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Stigmatisierung per Gesetz: Queere Menschen in Georgien und der Kampf um ihre Freiheit

Es ist ein heißer Sommertag auf der Giorgi Akhvlediani Street. In der unscheinbaren Straße mitten in der georgischen Hauptstadt Tbilisi reiht sich ein Thai-Massageshop an den nächsten. Kleine Cafés verstecken sich hinter Mauern, die mit “WE ARE EUROPE” oder “BLOODY RUZZIA KILLS” Graffiti beschriftet wurden. Eine normale Straße in der gehypten Metropole – bis auf ein besonderes Detail. Still weht eine Regenbogenflagge vom obersten Balkon des Hauses Nummer 17. Keine Selbstverständlichkeit in Georgien, wo queeren Personen politische Verfolgung droht. Der Blick zum Eingang des Hauses bestätigt den Hass, dem queere Menschen in Georgien sich ausgesetzt sehen. Rote Farbe klebt an den Wänden, und ein homophobes Schimpfwort prangt auf der Tür.

„Das ist immer noch unser Büro, wir haben es zurückerobert”, erzählt uns Tamar Jakeli. Tata, wie sie von ihrer Umgebung genannt wird, ist Aktivistin und wurde in Deutschland geboren. Die heutige Direktorin von Tbilisi Pride, die in den USA und Schweden Ökologie und internationale Beziehungen studierte, bringt eine breite internationale Perspektive in ihre Arbeit ein. Damit leitet sie die 2019 gegründete Nichtregierungsorganisation, die sich für die Rechte und Emanzipation für queere Menschen in Georgien einsetzt. 2021 wurde genau dieses Büro von einer Gruppe rechtsextremer Männer angegriffen, die über die Hausfassade zum Balkon hochkletterten, um die Regenbogenflagge zu zerstören und das Innere zu verwüsten. Die Bilder gingen um die Welt.

queere Menschen in Georgien werden systematisch diskriminiert: Ein beschmierter Hauseingang
Der Hauseingang der Nr. 17 – beschmiert mit diskriminierendem Graffiti

Blutige Auseinandersetzungen und Hetzjagd auf Pride-Organisator:innen

Am 5. Juli 2021 sollte der erneute Versuch einer Pride-Demonstration auf der Rustaweli-Straße, der Hauptstraße Tbilisis, auf der sich auch das Parlament des Landes befindet, stattfinden. 2019 war dies jedoch nicht möglich, erzählt Tata. Der kontroverse Besuch des russischen Politikers Sergej Gavrilov im georgischen Parlament führte zu spontanen Massenprotesten, die unter Polizeigewalt blutig endeten. Die tief verwurzelte Abneigung vieler Georgier:innen gegen russischen Einfluss, insbesondere nach den historischen Konflikten mit Russland, entflammte erneut und führte zu landesweiten Protesten. Die Pride Week musste daraufhin verschoben werden. Letztendlich fand nur eine kleine Demonstration mit wenigen Personen weit abseits der Hauptstraße statt. 2020 fiel sie aufgrund der Corona-Pandemie gänzlich aus.

Bereits am Morgen der Pride-Demonstration schlossen sich rechtsextreme und nationalistische Gruppierungen zusammen, randalierten entlang der Rustaweli-Straße und griffen Medienvertreter:innen, wahllos an. Über 50 von ihnen wurden verletzt, ein Kameramann starb wenige Tage später an seinen Verletzungen. 

Keine Aufarbeitung von Taten gegen queere Menschen in Georgien

„Die Polizei unternahm nichts – sie sah einfach nur zu und ließ es geschehen. Gleichzeitig verfolgten einige Mitglieder der homophoben Gruppen die Pride-Organisator:innen von einem Büro zum nächsten. Sie mussten acht verschiedene Orte aufsuchen, nur um sicher zu bleiben. Dieser Tag war für die queere Community in Georgien einfach furchtbar und traumatisierend“, schildert Tata. Auch Amnesty International kritisierte, dass die Behörden unzureichende Polizeikräfte bereitgestellt hatten. Diese wiesen in öffentlichen Erklärungen jedoch jede Verantwortung für die Eskalation von sich und beschuldigten die Organisator:innen, die Gewalt selbst herbeigeführt zu haben. Eine Untersuchung der Gewalttaten bleibt bis heute aus.

„Seitdem haben wir als Community keine öffentliche Demonstration mehr angekündigt, weil wir Angst haben, dass es wieder zu Gewalt kommt. Wir können das einfach nicht rechtfertigen – es hat bereits ein Mensch sein Leben aufgrund dieser Gewalt verloren.” 

Deshalb werden nur noch kleinere Events wie Filmabende, Konferenzen oder Festivals als Alternative veranstaltet. Diese sind wichtig, erklärt Tata: „Es ist eine politische Botschaft – ein Zusammenkommen und eine Feier unserer Widerstandskraft. Trotz allem kommen wir zusammen und versuchen, das Beisammensein zu genießen.“

Seit Jahren kämpft Tata mit Tbilisi Pride gegen die Diskriminierung und Übergriffe.

Systematische Diskriminierung und Stigmatisierung per Gesetz

Bis heute gab es keine Pride-Demonstration in Georgien. Und aktuell sieht es nicht danach aus, als würde sich das bald ändern: Im September wurde das sogenannte Familienwerte-Gesetz von der Regierungspartei „Georgischer Traum” beschlossen. Sie ähnelt der russischen Gesetzgebung zur Einschränkung von queeren Rechten, indem sie unter anderem Geschlechtsangleichungen verbietet, gleichgeschlechtlichen Paaren und Transmenschen die Adoption untersagt und im Ausland geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen nicht anerkennt. 

Die Regierung spielt die Inhalte des diskriminierenden Gesetzes herunter und führt aus, dass es die ‚Einschränkungen der Propaganda von gleichgeschlechtlichen Beziehungen (..) in Bildungseinrichtungen und Fernsehsendungen‘ vorsehe. International wurde das Gesetz scharf kritisiert. Das Gesetz sei eine „Diskriminierung und Stigmatisierung” von sexueller Minderheiten, äußerte sich der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Erst kurz zuvor hatte Georgien das Gesetz gegen „ausländische Agenten“ beschlossen, das ebenfalls von verschiedenen EU-Politiker:innen kritisiert und Massenproteste ausgelöst hatte. Kritiker:innen sehen hier ebenfalls Parallelen zum russischen Gesetz gegen ‚ausländische Agenten‘, das es den Behörden ermöglicht, verstärkt gegen unabhängige Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen vorzugehen. Somit könnte es nun auch in Georgien genutzt werden, um den Handlungsspielraum von regierungskritischen Gruppen und Medien erheblich einzuschränken.

Queere Menschen in Georgien und die EU

Ein Schock für die georgische Bevölkerung, von der mindestens 80 Prozent einen Beitritt zur EU befürworten, und eine massive Hürde für sämtliche Nichtregierungsorganisationen, die sich für Rechte von Minderheiten einsetzen. Seit den ersten Versuchen im Jahr 2023, beide Gesetze zu verabschieden, versammeln sich immer wieder Tausende Menschen zu Protesten vor dem Parlament. Der EU-Beitritt und die dazugehörigen Bestrebungen sind in der georgischen Verfassung verankert – viele Georgier:innen befürchten, dass die neuen Gesetze diese Ziele gefährden könnten. Tatsächlich wurde als Reaktion auf das verabschiedete Agentengesetz der Beitrittskandidatenstatus Georgiens, welcher im Dezember 2023 offiziell wurde, durch die Europäische Union eingefroren.

Trotz der Weigerung der proeuropäischen Präsidentin Salome Surabischvili, das Gesetz zu unterzeichnen, setzte Parlamentspräsident Schalwa Papuaschvili Anfang Oktober auch das Anti-LGBTQ-Gesetz in Kraft – ein weiterer Bruch mit der EU. „Die Fortschritte der letzten zehn Jahre werden durch dieses Gesetz rückgängig gemacht. Sollte die aktuelle Regierung nach den Wahlen Ende Oktober an der Macht bleiben, könnte es sein, dass wir Aktivist:innen das Land verlassen müssen”, warnte Tata im September – noch bevor das Gesetz tatsächlich beschlossen wurde.

Nur einen Tag nach Beschließen des Gesetzes wurde Kesaria Abramidze, die bekannteste Transfrau des Landes, ermordet. Das georgische Innenministerium erklärte, dass es einen „vorsätzlichen Mord, der mit besonderer Grausamkeit und aus geschlechtsspezifischen Motiven begangen wurde“, untersuche. Menschenrechtsgruppen, darunter Tbilisi Pride, bringen den Mord mit dem neuen Gesetz in Verbindung und argumentieren, dass die Regierung durch dessen Verabschiedung transphobe Hassverbrechen angeheizt habe. 

Russlands verlängerter Arm in der Rustaweli-Straße

Aber ist Georgien tatsächlich ein gefährlicher Ort für die LGBTQ-Community, wie man nach den vielen Ereignissen meinen könnte? „Ich würde sagen, dass wir in den letzten zehn Jahren – also der Zeit, in der queerer Aktivismus in Georgien öffentlich existiert – tatsächlich einen erheblichen Fortschritt in den gesellschaftlichen Einstellungen erzielt haben. Die Sicht der georgischen Bevölkerung gegenüber queeren Personen hat sich positiv verändert“, so Tata. In den größeren Städten wie Tbilisi, Batumi und Kutaisi gibt es immer mehr sichere Orte für die LGBTQ-Community und auch die Akzeptanz in der breiten Bevölkerung wird durch die Öffnung zum Westen und das Internet immer größer. Trotz dieser Fortschritte gibt es jedoch immer noch Übergriffe auf die LGBTQ-Community – legitimiert unter anderem durch die neuen diskriminierenden Gesetze.

Rights for gays – das neue Gesetz nimmt diese Rechte, anstatt die Menschen zu schützen.

„Die Regierung unter Georgischer Traum braucht einen Sündenbock [für die wirtschaftliche Angespanntheit des Landes und die Unzufriedenheit in der Bevölkerung]. Ich würde nicht einmal sagen, dass die Partei homophob in ihrer Ideologie ist, sondern Homphobie als Mittel nutzt, um an der Macht zu bleiben. Wir sprechen auch immer nur über politische Homophobie”, erklärt Tata. Einige Mitglieder der Partei haben sich vor wenigen Jahren noch pro Gleichheit und pro-LGBTQ geäußert – allen voran der Gründer der Partei, Bidzina Iwanischvili, der sein Milliardenvermögen in Russland aufbaute. Es nütze ihnen politisch aber mehr, vor allem gegenüber dem immer noch anhaltenden russischen Einfluss im Land, sich vor der Wahl homophob zu äußern und die Community zu dämonisieren, ohne wirklich selbst homophob zu sein, so Tata. 

Tatas Blick nach vorn

Doch so schnell gibt die Aktivistin auf. „Ich bin drei Mal in meinem Leben nach Georgien zurückgekehrt. Ich habe eine moralische Verantwortung gegenüber meinen Mitaktivist:innen und habe in meinen Auslandsstudien Dinge gelernt, die Georgien helfen könnten.”

Die Parlamentswahl findet am 26. Oktober 2024 statt. Das Ergebnis ist nicht nur zukunftsweisend für die LGBTQ-Community, sondern auch für das tief gespaltene Land: „Meine Liebe für mein Land ist tief und ich sehe mich in der Pflicht, Gutes zu bewirken. Wir müssen all diese Hindernisse überwinden, und ich sehe, wie Georgien sich positiv entwickeln kann, wenn es all seine Kinder unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Geschlechtsidentität, ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit akzeptiert.”

Die drückende Hitze des Sommertages verstärkt die Dringlichkeit des Engagements der Aktivist:innen rund um Tata, das frischen Wind in die politische Landschaft bringt – ein Hoffnungsschimmer, der uns in die kühleren Tage der bevorstehenden Wahlen begleitet.

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