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Humanitäre Hilfe: Stimmen für Stabilität im Südsudan

Schwarz-weiß Bild einer Frau, die angeleuchtet neben anderen auf dem Boden sitzt. Sie alle erhalten Humanitäre Hilfe im Südsudan.

„Don’t abandon South Sudan“, sagt Caroline Sekyewa, Country Director vom International Rescue Committee (IRC), „lasst den Südsudan nicht allein“. Sie sagt es laut, klar, energisch. Denn sie weiß, was passiert, wenn sich die internationalen Organisationen aus dem Land zurückziehen. „Wenn ihr den Südsudan verlasst, dann wird es eine humanitäre Krise geben, die die Welt noch nicht gesehen hat“. Sie steht im Konferenzraum im Hotel in Juba, der Hauptstadt des Südsudan, vor Verteter:innen zahlreicher Hilfsorganisationen sowie der Delegation der „In den Fokus“-Kampagne. Initiiert ist sie von den Johannitern, gemeinsam mit rund 30 anderen deutschen Organisationen, gefördert vom Auswärtigen Amt: Sie möchte die Aufmerksamkeit auf die unterrepräsentierten Krisen dieser Welt lenken – und die prekäre und volatile Lage im Südsudan ist eine von ihnen. Sie ist international und medial zu sehr vergessen, dem stimmen die Anwesenden alle zu. Egal ob Vertreter:innen von Caritas, Malteser, Diakone, Save the Children, Aktion gegen den Hunger, CARE und co.: Sie alle haben Sorge davor, wie ihre humanitäre Hilfe und Arbeit in einer Zeit weitergeht, in der die finanziellen Mittel sinken, obwohl die Bedarfe stetig steigen.

75 Prozent der mindestens zwölf Millionen Menschen im Südsudan sind auf humanitäre Hilfe angewiesen

Auf den ersten Blick scheint Sekyewas Sorge unbegründet, denn natürlich möchte von den hier anwesenden NGOs eigentlich niemand den Südsudan verlassen. Im Gegenteil: die Organisationen sind hier, um zu helfen. Sie verteilen Lebensmittel, geben Landwirtschaftskurse, richten sichere Rückzugsorte für Frauen ein, sorgen für sauberes Trinkwasser, ermöglichen medizinische Versorgung, unterstützen Schulen. Die Liste ist lang. Trotz widrigster Voraussetzungen – so hat auch die Hauptstadt Juba erst seit zwei bis drei Jahren ein Stromnetz, davor lief der gesamte Strom über Generatoren – leisten sie humanitäre Hilfe. Jeden Tag wieder. Und das ist auch Teil des Problems.

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„Wir machen jeden Tag die gleiche Arbeit“, sagt Sekyewa. „Wenn wir Fortschritte machen, zum Beispiel bei der Ernährungssicherheit, dann kommen Herausforderungen wie die Klimakrise hinzu und man wird wieder zurückgeworfen“. Auch hier wieder: große Zustimmung der Anwesenden. Bernd Serway, Head Of Mission der Diakonie im Südsudan sagt dazu bloß: „Heute retten wir Leben, aber morgen müssen diese Leben wieder gerettet werden“. Sie alle wollen, dass sich die Situation endlich verbessert und sie nicht mehr gebraucht werden. Ganz so einfach ist es aber nicht.

Das Erbe des Bürgerkriegs

Denn der schwierige Zustand hält seit dem Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2013, zwei Jahre, nachdem das Land vom Sudan unabhängig wurde, an. Kontinuierliche Unruhen, wirtschaftliche Instabilität, Hunger, sie alle gingen Hand in Hand und blieben auch nach dem Ende des Kriegs im Jahr 2018. Das macht den Südsudan zu einem sogenannten failed state, der ohne externe Hilfe nicht bestehen kann und der die vielen Maßnahmen der NGOs nötig macht. Kurzum: Würden internationale Kräfte wie die Vereinten Nationen und die Nichtregierungsorganisationen das Land verlassen, wäre das für die 75 Prozent der Menschen, die im Land auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, fatal. Das ist es, wovor Caroline Sekyewa so eindrücklich warnt.

Welche Perspektive hat humanitäre Hilfe im Land?

Aber obwohl das eben eigentlich niemand möchte, ist doch die Problematik, die sich nicht wegignorieren lässt: Welche mittel- und langfristigen Perspektiven gibt es für die Menschen in einem failed state überhaupt? Welche Möglichkeiten und Chancen haben sie? Eine weitere Frage, die auch mit im Raum steht, ist eine grundsätzlichere: Wenn das Land ohne humanitäre Hilfe nicht weiter bestehen könnte, sind die Organisationen dann nicht auch mitverantwortlich dafür, eine Regierung, die nichts für seine Menschen tut, mitaufrechtzuerhalten?

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Und auch da sind sich irgendwie alle einig: Eigentlich kann es so, wie es bisher ist, nicht bleiben. Eigentlich muss sich an dem System Humanitäre Hilfe, wie es jetzt ist, so einiges ändern. Deshalb haben sie auch viele Ideen, was getan werden kann, ohne die Maßnahmen als die eine Lösung zu präsentieren. Wahrscheinlich deshalb, weil sie alle ineinander greifen, sich gegenseitig bedingen.

Bildung und Gemeinschaften

Im Südsudan gehen derzeit drei von vier Mädchen nicht zur Schule. Dabei ist klar, dass ohne ein funktionierendes Bildungssystem kaum Verbesserung eintreten kann. Die Malteser bieten in einer Schule in Juba deshalb täglich eine warme Mahlzeit – Reis und Bohnen – an. Seit es diese Maßnahme gibt, konnte die Schule immer mehr Schüler:innen gewinnen und ist nun ein wichtiger Anker in der Community. Das ist ein kluger Ansatz, denn nur mit vollem Magen lässt sich gut lernen. Aber auch die Erwachsenen profitieren von der Schule als eine Art Ort der Versammlung. Hier haben sie eine Anlaufstelle, an der sie sich treffen, diskutieren, beraten

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Auch in Wau, der zweitgrößten Stadt des Südsudan, gibt es NGO-initiierte Schulprojekte. Bei der Organisation CARE lernen die Schüler:innen beispielsweise in eigenen Theaterstücken über Geschlechtergerechtigkeit. 65 Prozent der Mädchen und Frauen im Südsudan sind körperlicher oder sexueller Gewalt ausgesetzt, berichtet das IRC – es ist eine der höchsten Prozentzahlen weltweit. Die Theaterstücke simulieren reale Situationen und geben den Mädchen das Werkzeug an die Hand, sich in Übergriffssituationen zu wehren. Gleichzeitig lernen die jungen Männer, das Nein der Mädchen und Frauen zu akzeptieren. Die NGOs wie CARE und Malteser sagen aber auch, dass es hier sehr viel mehr Ressourcen braucht: Bis alle Kinder zur Schule gehen und von diesen Maßnahmen profitieren, ist es noch ein weiter Weg – und das Geld knapp.

Humanitäre Hilfe und Dekolonialisierung

Die Vertreter:innen der Diakonie Katastrophenhilfe vor Ort sagen, für sie sei es grundlegend, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen. Beinahe alle Organisationen, die in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind, beteuern zwar regelmäßig ihre Dekolonialisierungsvorhaben. In den Projekten der Diakonie setzen sie sie aber insofern praktisch um, erklären sie, dass „lokale Partner:innenorganisationen vor Ort einen Großteil der Arbeit erledigen“. Indem man sich auf lokale Akteur:innen verlässt, nimmt man den internationalen Organisationen langfristig die Relevanz. Sollten diese dann zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr im Land sein, bleiben Strukturen erhalten. Im Zweifelsfall wissen lokale Organisationen natürlich sowieso am besten, was die Menschen im Land brauchen. Sie sprechen ihre Sprache, kennen ihre Bedürfnisse. Je weniger Aktionen von außen, die auf dem Papier sinnhaft klingen, es aber nur bedingt sind, durchgeführt werden, umso langfristig effektiver.

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Ohne internationales Zutun geht es nicht

Kommunikation ist auch auf anderen Ebenen etwas, das die NGOs als unabdinglich herausstellen: Die bilateralen Beziehungen zwischen Ländern wie Deutschland und dem Südsudan sollten dringend vertieft werden, um die Lage vor Ort besser einschätzen und auf sie reagieren zu können. Insgesamt bräuchte es mehr diplomatischen Druck, sagen die Organisationen. Nur wenn internationale Regierungsvertreter:innen und Diplomat:innen auf die schwierige humanitäre Lage hinweisen würden, könne sich wirklich etwas ändern. Die Welt muss einfach dringend hinschauen.

Weshalb Wahlen unabdinglich sind

Die Menschen im Land haben kein Vertrauen in eine Regierung, die es nicht schafft, die basalste Infrastruktur zur Verfügung zu stellen – wenn sie überhaupt Kenntnis über die Regierung und ihren Zustand haben. Um einen ersten Schritt hin zu einer demokratischen Legitimierung zu gehen, brauche es Wahlen im Land, sagt Sekyewa vom IRC. Viele NGOs zweifeln aber an der Umsetzung: Die meisten Menschen wohnen weitab von jeglicher Infrastruktur und Straßen, besitzen kein Fahrrad, geschweige denn ein Auto. Wie sollen Wahlwerbung stattfinden und eine Teilnahme von Menschen ermöglicht werden? Sekyewa sagt, dass das für den Moment nicht die wichtigste Frage sei, genauso wenig wie der Ausgang der Wahl. Sie meint: „Für den Moment geht es einfach darum, eine:n offizielle:n Ansprechpartner:in zu haben“ – eine legitimierte Person, die nach außen, innen und in allen Gremien die Verantwortung trägt und in der Folge auch zur Verantwortung gezogen werden kann.

Ende 2024 steht für diese Wahlen als Datum im Raum. Weil es unklar ist, ob sie überhaupt stattfinden können, bedeutet das für die NGOs für den Moment vor allem eins: Weitermachen. In ihren Projekten, in den Schulen, in den Gärten, den kleinen Bäckereien, den medizinischen Anlaufstellen. Damit die Menschen vor Ort nicht allein gelassen werden.

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