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Mit den Fashion Changers gegen (Ultra) Fast Fashion

Vreni Jäckle von den Fashion Changers auf der Bühne der jährlichen Konferenz bei einem Vortrag gegen Fast Fashion

Fast Fashion ist noch immer überall. Und seit in paar Jahren machen Ultra Fast Fashion-Modell eine kaputte Branche noch ausbeuterischer für Klima und Menschen: Täglich schicken Shein und Temu allein 400.000 Pakete mit ihren billigen Polyesterteilen nach Deutschland. Wer sich dagegen seit Jahren einsetzt, sind die Fashion Changers. Mit ihrer Plattform klären Gründer:innen Vreni Jäckle und Nina Lorenzen auf, vernetzen die Modebranche untereinander und kämpfen für Regulierungen auf Bundes- und EU-Ebene. Ihre jährlich stattfindende Fashion Changers Konferenz ist dabei ein wichtiger Teil ihrer Arbeit. Hier kommen Interessierte zusammen und tauschen sich zum Stand von Recycling-Techniken aus, zur Dekolonialisierung der Branche und zu Arbeitskämpfen im Globalen Süden. Im Vorfeld der diesjährigen Konferenz haben wir mit Vreni gesprochen.

Über 250 Interessierte waren vergangenen Dienstag bei der Konferenz.

Vreni, wie können wir es schaffen, dass das als „oberflächlich“ geltende Modethema in aktivistischen Kreisen stärker ernstgenommen wird? Wo gibt es Schnittstellen von Fast Fashion zu anderen Themen? 

Wo gibt es keine? Wenn ich über Mode nachdenke, sehe ich nur Schnittstellen zu anderen (aktivistischen) Kämpfen. Wir können das an Fakten festmachen. Zum Beispiel wenn wir feststellen, dass spätestens 2030 extreme Wetterereignisse Textilarbeiter*innen in wichtigen Produktionsländern wie Bangladesch, Kambodscha, Pakistan und Vietnam gefährden werden. Während wir in Europa hauptsächlich Mode aus fossilen Stoffen – Polyester ist nach wie vor extrem beliebt – tragen. Wir können das aber auch spüren, wenn wir mit Gewerkschafter*innen ins Gespräch kommen, die uns von ihren Arbeitskämpfen berichten. Oder wenn wir uns bewusst darüber werden, wie Parallelen entstehen, wenn wir an den Einzelhandel hierzulande denken.

Es ist natürlich nicht vergleichbar und doch: die am schlechtesten bezahlten Jobs machen sowohl in Bangladesch als auch in Deutschland häufig Frauen, deren Fähigkeiten als austauschbar gelten. Erinnert euch daran, als H&M Mütter entlassen hat, weil diese nicht bis 21 Uhr im Einzelhandel arbeiten wollten. Ich denke, dass wir gedanklich immer wieder diese Parallelen ziehen müssen, um Solidarität herzustellen. Wir haben kaum textile Produktion in Deutschland und auch wenig in Europa. Deshalb tun wir uns oft schwer, diese Verbindungen zu machen. Wir sind entfernt.

In aktivistischen Kreisen wird Mode außerdem manchmal als reines, oberflächliches Konsumthema angesehen, bei dem man sich ohnehin einig ist, es als kapitalistischen Unsinn abzulehnen. Dabei wird immer wieder übersehen, wie deutlich soziale Kämpfe jedes Jahr in der Modeindustrie stattfinden. Wann ging zuletzt ein Jahr um, in dem es keine Brände in Fabriken, Tote oder Verletzte auf Protesten oder Skandale zu menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen gab? Nur um ein paar Beispiele zu nennen: Baumwolle aus uigurischer Zwangsarbeit. Sweatshops in Prato (später „made in Italy“). 70 Stunden Wochen für Ultra Fast Fashion Hersteller. Oddr mindestens 4 Tote auf den Straßen von Bangladesch letztes Jahr im direkten Kontext zu Textilarbeit.

Und dann haben wir noch nicht einmal davon gesprochen, dass Europa nicht nur ein Überkonsument an Kleidung ist. Sondern auch Verantwortung in Form von Alttextilien in den Globalen Süden exportiert (ebenfalls ein sozial und klimatisch höchst fragwürdiges Thema). Von der kolonialen Geschichte von Baumwolle gar nicht angefangen. Wir könnten noch lange darüber reden, wieso Mode genug Gründe bietet, aktivistisch zu werden.

Vreni auf der Konferenz: für mehr Fair und weniger Fast Fashion

Eure Konferenz richtet sich sehr stark an Akteur:innen in der Branche selbst. Warum brauchen wir das noch? Ist nicht mittlerweile bekannt, was getan werden muss?

Du wärst überrascht, wie wenig bekannt ist (lacht). Nachhaltigkeit ist immer noch oft ein Gefühl, auch bei denen, die schon lange im Bereich arbeiten. Wir möchten mit der Konferenz einen Raum anbieten, unser Verständnis von Nachhaltigkeit ganzheitlich anzugehen. Und auch ganz konkret Lösungen für Probleme finden, im Austausch mit anderen, die an ähnlichen Dingen arbeiten. Viele Akteur*innen in der Branche haben spezifische Herausforderungen, die über ein wirtschaftliches Dasein weit hinausgehen.

Im Übrigen richten wir uns längst nicht nur an Unternehmen. Fashion Changers als Organisation und die Konferenz als Veranstaltung zeichnen sich dadurch aus, dass wir als Plattform funktionieren, bei der sich viele treffen können. Die Gemeinsamkeit ist ein ernsthaftes Interesse an Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit. Aber es kommen sowohl Unternehmer*innen und Gründer*innen als auch Mitarbeitende von NGOs, freischaffende Berater*innen, Studierende und Lehrende. Wir kooperieren in jedem Jahr auch mit verschiedenen Gruppen, Vereinen und Hochschulen. In diesem Jahr z.B. unter Anderem mit FEMNET e.V., Fashion Africa Now und der Hochschule Niederrhein. Diese Mischung zusammen zu bringen ist nicht immer einfach, da natürlich auch diese Gruppen unterschiedliche Bedürfnisse haben. Aber wir haben uns für diesen Weg entschieden, weil wir hier einen Mehrwert sehen. Wenn NGOs unter sich bleiben, Unternehmer*innen unter sich bleiben und Studierende/Lehrende im Uni-Kontext bleiben, verpassen wir ganz schön viel, finde ich.

Die Fashion Changers bei Fridays for Future.

Apropos Unternehmen: Die als Nachhaltigkeitsvorbild geltende Marke „Patagonia“ schneidet in aktuellen Untersuchungen der Changing Markets Foundation mit Bezug zur Plastiknutzung besonders schlecht ab. Wem können wir überhaupt noch trauen?  

Unternehmen traut man nicht, sie sind keine Menschen. Diesen Fehler machen wir im Kapitalismus leider immer wieder. Wir sind mit Love Brands aufgewachsen, die versuchen unsere Freunde zu sein (lacht). Ich sehe das so: Natürlich gibt es immer wieder Unternehmen, die versuchen, mit gutem Beispiel voran zu gehen und ich möchte keinesfalls sagen, dass es nicht viele Gründer*innen und Unternehmer*innen mit den besten Intentionen gibt, ich habe über die Jahre viele von ihnen kennengelernt. Ebenso gibt es immer wieder tolle Projekte, die ich nicht klein machen will.

Was ich sagen möchte, ist: Es lohnt sich nicht darauf zu warten, dass Marken einen kollektiven Vernunftsanfall bekommen und sich wie Menschen mit starken Werten und viel Integrität verhalten. Viel eher brauchen wir Bedingungen und Infrastrukturen, in denen das belohnt wird, was wir als menschliche Gemeinschaft belohnen wollen (gute, langlebige, ordentlich produzierte Produkte) und das bestraft wird, was wir vermeiden wollen (Umweltschäden, Ausbeutung, Überproduktion). Wir brauchen also dringend Regulierung, die mit der EU-Textilstrategie ja auch kommt, auf deren Umsetzung ich sehr gespannt bin. 

Aktuell haben leider häufig die Unternehmen einen Vorteil, die Menschen und Ressourcen besonders effizient ausbeuten. Das schafft mitunter Marktbedingungen, denen sich dann auch Marken, die es vielleicht mal besser machen wollten, irgendwann beugen. Seit zwei bis drei Jahren können wir beobachten, wie Shein ein neues Modell in den Markt eingeführt – so schnell und viel und günstig wie nie – , dem nun andere hinterher eifern. 

Shein als Ultra Fast Fashion Marke wächst nicht nur im Erfolg, sondern auch dessen Emissionen – um ein vielfaches.

Gucken wir einmal weg von Fast Fashion hin zu Fair Fashion: Die Branche hat in den letzten Jahren mit Pandemie, Inflation und co einige Rückschläge einstecken müssen. Hast du eine Prognose für die kommenden Zeit?

Ein richtige Prognose nicht, nein. Ich denke, dass es unmittelbar nicht einfacher werden wird, insbesondere nicht für Designer*innen, die tatsächlich ein nachhaltiges Interesse haben. Aktuell sehen wir leider, dass viele unabhängige Marken und Fair Fashion Brands aufgeben (müssen). Das deutet auf ein Konzentrieren auf die großen Ketten und Konzerne hin. Gleichzeitig kann ich nicht anders als zu glauben, dass es immer auch Platz gibt für gute Mode mit spannenden Geschichten und einer hohen Qualität. Ich denke, einiges wird sich daran entscheiden, wie kommende Regulierungen sich im Markt manifestieren und ob wir alle es schaffen, eine Umgebung zu schaffen, in der Ausdruck und Kreativität gedeihen kann. (Das kann gern als Aufruf gewertet werden, lokale Designer*innen zu unterstützen).

Und: In all den Jahren deiner Arbeit zu dem Thema: was ist die schönste Entwicklung, die du beobachten konntest? 

Mich packt es immer wieder, wenn ich merke, wie viel Leidenschaft Menschen für Mode, Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit haben und wie sie dran bleiben, über so viele Jahre. Ich verfolge die Arbeit von FEMNET e.V. schon lange, dessen Gründerin Dr. Gisela Burckhardt auch als Speakerin bei unserer Konferenz sprechen wird und die schon seit Jahrzehnten Textilarbeiterinnen unterstützt. Ich freue mich aber auch z.B. über Unternehmerinnen wie Katja Wagner, die den Versuch unternimmt mit ihrem Unternehmen Turns mehr Textilrecycling in Deutschland zur Realität zu machen (alles andere als leicht!), oder über Avi Jakobs, die queere Moderepräsentation ins Fernsehen bringt und mit der wir bei der Konferenz über Fashion beyond the Binary sprechen werden.

Vielleicht ist das auch nochmal eine Entwicklung, die wir nun noch gar nicht angesprochen haben, die aber für mich absolut zu einem Fashion Changers Gespräch dazu gehört: Die Art und Weise, wie in der Mode mehr und mehr Genderbinaritäten aufgelöst werden können, finde ich sehr schön zu beobachten. Vielleicht gerade in einem Jahr, in dem der Backlash von rechts besonders groß ist.

Vielen Dank an Vreni für das Gespräch. Wir freuen uns auf die Konferenz 2025.

Mehr zum Thema Fair Fashion und Nachhaltigkeit in der Textilbranche gibt es zum Beispiel hier.

CategoriesAktuelles
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