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Demokratie selbst gestalten und Feminismus leben mit der politbande Nürnberg

Welche Möglichkeiten hat man, wenn die Politik die eigenen Interessen nicht vertritt und Parteistrukturen nicht den richtigen Rahmen bieten? Einfach selbst machen – die politbande, der Verein zur Förderung der soziokulturellen Freiräume, Partizipation und Nachhaltigkeit in Nürnberg e.V., in Nürnberg macht’s vor. Ein Jahr vor den letzten Stadtratswahlen sind sie Ende 2018 zusammengekommen: Als Vertreter:innen vieler verschiedener Kollektive, Initiativen und Gruppen aus Kunst, Kultur, Nachhaltigkeit und Feminismus. Und haben einen Platz im Stadtrat erlangt, um Demokratie selbst aktiv mitzugestalten.

Ein Gespräch mit Natalia, Irina und Andrea über das Prinzip politbande, welche partizipativen Möglichkeiten unsere Demokratie bietet, und wie man die Botschaften des feministischen Kampftags am 8. März das ganze Jahr über leben kann.

Natalia ist seit Beginn an bei der politbande und ist in dem Format „Neues aus dem Stadtrat“ sehr aktiv. Andrea ist seit knapp einem Jahr bei der politbande und insbesondere im 8.März-Team aktiv. Und Irina, ebenfalls besonders aktiv im 8.März-Team, ist seit Ende 2020 bei der politbande, nachdem sie sie über die Kommunalwahlen kennengelernt hat.

Irina, Natalia, Andrea: Was ist die politbande genau und warum wird sie gebraucht?

Natalia: Die politbande hat sich direkt mit der Idee gegründet, einen Platz im Stadtrat zu bekommen. Es ist eine Initiative verschiedener subkultureller Akteur:innen, die in Gesprächen untereinander immer wieder festgestellt haben: Es ist sehr frustrierend, gegenüber der Politik immer in einer Art Bittsteller:innenposition zu sein, die man als soziokulturelle:r Akteur:in oft hat. Es gibt so viele Gruppen, die wahnsinnig gute Arbeit leisten. Klar, sie ist ehrenamtlich, aber eben höchst professionell. Ich komme aus dem Team vom Brückenfestival. Da kommen jedes Mal 25.000 Besucher:innen. Und genauso gute Arbeit leisten viele kleine Vereine. Und trotzdem waren alle so frustriert, immer wieder zum Liegenschaftsamt, zum Ordnungsamt gehen und fragen zu müssen, ob wir diesen oder jenen Raum überhaupt nutzen können. Wir dachten: Wir müssen raus aus dieser Position, uns nur zu beschweren, und wo wir die Infos immer viel zu spät bekommen. Wir wollen jemanden im Stadtrat haben. Und das hat geklappt.

Wie war der Prozess dahin?

Natalia: Unser erstes Treffen war 2018, im März 2020 waren in Nürnberg Kommunalwahlen. In der Zeit dazwischen haben wir viele Gespräche geführt und versucht, Kandidierende für unser Projekt zu finden. In Nürnberg gibt es 70 Plätze im Stadtrat, man kann also höchstens 70 Personen aufstellen. Wir wollten also nicht nur zwei, drei Kandidierende aufstellen, sondern alle 70 Plätze ausfüllen, wie die großen Parteien. Am Ende kamen sie alle aus über 60 verschiedenen Vereinen und Kollektiven. Parallel mussten wir uns selbst beibringen – und auch den Wähler:innen erklären – wie das gesamte System der Stimmen funktioniert. Viele, die uns gewählt haben, haben uns tatsächlich direkt gewählt. Und das hat eben gereicht, um jemanden in den Stadtrat zu bringen.

Was ist euer Fazit der ersten zwei, drei Jahre in dieser Position: Wie gestaltet ihr Demokratie aus?

Natalia: Was wir wirklich geschafft haben, ist ganz viel Skepsis abzubauen – auch in den eigenen Reihen. Viele Leute, die sonst eher auf der Straße, in der Opposition unterwegs sind, haben uns gefragt, was wir in dieser Institution überhaupt wollen. Aber wir haben es geschafft, diese Brücke zu sein, die wir auch sein wollten: Wir bekommen Informationen aus dem Stadtrat viel früher. Und nicht, weil irgendjemand über drei Ecken mit irgendjemandem von der SPD befreundet ist, sondern weil wir wirklich aktiv diese Infos raustragen und auch aktiv Infos einbringen können. Wir haben mehr Momentum im Stadtrat, als wir anfangs dachten.

Irina: Ja, es sind zwar 70 Mitglieder im Stadtrat, aber in den Ausschüssen sind immer nur ungefähr 15. Und Ernesto macht einfach eine wahnsinnig gute Arbeit im Kulturausschuss, der uns total wichtig ist, sowie im Umweltausschuss, Bau- und Vergabeausschuss und der Opernhauskommission.

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Und dort seid ihr dann an Entscheidungen beteiligt.

Natalia: Ja, damit kommt für uns intern aber auch die Herausforderung, nicht immer nur auf etwas zu reagieren, was im Stadtrat besprochen wird. Zum Beispiel, wenn wieder ein Gebäude verkauft werden soll, sondern auch selbst aktiv Themen zu setzen. Mittlerweile ist da als Bewegung bereits viel passiert, zum Beispiel haben wir ja eine große Reichweite – nicht nur über Social Media, sondern insgesamt. Deshalb kommen auch manchmal Initiativen zu uns und fragen: Hey, könnt ihr vielleicht dieses oder jenes Thema größer machen? Und es gibt einen sehr aktiven Wissenstransfer in allen Initiativen untereinander.

Irina: Ich würde uns deshalb vielleicht am ehesten als Verstärkerin bezeichnen, als Netzwerk oder Ähnliches. Wir bündeln Interessen, ohne dass sich jemand unterordnen muss.

Gibt es dennoch Organisationen oder Initiativen, für die die politbande nichts ist?

Natalia: Natürlich. Deshalb würde ich auch nicht zwingend sagen, dass sich die Kritik aus den eigenen Reihen zu einhundert Prozent gelegt hat, und das ist auch gar nicht das Ziel. Dann würde man schnell in eine Struktur reinschlittern, die sich nicht mehr verändert oder sich nur noch in dem eigenen Kreis bewegt. Wir sind weiterhin in diesem Spannungsverhältnis, das fragt: Für wen stehen wir? Wie sehr arbeiten wir mit institutionellen Strukturen, mit der Verwaltung zusammen? Wie sehr machen wir da auch kollegiale Erfahrungen und können aber trotzdem kritisch hinterfragen? Und dadurch, dass sich uns niemand mit einer Unterschrift anschließen muss, kann man auch nicht sagen, wir hätten irgendwelche Leute komplett verloren. Aber es gibt manchmal Leute, die sich eher mehr oder weniger für die politbande interessieren. Und das ist völlig in Ordnung. Die offenen Sympathisant:innen, sowohl als Einzelpersonen als auch als Verein und Kollektiv, sind auf jeden Fall mehr geworden.

Viele Parteien haben spezieller und für bestimmte Zielgruppen angefangen und sich dann institutionalisiert, wie es eben in einer Demokratie so ist. Wird euch das auch passieren?

Natalia: Ich glaube, es wird weiterhin ein Spannungsfeld bleiben. Es ist die alte Frage: Wie ändert man eine Gesellschaft, von innen oder von außen? Beide Möglichkeiten haben ihre Limitierungen. Wir sind keine klassische Partei, unsere Genese war ja bereits eine andere. Wir waren keine Bewegung, sondern einzelne Leute und Initiativen mit unterschiedlichen Interessen und Schwerpunkten. Parteien haben starke Hierarchien, wir entwickeln kontinuierlich Methoden, um Hierarchien abzubauen.

Andrea: Niemand wird zur Mitarbeit verpflichtet, alle beteiligen sich so, wie sie möchten und können. Ein kollektives Arbeiten ist für uns wichtig und gleichzeitig sind wir alle stimmberechtigt, weil wir ein grundsätzliches Vertrauen ineinander haben. Wir begreifen (politische) Bildung als Schlüssel für Veränderung. Sie muss zugänglich sein. Deshalb arbeiten wir möglichst niedrigschwellig, um allen Menschen mit ihren verschiedenen Ressourcen die Chance auf Teilhabe und Mitwirkung bieten zu können.

Irina: Es gibt ein Überblicksgremium, wo im Vergleich zu anderen Arbeitskreisen weniger inhaltlich und mehr strategisch und für die allgemeine Koordination und Organisation gearbeitet wird, aber auch dort kann man sich schnell beteiligen.

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In welchen Arbeitskreisen beteiligt ihr euch denn selbst so?

Andrea: Seit ich in der politbande bin, bin ich hauptsächlich mit Irina und Weiteren bei den 8. März-Aktionen beteiligt. Genauso wie in der Arbeit der politbande allgemein, ist uns in der 8.März-Gruppe der intersektionale Ansatz wichtig. Unter Intersektionalität verstehen wir, bestehende Klassenverhältnisse zusammen mit den Dimensionen von Identität – also etwa Geschlecht, Herkunft, sexuelle Orientierung – und deren Überlagerungen zu analysieren. Für die Arbeit innerhalb der politbande bedeutet das: Wir haben eine große Altersspannweite, kommen aus unterschiedlichen Initiativen, aus Arbeiter*innen- und Akademiker*innenfamilien, bringen (post-)migrantische und queere Perspektiven ein, und vieles mehr. Für die Arbeit zu unserer diesjährigen 8. März-Aktion bedeutet Intersektionalität: Wir beziehen neben der patriarchalen auch andere Unterdrückungsmechanismen ein. So haben wir etwa gezeigt, wo sich Misogynie mit Rassismus, Klassismus oder Ableismus verschränkt, inwiefern zum Beispiel der Geschlechterkampf der Mittelschicht auf dem Rücken von – oft migrantischen – Arbeiterinnen ausgetragen wird.

Wie habt ihr die 8.März-Kampagne in diesem Jahr konkret ausgestaltet?

Irina: Darüber, dass wir eine Kampagne für den 8. März über die sozialen Medien gestaltet haben, hatte sie eine gute Zugänglichkeit für viele unterschiedliche Rezipierende. Darüber haben wir versucht zu vermitteln, dass Patriarchat, Kolonialismus und Kapitalismus sich wechselseitig bestärken oder überlagern. Das Verständnis darüber ist grundlegend dafür, um etwas zum Besseren ändern zu können. Das sind aber komplexe Themen, und sie herunterzubrechen ist eine Herausforderung, die auch Teil unserer Arbeit ist, weil wir ja politische Bildungsarbeit machen.

Andrea: Auf den Slides haben wir den Status Quo aufgezeigt, in den Begleittext sowie in einem externen Dokument Hinweise für Quellen und weitere Informationen integriert, damit die Informationen zwar komprimiert sind, aber dennoch nicht verkürzt und zu unterschiedlichen Zielgruppen und Wissensständen passen. Gleichzeitig sollten die Leute so motiviert werden, sich intensiver damit zu beschäftigen. Gleichzeitig haben wir intern viel diskutiert, zum Beispiel über Begrifflichkeiten: Auch diese sollen zugänglich sein, aber gleichzeitig dürfen wir sie nicht einfach weglassen. Selbstbezeichnungen etwa sind wichtig, weil sie eine politische und sichtbar machende Dimension haben. Denn Worte werden gefunden, um spezifische Erfahrungen von Marginalisierung überhaupt benennen zu können, das ist eine wesentliche Basis. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, Begriffe, die vielleicht nicht für alle gängig sind, direkt in den Slides zu erklären.

Hat das gut geklappt?

Andrea: Auch wir können nicht alle Perspektiven zu einhundert Prozent abbilden, diesmal fand ich den Schwerpunkt zum Beispiel recht eurozentrisch, auch waren Menschen ohne Instagram von unserem Wissenstransfer ausgeschlossen. Aufgrund unserer Ressourcen haben wir uns entschieden, uns diesmal auf den uns umgebenden Bereich zu konzentrieren, auch weil die politbande in erster Linie regional wirkt. Und selbst, wenn wir bereits selber verschiedene Perspektiven mitbringen, so können wir doch nicht für alle sprechen – und wollen das auch nicht. Denn es gibt viele kluge Analysen von Menschen, die Bildungsarbeit geleistet und Wissen niedergeschrieben haben. Deshalb haben wir Literatur von Menschen mit verschiedenen Erfahrungen, etwa von BIPoC, zum Weiterlesen empfohlen. Hinzu kommt: Weil die systemischen Verhältnisse durch die intersektionale Brille komplexer – und damit weniger zugänglich – werden, ist es kaum möglich, alle Aspekte über Social Media zu vermitteln.

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Und inhaltlich?

Andrea: Bezüglich der Vollständigkeit ist uns auch wichtig zu betonen: Wir zeichnen in unserer diesjährigen Aktion eine Gesellschaft, in der FLINTA* sichtbar(er) wären. In Teilen zeigen wir auf, wie die Welt aussehen würde, wenn unser aktuelles kapitalistisches, rassistisches und patriarchales System überwunden wäre. Dazu müssen wir aber zunächst aufzeigen, warum das aktuelle System uns schadet, und welche Teilschritte uns in eine bessere Welt führen. Das ist auch ein Aspekt der Klassenfrage und gehört zu unserem Anspruch, zugänglich zu bleiben. Deshalb haben wir also teilweise mögliche Lösungen aufgezeigt, manchmal aber auch nur Etappen hin zu einer besseren Welt. So fordern wir beispielsweise die Verurteilung von Feminiziden als Morde statt Totschlag. In einer idealen Welt sollten wir natürlich überhaupt kein Strafsystem mehr wollen, aber heute ist es notwendig, Feminizide als Morde anzuerkennen, um dieses Problem überhaupt erst einmal in der breiten Gesellschaft sichtbar zu machen – und eben nicht nur innerhalb unserer Bubble.

Irina: Insgesamt hat alles sehr gut geklappt. Die Resonanz auf das Projekt war sehr gut. Ein paar Hater – ich glaube, die müssen wir an der Stelle nicht gendern – gibt es natürlich immer. Interessanterweise haben sie sich anhand der Kommentare unter dem Beitrag zum Thema „Öffentlicher Raum“ am meisten bedroht gefühlt.

Wie arbeitet ihr über das Jahr an diesem Thema weiter, jetzt, wo der 8. März rum ist?

Irina: Darüber denken wir gerade sehr viel nach. Eine Idee wäre, unterschiedliche Akteur:innen für Gespräche an einen Tisch zu bekommen. Oder es gibt zum Beispiel tatsächlich noch kein feministisches Zentrum in Nürnberg, dafür setzt sich gerade der Verein „Feminists in Action“ ein. Hier können wir gut weiterarbeiten.

Mehr zu Akteur:innen, die Demokratie aktiv ausgestalten, gibt es zum Beispiel hier zum Nachlesen.

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