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Wie können wir Jugendliche politisch besser beteiligen, Andru?

Wenn man Andru fragt, wie so ein normaler Arbeitstag für ihn aussieht, sagt er, er sei vermutlich irgendwo zwischen zehn verschiedenen Projekten zu finden. Und das ist nicht übertrieben: mit der Jugendinitiative WirWollen besucht er in Salzgitter, Braunschweig und bundesweit Schulen, Vereine und mehr und bietet Antirassismustrainings an. Gleichzeitig hat er die lokale Community of Dreams Remember Why U Started zusammen mit Sercan Özgüler und Ali Abdah mitgegründet, bei der Kunst- und Kulturschaffende aus der Region die Möglichkeit haben, das zu machen, was sie möchten. Im Sommer 2020 hat er innerhalb der Black Lives Matter-Bewegung riesige Leinwände mitgestaltet und auch im Gründungs- und Orgateam des Football-Vereins Salzgitter Steelers war er lange zu finden, „um den Kids von Salzgitter zu zeigen, dass auch sie auch noch mehr machen können außer Boxen und Fußball“. Mit Andru hat die Region um Salzgitter und Braunschweig eine Person, die nie müde wird, sich für Jugendliche und ihre Belange in der Kommune einzusetzen.

Ein Gespräch mit ihm darüber, wie Jugendliche im politischen Diskurs besser gehört werden können, über die Wichtigkeit von Community und Kreativität und darüber, weshalb er trotz seines vielseitigen Engagements nicht in die Politik gegangen ist.

Andru, warum bist du politisch aktiv geworden?

Mit Sercan habe ich die Community of Dreams „Remember Why U Started“ gegründet, weil wir uns immer präsent halten wollten, dass wir damals niemanden hatten. Und wir haben immer noch niemanden so wirklich, der oder die uns in der Politik vertritt. Niemanden, der oder die so aussieht wie er, wie ich, wie meine Schwestern. Deshalb wollten wir etwas für die kommende Generation ändern. Viele Jugendliche bei uns in Salzgitter hängen ohne Ziel auf der Straße rum, sind frustriert, sehen vielleicht keine Perspektive. Das möchten wir ändern.

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Wie hast du konkret begonnen, dich zu engagieren?

In Salzgitter haben wir sehr viel mit Rassismus zu kämpfen. Gleichzeitig ist die Schere zwischen arm und reich auch nicht gerade klein und die Stadt ist sozial sehr gespalten. Von anderen Städten drum herum wird Salzgitter auch „Salzghetto“ genannt. Eine Generation die mit diesem Titel aufwächst verhält sich also irgendwann automatisch wie? 2015 und 2016, während der sogenannten „Flüchtlingswelle“ kamen viele neue Menschen nach Salzgitter, wodurch sich leider eine starke Gegenbewegung gebildet hat. Ich bin hier geboren und aufgewachsen und habe dennoch durch mein Aussehen hautnah miterleben müssen, wie es ist, wenn man täglich von Diskriminierung und Vorurteilen betroffen ist. Dadurch habe ich mich gefragt: Wo finde ich einen Rahmen, in dem ich wirklich etwas verändern kann? Das Amt als Klassensprecher oder Schulsprecher reicht anscheinend nicht aus.. Dann habe ich das Jugendparlament kennengelernt.

Weshalb hat dieses Format zu dir gepasst und dein politisches Interesse geweckt?

Ein Jugendparlament ist ein Gremium, in dem Kinder und Jugendliche bis 21 ihre Altersgruppe auf kommunaler Ebene oder bei der Stadt vertreten. Konkret muss eine Stadt so ein Gremium bei sich im Jugendhilfeausschuss verabschieden. Wenn es erstmal eingesetzt ist, werden alle Belange, die die Jugend angehen, dem Parlament vorgelegt und dann wird darüber diskutiert. Gleichzeitig können die Jugendlichen selbst Themen einbringen, die sie interessieren. Der Rest ist dann so, wie man es aus der Politik kennt: Es finden Gespräche statt, man muss mit Rückschlägen kämpfen und kann gleichzeitig Erfolge feiern. Das hat mich einfach total angesprochen, als das Prinzip bei uns in der Schule vorgestellt wurde. Ich spreche gut und gern vor und mit anderen Menschen, wollte diejenigen vertreten, die so aussehen wie ich und die sich weniger gehört fühlen. Und ich wollte zeigen, dass die Jugend mitbestimmen muss. Erst Recht die Jugend die sonst keinen Bezug zur kommunalen Politik hat & eher in den Parks oder Cafés abhängt.

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Woran hast du dann politisch gearbeitet?

Das Erste, was ich gemacht habe, war eine Wohltätigkeitsaktion zu Weihnachten. Aber ich würde meine politischen Erfolge auch woanders sehen. Damals waren bei uns im Jugendparlament acht Jugendliche. Ich bin dann relativ schnell Sprecher oder erster Vorsitzender für unsere Kommune geworden. Zum Ende der Wahlperiode der zwei Jahre, in denen ich verschiedene Projekte umsetzen konnte, hatte ich ein großes Netzwerk von Communities in meiner Stadt. Am Ende waren wir 25 Parlamentsmitglieder – das Maximum, was bei uns in der Kommune möglich ist. Andere zu aktivieren und motivieren, ist einer der größten Erfolge aus dieser Zeit. Aber als Leitung war ich nicht nur dafür zuständig, meine eigene Arbeit zu koordinieren, sondern auch die der anderen. Ich war auf einmal dafür zuständig, eine Sitzung zu leiten, meine Sitzungen zu organisieren, mit der Verwaltung zusammenzuarbeiten. Es waren ganz verschiedene Themen – manche waren spannend für mich und andere gar nicht. Aber man muss sie ebenso gut vertreten.

Spannend. Schreckt diese sehr bürokratische Struktur Jugendliche nicht vielleicht auch ab?

Die Teilnahme an den AGs ist nicht verpflichtend. Und die meisten, die beim Jugendparlament mitmachen, haben ein Anliegen, mit dem sie kommen, ein bestimmtes Thema, für das sie brennen und dem sie politisch mehr Raum geben wollen. Und dann bringen sie sich auf die Art ein, wie sie es schaffen oder möchten. Aber natürlich gibt es auch Pflichten, wie zum Beispiel die Anwesenheit bei den Plenarsitzungen, um dort dann Voten abzugeben. Und für mich war es eben eine gute Möglichkeit, mich zu engagieren, die so ganz anders war als alles, was ich vorher kannte.

Wie meinst du das?

Zwischenzeitlich hat sich das Parlament ein wenig angefühlt wie ein „Doppelleben“: Ich war und bin natürlich immer noch mit denselben Jungs unterwegs, habe mir aber parallel auch immer die zwei Stunden Zeit genommen, ins Rathaus zu gehen und die Erfahrungen mit den Jungs in die Räume zu tragen, in denen die Leute mit den Anzügen und Hemden und weißgrauen Haaren sitzen. Zu diesen Menschen, die die Realität der Jugendlichen gar nicht oder nicht mehr kennen. Deshalb war es für mich so wichtig, ihr Sprachrohr zu sein. Klar habe ich viel Zeit reingesteckt in diese vier, fünf Jahre.

Aber ich habe noch viel mehr zurückbekommen. Ein Verständnis dafür, was und wie man Leute vertreten kann, an welchen Stellen man mit Projekten ansetzen kann, die den Jugendlichen helfen, die für Erlebnisse und Erfahrungen sorgen. Über diese Erfahrungen wächst ein Gemeinschaftsgefühl, eine Community, ein Austausch. Ein Blick für andere und wo sie herkommen. Dies ist auch der Grund, warum ich das Jugendparlament in Braunschweig initiiert und mitbegründet habe. Dieses wird nun auch offiziell im Jahr 2024 erstmals konstituiert. Ich befinde mich im Wahlausschuss.

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Warum bist du dann in die Arbeit für Jugendliche und mit Jugendlichen und nicht in die Politik gegangen?

Die Diskriminierung, die mir auf der Straße widerfahren ist, habe ich auf andere Art und Weise in den Institutionen gemerkt. Ich habe eine Ausbildung bei der Stadt angefangen, weil ich dachte, wenn ich schon neben der Schule Parlamentsarbeit mache, dann möchte ich auch mal das System der Verwaltung kennenlernen. Leider habe ich dort im allerersten Jahr in der Ausbildung von der institutionellen Seite bereits unglaublich viel Rassismus, Ausgrenzungen und Beleidigungen erlebt. In dem Parlament hatte ich ein politisches Amt. Dort konnte mich niemand aus dem Raum schicken. Auf einmal war das möglich.

Furchtbar.

Und kein Einzelfall. Von denen, die mit mir gemeinsam die Ausbildung gemacht haben, konnten mir diese Erfahrung auch andere bestätigen, die nicht deutsch genug für die Stadt waren. Und ich habe eine deutsche Mutter, ich heiße König mit Nachnamen. Wie wäre es wohl noch gewesen, wenn ich den Namen meines Vaters tragen würde? Als ich mehrmals das N-Wort hören musste, habe ich dann die Ausbildung abgebrochen. Gleichzeitig damit kam die Erkenntnis, dass ich auf einer politischen Ebene in einer Welt, die ist, wie sie ist, nicht das erreichen kann, was ich möchte. Vielleicht wäre das nochmal anders gewesen, wenn es eine Partei gegeben hätte, mit der ich mich perfekt hätte identifizieren können. Das war – und ist – aber nicht so.

Auch heute noch bekomme ich viele Anfragen von jungen Leuten, die mich fragen, wen sie bei einer Wahl wählen sollen. Diese Entscheidung kann ich ihnen nicht abnehmen. Deshalb habe ich mich auf die Arbeit mit Jugendlichen konzentriert. Und ich sage damals wie heute: Meine Partei ist die Jugend. In der Arbeit mit ihnen bin ich freier und kann Probleme freier thematisieren.

Es ist total wichtig, dass Jugendliche eine Figur haben, die sie vertritt. Und gleichzeitig sind die Jugendlichen ja auch mehr als eine homogene Gruppe, sondern sehr divers und haben beispielsweise bei der letzten Bundestagswahl total unterschiedlich gewählt. Wie gehst du damit um?

Auch das ist mir im Jugendparlament das erste Mal begegnet: Dass es dort Jugendliche gibt, die mit der AfD und co sympathisieren. Allerdings muss ich sagen, dass sie mich das nie allzu sehr haben spüren lassen. Vielleicht liegt das auch daran, dass – in meiner Erfahrung – die wirklich schlimm festgefahrenen Meinungen die der Erwachsenen sind. Den Jugendlichen habe ich damals immer noch eine Chance, den Benefit of the Doubt, gegeben. Weil ich irgendwann verstanden habe, dass Kinder das Weltbild und die Werte ihrer Eltern übernehmen. In der Regel lieben alle Kinder ihre Eltern und natürlich hinterfragen viele auch das, was die Eltern transportieren. Aber nicht alle und nicht ständig, denn auch die Fähigkeit zu hinterfragen ist etwas, was man von Zuhause mitbekommt – oder eben auch nicht.

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Wie bist du dann praktisch vorgegangen?

Es gibt natürlich Fälle, in denen man mit einer Person spricht, deren Werte man wirklich überhaupt nicht teilt und man aber dennoch zu ihr durchdringen möchte. Da ist das Schlechteste, was man machen kann, die Werte und ihren Ursprung schlechtzureden. Weil die Person ja den Ort, von dem die Werte stammen, schätzt, deshalb hat sie sie ja auch übernommen. Mit den meisten Leuten kommt man mindestens mit einem Prozent auf einen gleichen Nenner. Der kann die Grundlage für eine Diskussion sein. Das ist meine Überzeugung.

Was müsste denn von politischer Seite – ob in der Kommunal-, Landes- oder Bundespolitik – passieren, um wieder mehr Jugendliche zu erreichen, damit sie sich ernstgenommen und gesehen fühlen – und es auch werden?

Das ist eine wichtige Frage. Derzeit wird von den Regierenden, die ja immer zum Großteil Vertreter:innen der älteren Generationen sind, gefordert, dass die Jugendlichen sich nach ihren Rahmenbedingungen verhalten. Dabei bräuchten Jugendliche doch Mitspracherecht bei dem Setzen dieser Rahmenbedingungen. Es braucht einen Raum, in dem Jugendliche sich unter Anleitung von Personen, denen sie vertrauen und mit Bereitstellung von Handwerkszeug, selbst entfalten können. Außerdem brauch es mehr BiPoC & PoC in der Jugendvertretung. Leute die so aussehen wie ich!

Kannst du das konkretisieren? Wie müsste so ein Raum aussehen, wo sollte er sein? Es gibt ja schon Initiativen wie Jugendzentren.

Wir müssen diese Ideenräume, wie ich sie nenne, in die Lebensräume der Jugendlichen bringen. Jugendzentren sind wichtig, aber dort gehen auch nur bestimmte Gruppen regelmäßig hin. Es braucht am Lebensmittelpunkt der jüngeren Generationen einen Ort, an dem sie unter Anleitung der nötigen Vorbilder einfach mal machen können, was sie möchten. Wo es die Möglichkeit gibt, dass sie sich frei Projekte überlegen können. Und zwar zu den Themen, die sie interessieren. Und der Lebensmittelpunkt von allen zwischen sechs und achtzehn sind nun Mal die Schulen, deshalb müssten die Ideenräume dort sein. Ich sehe das in den Workshops, die ich an Schulen gebe. Ich gebe ihnen das Handwerkszeug, setze erste Impulse und dann haben sie die Freiheit, selbst etwas zu erarbeiten. Am Ende der Woche merken sie dann: „hey, in dieser Zeit ist vieles möglich, wenn sich jemand mit mir hinsetzt und mich ernst nimmt.“ Ihre Ergebnisse werden dann in der Community diskutiert und weiterentwickelt. Das ist meine Erfahrung. Aber natürlich weiß ich, dass es an Schulen derzeit sowieso schon ein massives Ressourcenproblem gibt. Ich glaube dort alleine ist schon der erste und auch einer der wichtigsten Problempunkte.

Du bist jetzt Mitte zwanzig. Wie behältst du den Anschluss an die Bedürfnisse der jüngeren Generation?

Es gibt so ein Sprichwort, das besagt: Du hast zwei Ohren und einen Mund. Das bedeutet ganz einfach, dass man doppelt so viel zuhören soll wie sprechen. Wann immer wir im Austausch mit den Jugendlichen sind, hören wir zu, um ihre Ansichten und Bedürfnisse bestmöglich in den betreffenden Gremien vertreten zu können. Gerade kommen Leute noch zu mir und fühlen sich von mir repräsentiert. In ein paar Jahren wird das nicht mehr so sein. Ich ziehe mich jetzt schon aus einigen Projekten zurück, zum Beispiel den Salzgitter Steelers. Das Footballteam existiert auch super ohne mich, weil es unter den Mitgliedern einfach den Bedarf gibt. Deshalb ist Kommunalarbeit ja auch so wichtig: Du setzt Impulse und hoffst einfach, dass sie an gewissen Stellen im Leben von anderen wirklich eine Veränderung hervorrufen.

In zehn Jahren werde ich vielleicht im Hintergrund weiter organisieren, dass Räume für Jugendliche bestehen bleiben. Sprachrohr wird dann jemand anders sein. Und zwar der- oder diejenige, von denen sich die jüngere Generation am besten vertreten fühlt.

Mehr zum Thema Antirassismus gibt es zum Beispiel hier.

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  1. Chordophonistar says:

    „Mit den meisten Leuten kommt man mindestens mit einem Prozent auf einen gleichen Nenner.“ Chapeau! Ganz schön weise für einen Mittzwanziger!

    Übrigens: Zwischen den neunziger Jahren und 2019 wurde bundesweit ein Drittel aller Jugendfreizeiteinrichtungen geschlossen — wer nicht wählen gehen kann, scheint mithin politisch uninteressant; Konsequenz: Alter für das Wahlrecht herabsetzen!

  2. Pingback:Weshalb wir anders über Sexarbeit sprechen müssen mit Ruby Rebelde - Reversed Magazine

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