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5 politische Learnings aus dem Jahr 2023

Zusammenschnitt oder Collage von fünf Portraits für fünf politische Learnings

Ein Rückblick auf das Jahr 2023 heißt für uns auch, auf das erste Jahr reversed zurückzuschauen. Ende Dezember 2022 haben wir begonnen, die ersten Gespräche zu führen, Ende Januar 2023 haben wir unseren Instagramkanal gelauncht. Damals sagte jemand zu uns, es sei mutig, „wieder ein Magazin in den sozialen Medien bekanntmachen zu wollen“. Das stimmt sicherlich: Online funktioniert eine Zentrierung auf Personen besser als anonym anmutende Artikel von kleinen Magazinen. Wir haben’s trotzdem gemacht. Weil wir gern inhaltlich arbeiten und nicht gern als Personen im Zentrum stehen wollen, sondern diejenigen, die politisch etwas zu sagen haben und häufiger weniger gehört werden. Und wir haben extrem gutes Feedback bekommen. So viel, dass wir motiviert sind, weiterzumachen. Denn es braucht redaktionelle Gegenstimmen in einem politischen, medialen und gesellschaftlichen Klima, das immer weiter nach rechts rückt, in dem Positionen verhärtet sind und man jedem Tag beim Blick in die Nachrichten mit dem Kopf schütteln muss. Fünf politische Learnings aus der Arbeit an, mit und für reversed aus dem Jahr 2023, die uns im kommenden Jahr noch weiter begleiten und maßgeblich mitbeeinflussen werden:

1. Der Rechtsruck zieht sich durch alle gesellschaftlichen Bereiche

Hetzen gegen Geflüchtete, ein Beharren darauf, dass man hier in einem vermeintlich demokratischen Land seine Meinung nicht mehr sagen könne, ein Leugnen des menschengemachten Klimawandels. Das sind nur drei der Bereiche, in denen sich der Rechtsruck bei uns im Land überdeutlich zeigt. Obwohl es sehr unterschiedliche Themen sind, ist die Tendenz zu weniger Toleranz und mehr Ellbogen die gleiche. Ein Schauen auf sich selbst, eine Sorge davor, was passiert, wenn sich etwas ändert. Das Phänomen zeigt sich nicht nur in den sozialen Medien oder am Kaffeetisch, sondern zieht sich gleichsam durch Medien und Politik. Die Grenzen verschieben sich nicht, sie werden bewusst durch politische Meinungstragende verschoben.

Auf einmal ist GEAS (das gemeinsame europäische Asylsystem, wir haben mehrfach dazu geschrieben) etwas Gutes, etwas, das für „Humanität und Ordnung“ sorgen solle. Was soll das überhaupt heißen, Humanität und Ordnung, wenn es dann Internierungslager an europäischen Außengrenzen gibt? Wo ist die Ordnung in diesem logistisch noch unausgearbeiteten System? Und die Humanität müssen wir gar nicht erst suchen, sie ist weg. FDP- und CDU- Politiker:innen fordern die Wiederaufnahme von Atomkraftwerken, was komplett irrsinnig ist, weil es jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehrt. Und der stellvertretende Ministerpräsident von Bayern, der antisemitische Herr Aiwanger sagt, dass man den Eliten in Berlin mal zeigen solle, was die Mehrheit eigentlich will – womit er die demokratische Legitimierung unserer Regierung leugnet. Die Politik – ob Regierung oder Opposition – ist maßgeblich am Rechtsruck im Land beteiligt.

2. Wir brauchen unabhängige Medien. Und dennoch müssen sie klarer Stellung beziehen.

Auch mediale Akteur:innen wollen wir nicht von einer Verantwortung ausnehmen. Und dabei wollen wir sie auch nicht zu „den Medien“ zusammenfassen. Das wurde von rechts gekapert und weckt viel zu sehr ein Bild von gleichgeschalteten Zwangsmedien mit einer politischen Agenda. Das ist natürlich Quatsch; die Medien leisten einen unglaublich wichtigen Beitrag zur demokratischen Bildung. Aber Medien unterliegen einem massiven finanziellen und Zeitdruck. Das kann dazu führen, dass sich nicht genug Zeit genommen werden kann, um Phänomene so einzuordnen, wie es notwendig wäre. So berichten Journalist:innen überproportional über Probleme statt Lösungen, so zum Beispiel beim Klimawandel. Aber Kontext ist Meinungsbildung. Auch missverständliche Statistiken ohne Einordnung sind teil des Problems. In einem zunehmend radikalisierten Diskussionsklima können wir uns solche Beiträge nicht mehr leisten.

Es heißt, wer unpolitisch ist, ist politisch, ohne es zu wissen. In manchen Fällen ist mediale Neutralität ein Trugschluss. Das heißt nicht, dass sie dramatisieren sollen, aber Kontext und Haltung sind wichtig.

3. Wir dürfen unsere Probleme und das Leid auf der Welt nicht gegeneinander ausspielen.

Denn alles ist verknüpft. Globale Herausforderungen erfordern gemeinsame Anstrengungen und solidarisches Handeln. Nationale und internationale Zusammenarbeit sind unerlässlich, um Lösungen für die drängendsten Probleme unserer Zeit zu finden: Die Klima- und Biodiversitätskrise, Demokratieverluste, Krieg und Menschenrechtsverletzungen. Ein Beispiel ist dafür die Migrationsdebatte im Stil der CDU. Eine Debatte über Obergrenzen ist nicht nur unmenschlich, sondern schlicht schwachsinnig. Deutschland benötigt Hunderttausende Menschen im Jahr (!) mehr (!), die kommen, um unseren Wohlstand und unser Sozialsystem zu erhalten. Gleichzeitig wird es in den kommenden Jahren und Jahrzehnten immer mehr Klimaflüchtende geben, gegen die wiederrum gehetzt wird, wenn sich unsere Debattenkultur nicht ändert. Die leidige Diskussion über Migration ist also auch eine über unsere Sozial- und Klimapolitik.

Politische und mediale Debatten müssen all diese Dimensionen mitdenken: Investitionen in internationale Klimaschutzmaßnahmen – so wie vernünftige Summen in den Loss & Damage Fund – sind essentiell. Denn wir sehen zunehmend Stimmen, die Armut „unserer Kinder“ oder ähnlich vorschieben, um gegen internationale Humanitäre Hilfe oder Entwicklungszusammenarbeit zu hetzen. Es ist unsere Verantwortung, diesen Menschen aufzuzeigen, dass es so einfach nicht ist.

4. Mehr Geld für Bildung ist essentiell.

Der Zustand unseres Bildungssystems ist desolat. Das haben uns nicht nur die vielen Gespräche mit den Aktivist:innen von Schule muss anders gezeigt, die eine Bildungswende fordern: Es braucht dringend mehr Geld für Lehrer:innen, Bildungseinrichtungen, für Inklusion, für eine gleichberechtigte Bildung. Bildung ist unabdinglich für eine aufgeklärte, progressive und selbstständige Gesellschaft und Demokratie. Das ist erstmal nichts neues und der furchtbare Zustand unseres Bildungssystems auch nicht. Was sich geändert hat, sind die vielen antidemokratischen Stimmen und die Höchstwerte für die AfD, die uns zeigen: Die Investitionen in die Bildung sind drängender denn je, wenn wir endlich unsere Demokratie schützen und stärken wollen.

5. Jede:r hat eine Stimme – Wir wollen sie nur nicht hören

Es stört uns, wenn wir geschrieben sehen, dass NGOs, Medien und co „denjenigen eine Stimme geben wollen, die keine haben“. Das ist Quatsch. Jeder Mensch hat eine Stimme. Die Strukturen sind nur so, dass wir nur bestimmte hören. Das klingt nach einer rhetorischen Spielerei, ist aber wichtig. Wir müssen die Strukturen ändern, damit alle im Diskurs gehört werden und nicht nur diejenigen, die seit Jahrzehnten Ressourcen und Einfluss besitzen. Das bedeutet, dass wir häufiger zuhören und weniger selbst sprechen müssen, um ein diverses Meinungs- und Erfahrungsbild zu bekommen, von dem wir alle lernen können.

Deshalb danken wir all jenen, die in diesem Jahr mit uns gesprochen haben, ihre Erfahrungen mit uns geteilt haben, denen wir zuhören durften. Wir freuen uns auf viele weitere spannende und lehrreiche Gespräche und Begegnungen im Jahr 2024. Wir sind auf die politische Learnings der kommenden zwölf Monate gespannt.

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