Am 26.09.2021 hat die Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen (DWE) es geschafft, knapp sechzig Prozent, also mehr als eine Million der Berliner:innen zu überzeugen, bei dem Volksentscheid ihr Kreuzchen bei „ja“, bitte enteignen, zu machen. Ein riesiger Erfolg, der zeigt: Berlin, in dem achtzig Prozent der Bevölkerung zur Miete wohnen, möchte die Vergesellschaftung. Seitdem ist DWE aber nicht mehr ohne Aufgabe, im Gegenteil. Derzeit ist die Initiative vor allem damit beschäftigt, der Politik Druck zu machen – und seit kurzem ist sie auch wieder im Umsetzungskampf, denn die Wahlen in Berlin zum Abgeordnetenhaus und der Bezirksverordnetenversammlung werden am 12.02.23 wiederholt.
Seit circa zwei Jahren sind Veza und Patricia bei der Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen (DWE) aktiv. Für beide ist die Initiative eine politische Heimat: Sie bietet neben Antworten auf die große Frage des bezahlbaren Wohnraums auch feministisch und antirassistisch intersektionale Perspektiven und Taskforces, den Raum für Austausch und inklusive Strukturen auf Kiezebene.
Knapp anderthalb Jahre nach dem riesigen Erfolg von DWE haben wir mit Veza und Patricia über politische Verschleppungstaktiken, Teilhabe, Ausblicke auf nach der Wahl und weshalb ihre Arbeit noch lange nicht getan ist, gesprochen.
Gibt es Stimmen, die sagen: Warum seid ihr wieder auf der Straße? Eure Arbeit ist doch erledigt, der Volksentscheid ist lange gewonnen?
Patricia: Ja, viele haben sicherlich nicht mitbekommen, dass es jetzt eine Expert:innenkommission gibt, der ganze Prozess war auch sehr konfus. Und wir wollten die Kommission auch gar nicht, denn es sind bereits alle Voraussetzungen gegeben, auch einen Entwurf für das Vergesellschaftungsgesetz haben wir vorgelegt. Aber trotz dieser kleinen Schritte der Regierung werden weiter Leute aus ihren Kiezen verdrängt, die Mieten steigen weiter, also sind wir weiter präsent auf der Straße. Wer den Volksentscheid nicht umsetzen will, kann einfach nicht weiter regieren.
Die Wahlprognosen für die Wiederholungswahl schwanken zwischen SPD, CDU und Grünen. Wenn es eine schwarz-rote Regierung wird, wäre der Volksentscheid ja noch schwieriger umzusetzen …
Veza: Unsere Forderungen bleiben die gleichen. Die Umfragen sind so dicht, man kann sich da gerade nicht drauf verlassen. Natürlich denken wir an die Zeit nach der Wahl, aber spekulieren bringt nichts. Wir sind gerade dabei, die Kandidierenden nochmal zu befragen, um den Wähler:innen auch zu zeigen, welche Kandidat:innen sich klar dazu bekennen, dass sie den Volksentscheid auch umsetzen werden. Auch in der SPD sehen die Ansichten ja anders aus, als zum Beispiel bei Giffey und Geisel. An ihren Wahlversprechen werden wir die Abgeordneten auch messen.
Hättet ihr für die Umsetzung noch andere Hebel oder Mechanismen? Bei welcher Instanz kann man ansetzen, wenn die Umsetzung einfach nicht erfolgt; könnt ihr vor Gericht gehen?
Veza: Noch ist es ja nicht gegeben, dass keine Umsetzung kommt. Auch die neue Regierung muss dem Willen der Bevölkerung nachkommen. Deshalb bleibt unsere Botschaft auch weiterhin ganz klar die, die Patricia schon meinte: Wer regiert, muss den Volksentscheid umsetzen und eben umgekehrt. Die jeweils Regierenden werden ihre Position sicher auch stark von der Kommission abhängig machen. Neu ist der Zwischenbericht der Kommission, der bereits sehr positiv ausgefallen ist.
Was waren eurerseits die wichtigsten Punkte aus dem Zwischenbericht?
Veza: Ein klares Ergebnis ist, dass Enteignungen prinzipiell möglich sind und das Land Berlin die entsprechende Gesetzgebungskompetenz hat Patricia: Und dass die Entschädigungen unter dem Marktwert erfolgen können. Also dass diese astronomisch hohen Zahlen, die kursieren, falsch sind. Als Initiative schlagen wir vielmehr eine Entschädigung nach dem Faire-Mieten-Modell vor, das heißt die Entschädigungssumme würde sich danach richten, was die Berliner:innen im Durchschnitt für ihre Miete bezahlen können. So läge die Entschädigungssumme insgesamt bei 8 Milliarden Euro, die aus den Mieten refinanziert würde, also sogar haushaltsneutral wäre.
Angenommen, der Volksentscheid wird so umgesetzt, wie ihr es fordert. Was passiert dann praktisch?
Patricia: Dadurch, dass es so eine Umsetzung noch nie gab, gibt es erstmal sehr viele verwaltungstechnische Prozesse, die in Gang gesetzt werden müssen. Erst wird das Gesetz geschrieben und verabschiedet, dann werden die ganzen gesellschaftlichen Wohnungen übertragen, dann wird da ein Organ der demokratischen Selbstverwaltung- eine sogenannte Anstalt öffentlichen Rechts – implementiert, um die Wohnungen auch demokratisch zu verwalten, dass also jeder Block oder jedes Haus Repräsentant:innen hat. So kann garantiert werden, dass die Mieter:inneninteressen vertreten werden.
Veza: Und die Mieten werden gesenkt! Aber natürlich geht es uns auch darum, dass Wohnraum langfristig demokratisch gestaltet werden kann. Denn das wiederum sichert zu, dass die Mieten auch zukünftig nicht in irgendwelche Profite fließen.
Und haben wir dann nach einer erfolgreichen Implementierung einen Präzedenzfall, denn man so vielleicht deutschlandweit oder international anwenden oder andere Verwaltungen sich daran orientieren könnten?
Veza: Alle Leute, die im Entferntesten zu dem Thema arbeiten, gucken derzeit schon sehr gespannt darauf, wie es in Berlin mit dem gewonnen Volksentscheid weitergeht. Der Artikel 15 in unserem Grundgesetz wurde noch nie angewandt, aber es gibt einen Grund, warum er da ist. Viele Leute, auch aus anderen Städten, ob Mieter:inneninitiativen, Verwaltung oder irgendwelche politischen Amtsträger:innen gucken total gespannt nach Berlin. aus Aber auch die Immobilienunternehmen und Unternehmen, aus anderen Branchen, bei denen Forderungen nach Vergesellschaftung jetzt laut werden, verfolgen den Prozess aufmerksam. Für die Unternehmen ist es eine Drohung. Für die normale Bevölkerung ist es ein hoffnungsvolles Versprechen. Insbesondere in den Lebensbereichen, wo wir merken: Wir stoßen mit den Möglichkeiten, die wir da gerade haben, an unsere Grenzen. Und mir zumindest wurde noch kein plausibles Alternativmodell, wie wir die Mietenkrise lösen können, präsentiert.
Der Erfolg von DWE war auch ein Präzedenzfall. Derzeit ist unklar, ob andere Initiativen, wie zum Beispiel Berlin 2030 Klimaneutral den gleichen Erfolg haben werden. Warum?
Patricia: Es ist im Gespräch natürlich viel einfacher, jemandem zu erklären, warum die Person von steigenden Mieten selber betroffen ist. Das ist beim Klimawandel vielleicht schwieriger, weil es ja zum Beispiel den Globalen Süden noch viel mehr betrifft als uns hier in Berlin. Vielleicht ist einfach das Gefühl der persönlichen Betroffenheit nicht groß genug. Wenn ich mit jemandem sprechen sage: Hey, wenn du mir eine Unterschrift gibst, dann ändert sich konkret etwas für diesen einen Aspekt in deinem Leben, dann ist das was ganz anderes und viel konkreter.
Veza: Ja. Es gibt auch bei uns eine Gegenlobby. Aber beispielsweise beim Tempolimit ist es komplett absurd, wie ideologisch verbohrt da auch der Diskurs teilweise verläuft. Da ist es unglaublich schwer, durchzudringen.
Was ist aus eurer Sicht der Grund für euren phänomenalen Erfolg und was an den Strukturen von DWE könnt ihr anderen Organisationen empfehlen?
Veza: Eine der Strukturen von DWE sind Kiezteams, die im Vorfeld der zweiten Sammelphase aufgebaut wurden. Für mich war das total schön, im Kiez direkt eine Anlaufstelle zu haben, das Team hatte eine überschaubare Größe und es gab wöchentliche Treffen, so fühlt man sich direkt willkommen. Es gab auch immer die Motivation, Leute reinzuholen und dafür gab es vor den regulären Treffen auch Infotreffen für neue Interessierte: Der Einstieg wurde sehr leicht gemacht. Und gleichzeitig gab es eine feste und kontinuierliche Gruppe. Dann kam die zweite Sammelphase und es gab super viel zu tun und man war mit Unterschriften sammeln und weiteren Aktionen sehr eingebunden. Und von da war alles nicht mehr so abstrakt, sondern sehr schnell sehr konkret.
Patricia: Bei mir war es ähnlich. Ich bin zum Kiezteam dazugestoßen, dann gab’s einen Anruf und dann ging es auch schon raus auf die Straße, Unterschriften sammeln. Das ist auch Teil des Geheimnisses von DWE, glaube ich: Man brauchte keine Vorkenntnisse, es war super niedrigschwellig und man konnte direkt loslegen. Ich glaube, viele hatten hier ein Erfolgserlebnis. Man kam vom Sammeln wieder und dachte sich: Krass, ich habe mit so vielen verschiedenen Leuten gesprochen, ich habe so viele Unterschriften gesammelt, bin angebunden in meinem Kiez. Das ist ein großer Motivator. Ich bin dann mit Leuten auch noch auf andere Demos gegangen, weil wir einfach lokal so nah aneinander waren. Darüber bin ich dann in andere AGs geschlittert, zum Beispiel Öffentlichkeitsarbeit und Social Media und hatte da dann Spaß und konnte neue Sachen ausprobieren.
Was waren in den Gesprächen eure schönsten Momente?
Veza: Die meisten Gespräche haben wir 2021 geführt: Es waren viele Haustürgespräche und auch an Orten, wo es vielleicht weniger zu erwarten war, gab es massenhaft Zustimmung. Wir kamen an die Türen, haben gefragt, ob die Leute zur Wahl gehen und ob sie schon wissen, wie sie bei dem Volksentscheid stimmen. Oft sind daraus Gespräche über ihre Situation entstanden.
Patricia: So konkret ist das schwer zu sagen, weil es so viele schöne Momente gab. Leute haben uns Snacks geschenkt, Jugendliche sind im Park zu uns gekommen und haben uns auf einen Drink eingeladen, da war die Stimmung einfach gut. Einmal habe ich aber mit einer älteren Frau gesprochen. Sie meinte, es beträfe sie nicht, weil sie keine deutsche Staatsbürgerschaft hat. Ich habe ihr erklärt, dass wir ihre symbolische Unterschrift trotzdem sammeln. Daraufhin war sie total berührt und hatte Tränen in den Augen und meinte, es sei das erste Mal, dass ihre Meinung etwas bedeuten würde, vorher hat sie noch nie jemand miteinbezogen.
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