft vor den Prostituierten. Im Prostituiertenschutzgesetz finden sich der Schutz der Sexarbeitenden und der Schutz der Allgemeinheit vor ihnen immer noch gleichberechtigt nebeneinander. Die gleiche schreckliche narrative Entgleisung finden wir übrigens auch im Migrationsdiskurs. Schutz ist etwas, das nicht die Person definiert, die schützt, sondern die Person, die geschützt wird. Diese Herangehensweise passiert in Deutschland aber nicht.

Was ist dann die eigentliche Motivation derer, die etwas wie das Nordische Modell fordern?

Fast überall sind Befürworter*innen des „Nordischen Modells“ eng mit der christlichen Rechten, evangelikalen oder freikirchlichen Gemeinschaften verbunden. Sie grenzen sich auch nicht gegen Transmisogynie oder Homophobie ab. Hauptsache, eine „Welt ohne Prostitution“ – egal mit welchen shady Organisationen. Während die CDU/CSU lange mit dem Modell gefremdelt hat, haben sie sich mit dem Entstehen der Frauenunion dann doch dazu durchgerungen, ein Sexkaufverbot nach Vorbild des Nordischen Modells in Deutschland zu fordern. Verfechter:innen wie Dorothee Bär setzen sich im selben Atemzug für eine Aufwertung der Ehe und Familie ein, die eben darauf abzielen, heteronormative sexistische Werte zu konstruieren. Sexarbeiter:innen werden als die Bedrohung derselben wahrgenommen, deshalb sind sie Teil des Feindbilds.

Ruby Rebelde ist Sexarbeiter:in und Speaker:in und führt Sexarbeit und Aktivismus zusammen.

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Welchen Einfluss hat das?

Was wir hier sehen, ist eine Radikalisierung des Diskurses und je mehr er sich radikalisiert, umso weniger geht es um die Personen, um die es eigentlich gehen müsste. Wir befinden uns diskursiv immer auf einer moralisierenden Meta-Ebene, bei der es nicht mehr um die konkreten Verbesserungen der Arbeits- und Lebensbedingungen geht – geschweige denn darum, wie wir ätzende patriarchale Mackerstrukturen wegbekommen.

Wie können wir diesen verfahrenen Dialog wieder konstruktiv führen?

Ich habe gemerkt, dass wir eine Offenheit von unterschiedlichen Seiten brauchen, bei der wir reflektieren müssen, von welchem Punkt aus wir argumentieren, welche Perspektiven wir haben. Wir müssen schauen, welche Interessen die einzelnen Träger haben, zum Beispiel die konfessionellen. Es ist nicht fair, über das Thema Sexarbeit ohne diejenigen zu sprechen, die sie ausführen. Gleichzeitig sollten sie nicht als Token eingeladen werden. Das setzt aber voraus, dass wir unser Gegenüber auf Augenhöhe wahr- und sie ernst nehmen.

Macht dir Sexarbeit unter diesen Umständen überhaupt noch Spaß?

Ich habe immer noch Lust auf den Job und ihn immer gern gemacht, weil er mir viel Freiraum ermöglicht hat – nicht den Freiraum im Sinne von feministischem Empowerment, sondern ganz praktisch: Ich kann mir die Arbeit selbst einteilen, Honorare aushandeln und so weiter. All das wird aber auch deshalb immer schwieriger, weil die Politik so verfehlt ist. Mit dem Prostituiertenschutzgesetz wurden die Bordellbetreibenden sehr aufgewertet, da sie die Anmeldungen der Sexarbeitenden kontrollieren. Das führte dazu, dass sich nun nicht alle, aber einige Bordellbetreibenden als verlängerter Arm des Gesetzes wahrnehmen. Wenn man jemanden bitten muss, einen Raum zu mieten, um überhaupt seine eigene Dienstleistung erbringen zu können, dann gibt es ein großes Machtgefälle zu ihren Gunsten.

Was muss sich ändern?

Progressive Länder entkriminalisieren Sexarbeit. Belgien ist ein Beispiel. Damit ist die Diskriminierung nicht beendet, aber es ist ein Anfang. Deshalb fordern wir nicht nur eine Entkriminalisierung, sondern auch eine Anerkennung von Sexarbeit. Letzteres ist wichtig, denn bei einer Entkriminalisierung ohne gesellschaftlichen Wandel bleiben viele Probleme bestehen. Welche Versicherung lässt Sexarbeitende überhaupt als Kund:innen zu oder welche Banken lassen Sexarbeitende ein Konto eröffnen? Hier gibt es massig Stigmatisierung, die es zu überwinden gilt. Australien und Neuseeland haben Sexarbeit entkriminalisiert – aber nur für Inhaber:innen des richtigen Passes. Illegalisierte Sexarbeitende werden trotzdem abgeschoben. Beim Thema Sexarbeit müssen Migrations- und Genderfragen zwingend mitgedacht werden.

Gehen wir nochmal ganz kurz zum Anfang unseres Gesprächs zurück: Du hast gerade ein einstweiliges Verfügungsverfahren gegen dich gewonnen. Was nimmst du daraus mit?

Ich möchte gern transparent machen, dass ich es total schrecklich fand, wie wenig Solidarität aus der Gesellschaft ich erfahren habe. Ich bin überall abgelehnt worden, zum Beispiel beim Gegenrechtsschutz. Dort ging es nicht mal vordergründig ums Geld, sondern auch um Expertise und Support. Das ist eine Erfahrung, die ich in unterschiedlichen Institutionen gemacht habe. Viele haben vielleicht Angst davor, sich zu positionieren oder keine Kapazitäten, ihre eigene Haltung zu überdenken, ich weiß es nicht. Viele sogenannte Linke haben sich hier entsolidarisiert mit mir als Betroffenen. Es hat dazu geführt, dass ich ganz allein stand. Ich bin frustriert und ringe mit meiner Wut, meiner Trauer und würde mir wünschen, dass alle den Prozess nochmal überdenken und sich vielleicht in der Zukunft anders verhalten.

Noch mehr zu Teilhabe gibt es zum Beispiel hier.

CategoriesAllgemein
  1. diesem klönen says:

    Wieder einmal feiert Heuchel-Politik fröhliche Urständ:

    CDU/CSU fordern Sexkaufverbot? Als ob es keine christdemokratischen Freier gäbe!

    Übrigens: Maximal 10 % der Sexarbeiterinnen gehen hierzulande diesem Lebensunterhalt freiwillig nach…

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