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WeiterSo! bringt die Gaslobby zum Schwitzen

Kalte wohnung warmes Herz steht auf einem übergroßen mit Öl begossenem Herz. Aktionskunst gegen die Gaslobby auf dem Alexanderplatz in Berlin

„Das ist wegen gestiegener Heizkosten, das macht Mama arm und du kannst weniger Weihnachtsgeschenke kriegen“. So erklärt eine Mutter im Vorbeilaufen ihrem Kind, was am Wochenende auf dem Alexanderplatz passiert. Während die meisten Menschen nur schnell über den Platz hasten, um irgendwo ins Warme zu kommen, machen es sich drei Menschen in Bademänteln in einem sogenannten Bubbletent gemütlich. Auf ihren Bademänteln erkennt man die Logos großer Unternehmen der Gasindustrie sowie des Verbands der Gaslobby „Zukunft Gas“. Um das Zelt herum laufen Menschen mit roten Herzen auf der Mütze, versuchen Passant:innen in Gespräche zu verwickeln und verschenken rote Handwärmer in Herzform. Auch sie sind mit Logos bedruckt. Nur liest es hier nicht mehr „Zukunft Gas“, sondern „Zukunft oder Gas“. 

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Aber was soll das Ganze? Über Energiearmut

Was auf den ersten Blick skurril wirkt – ein Saunazelt und Menschen in Bademänteln mitten auf dem Alexanderplatz im grauen Berliner Winter – ist bei genauerem Hinsehen gar nicht mehr so lustig: Die Szene behandelt das Thema Energiearmut. Von der Mutter anfangs schon in einfachen Worten beschrieben, bedeutet Energiearmut, dass Menschen finanziell nicht mehr dazu in der Lage sind, ihre Wohnung angemessen zu beheizen. Energiearmut ist dann gegeben, wenn Menschen mehr als zehn Prozent ihres monatlichen Einkommens für Energie ausgeben müssen. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung waren davon 2022 in Deutschland rund ein Viertel der Menschen und damit zehn Prozent mehr als im Vorjahr betroffen.

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Auch eine Kurzstudie des RWTH Aachen widmet sich dem Thema Enenrgiearmut. Sie zeigt, dass 2021 das einkommensschwächste Zehntel der Bevölkerung durchschnittlich ungefähr dreizehn Prozent ihres Einkommen für Energie aufwenden musste. Bei dem einkommenstärksten Zehntel waren es hingegen nur rund fünf Prozent.

„Nicht mehr richtig heizen zu können und im Zweifelsfall vielleicht sogar eine Strom- oder Gassperre zu bekommen und im Dunkeln und Kalten zu sitzen, hat massive gesundheitliche, wie auch soziale Folgen. Diese können zum Beispiel Schimmelbelastung sein, dass Menschen keinen Besuch mehr einladen, oder dass keine warmen Mahlzeiten mehr gekocht werden können“, führt eine Vertreterin des WeiterSo!-Kollektivs vor Ort zu dem Problem aus. Das Aktionskunstkollektiv ist Veranstalterin der Aktion auf dem Alexanderplatz. Sie knüpft an eine längere Kampagne gegen die Arbeit der Gaslobby an, in der das Kollektiv seit über einem Jahr den Einfluss der fossilen Lobby auf die Energiepolitik in Deutschland kritisiert.

Die Rolle der Gaslobby in der Energiekrise

Auf dem Alexanderplatz werden am Wochenende nicht etwa Betroffene von Energiearmut dargestellt. Die Kunstaktion auf dem Alexanderplatz porträtiert einen anderen Akteur: „Zukunft Gas„. Der zynisch klingende Name steht für einen Lobbyorganisation, die durch PR-Arbeit und enge Kontakte zur Politik den Diskurs über die Energieversorgung in Deutschland im Sinne der Gasindustrie beeinflusst. Im Namen dieser Organisation hat das WeiterSo!-Kollektiv schon eine Woche vor der feierlichen Eröffnugsgala die Satirekampagne Kalte Wohung, Warmes Herz ins Leben gerufen. In dieser simultierten Charitykampagne entschuldigen sie sich für die Mitwirkung an einer verschleppten Energiewende und eine hohe Abhängigkeit von russischem Gas. Im Rahmen der Kampagne sollen Spenden, quasi als Entschädigung, gesammelt, vom Verband verdoppelt und dann in herzförmigen Handwärmern an Betroffene von Energiearmut ausgezahlt werden. So wolle die Gaslobby Verantwortung übernehmen.

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Klingt geschmacklos, ist von der Realität aber gar nicht so weit entfernt

Auch auf dem Alexanderplatz wird an diesem Samstag nochmal die Rolle der Konzerne eingenommen. Im Zelt saunieren die Vertreter:innen​​​​​​​ der Gasindustrie bei Geldaufgüssen. Denn was der Großteil der Bevölkerung in Deutschland als Energiekrise mit schwerwiegenden finanziellen Sorgen empfindet, bedeutete für große Konzerne wie Shell, RWE und Wintershall ein Hoch an Übergewinnen in Milliardenhöhe. So konnte Shell seine Gewinne 2022 verdoppeln und auch Wintershall konnte 2022 Gewinne in Milliardenhöhe verzeichnen.

Bei der Aktion auf dem Alexanderplatz finden deshalb regelmäßig Geldaufgüsse statt, bei denen die Beträge der im Kontakt mit der Bevölkerug gesammelten hohen Nebenkostenabrechnugen feierlich an die Vertreter:innen aus Gasindustrie und Politik im Zelt übergeben werden. 

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Direct Action, echte Spendenmöglichkeiten und Vergesellschaftung – Wie eine Veränderung aussehen muss

Aber dem Aktionskunstkollektiv reicht es nicht, nur zynisch den Status Quo abzubilden. Was sie wollen, ist echte Veränderung, echte Energiegerechtigkeit. Das Kollektiv bietet deshalb Möglichkeiten zur Unterstützung von Betroffenen der Energiekrise an: An einem Infostand werden Passant:innen deshalb auf echte Spendenmöglichkeiten für Betroffene von Energiearmut verwiesen. Unter anderem können Interessierte bei der Initiative #ichbinarmutsbetroffen, dem paritätische Wohlfahrtsverband, Armut und Gesundheit, Tacheles e.V. oder bei der Caritas spenden.

Auch wird die Performance mehrfach von scheinbar oder tatsächlich Außenstehenden gebrochen. Schon im Rahmen der Eröffnungsgala am ersten Aktionstag tritt als letzter Redner ein Vertreter der Intitiative RWE & CO enteignen auf. Als eine Antwort auf die sich zuspitzende Energiekrise auf der einen und steigende Rekordgewinne der Energiekonzerne auf der anderen Seite fordert die Initiative, diese zu vergesellschaften und so den Energiesektor zu demokratisieren. 

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Gegen Ende des zweiten Aktionstages wird die Situation dann bewusst eskaliert: Die einfachen Mitarbeitenden der Gaslobby widersetzen sich den Vorgesetzten, Aktivist:innen der Letzten Generation vertreiben schließlich die Lobbyist:innen. Das Kollektiv zeichnet hier symbolisch eine Vision für die Zukunft, in der die Gesellschaft gegen die Macht der fossilen Lobby aufbegehrt. Eine Vision, in der die Verantwortlichen für die Energie- und Klimakrise zur Verantwortung gezogen und die Energieproduktion durch Vergesellschaftung tatsächlich am Gemeinwohl ausgerichtet wird.

Am Ende des Tages bleibt dort, wo die Mutter mit ihrem Sohn einige Stunden zuvor noch die Gaslobby im Geldregen unserer Nebenkostenabrechnungen feiern sehen konnte, eine ölbefleckte Ruine. Und natürlich die Aufmerksamkeit für ein Thema, das aktueller und drängender nicht sein könnte.

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Mehr zum Thema Energiearmut und Vergesellschaftungen des Energiesektors gibt es im Gespräch mit Wir zahlen nicht.

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