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Weshalb die Bezahlkarte für Geflüchtete diskriminierende Schikane ist

Dunkles Portrait von Omar, mit dem wir über die Bezahlkarte für Geflüchtete gesprochen haben.

„Bargeld ist Freiheit“ titelt ein Kapitel im AfD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021. Bundesregierung, IWF und EZB würden die Abschaffung des Bargelds planen, heißt es in diesem Kapitel. Das bedeute „Vollüberwachung bis in private, ja intime Lebensbereiche“. „Aus dem gläsernen Bankkunden würde der gläserne Mensch“. Das Kapitel betont ausdrücklich die Wichtigkeit einer uneingeschränkten Bargeldnutzung als Freiheitsrecht. Dies scheint die Partei aber nicht allen Menschen in Deutschland zuzugestehen: Asylsuchenden ausdrücklich nicht. Und damit ist sie nicht alleine: Als die CSU, die im Programm ebenfalls „Bargeld ist gelebte Freiheit“, stehen hat, die Idee einer Bezahlkarte für Geflüchtete in den Raum stellt, springt die AfD sofort auf. Sogleich setzt sie sich dafür ein, die Bezahlkarte sogar so restriktiv wie möglich umzusetzen.

Es zeigt sich erneut: Die AfD muss nicht regieren, um ihre Agenda durchzusetzen. Die Bezahlkarte soll nun wirklich, mit Unterschieden in der konkreten Umsetzung, für Asylsuchende in allen Bundesländern kommen. Nachdem sich hierzu bereits im Januar eine Arbeitsgruppe aus einigen Bundesländern gebildet hatte, wurde die Einführung zunächst durch einen Prozess um die Auftragsvergabe für die Entwicklung des Kartensystems verzögert. Vor kurzem bekam das Vorhaben nun jedoch grünes Licht durch das Oberlandesgericht Karlsruhe. Mit der nun beschlossenen Bezahlkarte werden die Länder die Bargeldnutzung einer Gruppe von Menschen weitestgehend auf 50 Euro im Monat beschränken. Der Auftrag für die Umsetzung der einheitlichen Bezahlkarte wurde jüngst an eine Firma namens secupay AG erteilt, welche bereits die Karten für ein Pilotprojekt in Hamburg entwickelt hat.

Wie funktioniert die Bezahlkarte für Geflüchtete?

Am Rande einer Kundgebung der Organisation „Konten statt Karten“ treffen wir Omar Alkadamani, Leipziger Student der Politikwissenschaft und politischer Aktivist für Bildung, Migration und Jugend. Die Bezahlkarte beschreibt er als diskriminierend und unsinnig.

Laut Bundesgesetz ist es eine Karte, die für Geflüchtete bzw. Asylsuchende gelten soll. Also diejenigen, bei denen noch eine Asylentscheidung aussteht. Sozialleistungen sollen folglich nicht mehr bar ausgezahlt werden, sondern auf eine Bezahlkarte überwiesen. Als Begründung nennen die Befürworter*innen im Wesentlichen drei Argumente:Als erstes sollen Überweisungen ins Ausland und Ausgaben für Dinge abseits des täglichen Bedarfs verhindert werden. Die Bezahlkarte für Geflüchtete soll so die Kontrolle der Ausgaben ermöglichen. Zur Erinnerung: Eine Kontrolle, die die AfD für Staatsbürger*innen in ihrem Parteiprogramm für unzumutbar hält. Weiterhin soll der Verwaltungsaufwand für Gemeinden im Umgang mit Sozialleistungen reduziert werden. Abschließend und gerade für konservative und rechtspopulistische Kräfte zentral, sollen erneut sogenannte „Pull-Faktoren“ abgebaut werden, denn die Ausgabe von Bargeld sei ein solcher.

Noa Kerstin Ha, die wissenschaftliche Geschäftsführerin des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), bezeichnet die These der „Pull-Faktoren“ als „allenfalls unvollständig“. Aktuelle Studien würden klare Beweise dafür liefern, dass die Wirkung von „Pull-Faktoren“ mindestens stark überschätzt wird. Auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung bezeichnet die These über Pull-Faktoren als „billigen Populismus“.

Fotoredakteur Timo trifft Omar am Rande einer Veranstaltung gegen die Bezahlkarte.

Was ist an diesen Begründungen dran?

Mit Omar haben wir über die weiteren Argumente und seine Sicht auf die Bezahlkarte für Geflüchtete gesprochen. Er sagt, dass die Karte rassistische Narrative reproduziert: „Wissenschaftler*innen sind sich weitestgehend einig,  dass es nicht stimmt, dass Menschen das Sozialsystem ausbeuten und das Geld ins Ausland schicken. Die Bundesregierung hat sogar zugegeben, dass es dazu keine belastbaren Daten gibt.  Selbst wenn es die Bezahlkarte nicht gebe, haben Asylsuchende rund 260 Euro pro Monat als Existenzminimum zur Verfügung. Davon müssen sie alles bezahlen: Lebensmittel, Bustickets, (Sprach-)kurse, Kleidung und vieles mehr. Normalerweise ist am Ende des Monats nichts mehr übrig. Das heißt, sie können kein Restgeld an die Familie schicken, mit den 50 Euro Bargeld sowieso nicht mehr. Überweisungen, zum Beispiel für das Deutschlandticket, müssen von Ämtern freigegeben werden.

Durch die Kontrolle über die gesamten Finanzen einer Person, wird ihre Freiheit extrem eingeschränkt. Während wir auf europäischer Ebene Steuerhinterziehung von mehreren Milliarden Euro haben, werden solche Maßnahmen wie die Bezahlkarte eingeführt, um einen rassistischen Fetisch zu erfüllen.“

Darüber, dass der Verwaltungsaufwand durch das Einführen der Bezahlkarte für Geflüchtete reduziert wird, gibt es bisher unterschiedliche Meinungen in den Kommunen. Das ZDF berichtet, dass in Sachsen zum Beispiel zwar die meisten Landkreise von Entlastung sprechen, aber der Landkreis Nordsachen einen „Mehraufwand“ dokumentiert. Insgesamt kann dieses Argument gerade langfristig richtig sein. Aber ob dies die erheblichen Einschränkungen der Freiheitsrechte und Probleme für die Asylsuchenden rechtfertigen kann, bleibt eine offene Frage.

Was die Bezahlkarte für Geflüchtete für Betroffene bedeutet

Omar führt dazu aus: „Die Menschen werden durch die Bezahlkarte sehr stark einschränkt. Jedes Bundesland darf entscheiden, wie diese Karte verwendet wird. Sie können darüber verfügen, ob die Karte nur innerhalb des Bundeslandes oder auch in anderen Bundesländern verwendet werden darf. In Sachsen darfst du zum Beispiel auch nur in diesem Bundesland Geld ausgeben. Jeder Landkreis entscheidet zudem für sich über seine Partner für den Gebrauch der Karte – also die Orte, an denen Geflüchtete mit der Karte bezahlen können. Das heißt, es ist nicht sicher, ob man überall bezahlen kann. Durch die Obergrenze für das Abheben von Bargeld von wahrscheinlich 50 Euro wird das in vielen Fällen zu einem echten Problem.“

Omar fügt hinzu: „Außerdem sieht die Bezahlkarte in den meisten Fällen anders aus als normale Sparkassen oder Visa Cards. Dadurch hast du praktisch eine Kennzeichnung für Geflüchtete als „nicht-deutsch“. Ich will mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn Menschen mit dieser Karte bezahlen und an der Kasse eine rassistische Person sitzt. Da entstehen neue Machtstrukturen.“

Die Perspektive der Asylsuchenden kommt in den meisten Berichten über die Bezahlkarte für Geflüchtete überhaupt nicht vor. Abgebildet werden in der Regel ausschließlich Politiker*innen oder Stimmen aus der Verwaltung. ProAsyl hat jedoch jüngst eine Sammlung von Praxisproblemen mit der Bezahlkarte veröffentlicht. Sie berichten unter anderem über Kartenfehler bei der Bezahlung, die massiven Probleme mit der Bargeldbeschränkung, welche einige Berichte bereits als rechtswidrig eingestuft haben und das Verunmöglichen von Onlineeinkäufen.

Ein Banner auf einer Kundgebung gegen die Bezahlkarte für Geflüchtete.
Die Aktion gegen die Bezahlkarte für Geflüchtete findet in Leipzig statt.

Die Realität geflüchteter Menschen

Wer die deutschen Medien verfolgt, der kann kaum noch umhinkommen, Migration als Bedrohung anzusehen. Auch hier werden in der Regel Migrantische Stimmen kaum abgebildet. Stattdessen werden Feindbilder gezeichnet und die Migrant*innen zu einer anonymen Masse gemacht, die gefährlich für die innere Sicherheit und die wirtschaftliche Stabilität von Deutschland sei. „Migrant*innen werden, als Gruppe, die sich am wenigsten dagegen wehren kann, zu einem Sündenbock gemacht. Es ist eine populistische Debatte“, sagt Omar.

„Aus unserer Arbeit auch in Geflüchtetenunterkünften wissen wir, dass das Geld nicht reicht. Man bekommt ein Existenzminimum. Das ist deutlich geringer, als das, was Bürgergeldbezieher*innen als Existenzminimum bekommen. Bei Bürgergeld bekommst du 563 Euro, als Asylsuchende*r 260. Die Unterkunft ist natürlich gestellt, aber unter schlechten Bedingungen.

Die Leute wohnen zum Beispiel in Sechserzimmern in großen Lagerhallen ohne eigenes Dach. Wenn eine Person nachts in einem Raum telefoniert oder mit der Familie spricht, hörst du ganz am Anfang vom Flur alles mit. Viele Leute haben deswegen Schlafstörungen oder Menschen, die gefoltert wurden, werden retraumatisiert. Sie brauchen psychische Beratung und medizinische Unterstützung. Das wird leider nicht in ausreichendem Maße gegeben. An Geld fehlt es eigentlich nicht: 100 Milliarden für die Bundeswehr wurden sehr schnell aufgetrieben. Deutschland ist die viertstärkste Volkswirtschaft der Welt und die stärkste Europas gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Dieser Reichtum basiert unter anderem auf Ressourcenausbeutung und Waffenexporten. Dies sind gleichzeitig Ursachen für Flucht und Migration hier her“, beschreibt Omar den Kontext, in dem geflüchtete Menschen in Deutschland leben.

Gegen die populistische Debatte

Und weiter: „Auch die Lage an den Außengrenzen ist problematisch. Aber nicht, weil zu viele Geflüchtete kommen, sondern weil keine humanitäre und medizinische Hilfe geleistet wird. Weil sich sehr stark abgeschottet wird. Weil Menschen erschossen werden von der rechten Küstenwache, wie wir es in Griechenland gesehen haben. Und weil Verantwortliche häufig nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

Es werden die ganze Zeit rassistische Narrative bedient. Rechten Populist*innen wird in den Medien immer mehr Raum gegeben, wodurch weniger Platz für geflüchtete Menschen und Menschen die dagegen sprechen, bleibt. In der allgemeine Stimmungsmache sind „die Ausländer immer an allem schuld. Geflüchtete werden immer als erstes angegriffen.“ Omars Schilderungen zeigen deutlich: Asylsuchende sind eine der vulnerabelsten Gruppen in Deutschland. Anstatt ihnen die psychische Unterstützung zukommen zu lassen, die sie benötigen, werden ihre Rechte systematisch weiter beschnitten. Anstatt sichere Fluchtrouten zu schaffen, werden die EU-Außengrenzen und jetzt auch die Innengrenzen immer repressiver. Medial bleiben die Geflüchteten dabei das Feindbild und werden so immer weiter unterdrückt.

120 Schuhe für 120 Millionen Menschen, die derzeit weltweit auf der Flucht sind.

Und wie weiter?

Die Bezahlkarte wird kommen. Wie Gerichtsverfahren unter anderem von ProAsyl und der Gesellschaft für Freiheitsrechte gegen die Einschränkungen durch die Bezahlkarte ausgehen, bleibt abzuwarten. Fürs erste hat sich an dieser Stelle der Rechtsruck aber entgegen aller rationalen und menschlichen Argumente gegen die Bezahlkarte manifestiert. Omar wendet sich am Ende unseres Gesprächs dennoch mit entschiedenen Forderungen an politisch aktive Menschen: „Beteiligt euch, so fern ihr könnt, an allen möglichen lokalen Initiativen. Es gibt zum Beispiel zahlreiche Initiativen in Bremen, Leipzig, Hannover, München und Berlin, die „Bargeldtausch“ organisieren. Dabei gehen Personen, die eine Bezahlkarte haben zusammen mit Menschen, die Bargeld haben, einkaufen und tauschen Einkauf gegen  Bargeld.“

„Geht auf die Straße, seid laut. Es gibt zahlreiche Initiativen, die Vorträge und Inputs anbieten. Bei jeder Gelegenheit egal, ob ihr eine kleine Party feiert oder ein Festival macht. Wir wollen nicht die Laune verderben, sondern auf ein wichtiges Thema aufmerksamen machen. Das ist wichtig, damit keine*r am Ende sagen kann: Davon habe ich nichts gewusst und sich so aus der Verantwortung zieht.“

Die Hetze der AfD hat ohne Regierungsbeteiligung massiven Einfluss. Die Umsetzung von Maßnahmen, wie der Bezahlkarte unterstreicht das. Deshalb ist es wichtiger dennje, aktiv zu sein und Betroffenen von Diskriminierung zuzuhören.

  1. Pandelshartner says:

    „Der Auftrag für die Umsetzung der einheitlichen Bezahlkarte wurde jüngst an eine Firma namens secupay AG erteilt, welche bereits die Karten für ein Pilotprojekt in Hamburg entwickelt hat.“ — Na bitte: Die „secuplay AG“ hat einen Auftrag bekommen; das ist doch gut für die Wirtschaft! (Ironie wieder aus)

    „Während wir auf europäischer Ebene Steuerhinterziehung von mehreren Milliarden Euro haben (…)“ Es bleibt nun einmal dabei: Die teuersten Flüchtling*innen sind die Steuerflüchtling*innen

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