Über das sichtbar Machen von Frauen über 50 mit Paola de Grenet

Frauen über 50 – welche Position und Sichtbarkeit haben sie in unserer Gesellschaft? Darüber haben wir mit Paola de Grenet sprechen können. Am 26.07. hat uns die Künstlerin zum Forecast Forum eingeladen. Dort hat sie, gemeinsam mit ihrem Kollektiv „50 and Beyond“ mit Maskenbildnerin Jane Darroch Riley und Performerin Sarah Davidson das Projekt Masquerade ausgestellt. In der Kategorie „from Questions to Images“ waren sie, gemeinsam mit zwei anderen Projekten, Finalist*innen.

Es ist wichtig, dass es das Forecast-Forum gibt, erklärt Chef Freo Majer. Hier bekommen Künstler:innen Aufmerksamkeit und die Möglichkeit, ihre Projekte umzusetzen – ganz ohne Auflagen. „Künstler:innen wollen künstlerisch tätig sein und sie müssen davon leben können. Stiftungen und auch viele öffentliche Töpfe geben Themen vor – wer es in einem Antrag glaubhaft rüberbringt, dazu arbeiten zu können, wird auch gefördert oder bekommt seine Kunst verkauft. Wir glauben aber, dass die Künstler:innen ganz genau selbst entscheiden und wissen können, was sie beschäftigt, was politisch und sozial wichtig ist.“

Und Paola beschäftigt das gesellschaftliche Bild von Frauen über 50.

Paola, was fotografierst du am liebsten?

Paola: Eigentlich wollte ich immer Illustratorin sein, habe aber irgendwann die Fotografie für mich entdeckt. Ich habe angefangen, Freund:innen von mir zu fotografieren und Portraits sind schnell zu meiner Ausdrucksform geworden, so wie auch bei Masquerade. Portraits zu schießen erlaubt mir, in die Leute reinzuschauen und sie zu verstehen. Ich versuche immer, die Dinge, die mich beschäftigen, in der Tiefe zu verstehen. Momentan sind es neue Technologien – auch wenn die bei Masquerade keine Rolle gespielt haben.

Was daran beschäftigt dich?

Paola: Ich finde alles an den neuen KI-Technologien sehr faszinierend, habe einen kleinen Midjourney-Workshop mitgemacht. Ich wollte verstehen, wie ich diese Tools für mich nutzen kann, aber auch, was sie allgemein können, wie sie unsere Kunst beeinflussen und unsere gesellschaftlichen Dynamiken. Es ist interessant, dass viele Fotograf:innen nun Midjourney und co. benutzen. Für mich sind KI-Bildgeneratoren eher wie Illustration und nicht wie Fotografie: Fotografie bildet das ab, was sichtbar ist und ist an das Subjekt und den Moment gebunden. Illustration und KI-Bildgeneratoren können anders darstellen, der Prozess des Fotografierens ist für mich bei beidem nicht da. Ich bin sehr gespannt, wie es in der Richtung weitergeht, die entstehenden KI-Bilder können toll aussehen. Aber ein spontanes Bild von einer Person zu schießen und ihre Emotionen zu sehen – das bewegt mich allein deshalb so sehr, weil es real ist.

Welche deiner Projekte haben dich auf die Art bewegt?

Paola: Jedes meiner Fotoprojekte ist besonders für mich. Wenn es um Erfolg geht, war es vielleicht das Projekt „Albino Beauty“, in dem ich Menschen mit Albinismus fotografiert habe. Aber eines der persönlichsten Projekte war wahrscheinlich „barely legal“, in dem ich viele junge Frauen, um die 21 Jahre alt, fotografiert habe. Sie haben die trubeligen Teenager-Jahre hinter sich gelassen und wurden nun in die Welt geworfen, sind aber noch nicht ganz erwachsen, tragen noch etwas sehr jugendliches in sich. In diesem Alter ist man – war ich – gleichzeitig aufgeregt und verängstigt vor dem, was kommt. Dieses Alter war für mich persönlich sehr besonders. Dort habe ich meine Mutter verloren, das hat wahrscheinlich auch einen großen Einfluss gehabt. Aber so viele Emotionen waren in so einem kleinen Augenblick versammelt, deshalb habe ich einen sweet spot für junge Frauen in dem Alter.

Also hat das Thema Alter in deiner Arbeit schon immer eine große Rolle gespielt …

Paola: Ich bin mir einfach gerne bewusst. Meiner Umwelt, meinem Leben. Der unterschiedlichen Phasen, in denen man sich befindet und die Erwartungen, die damit einhergehen. Das bilde ich dann über Fotos ab. Und genauso war auch der Prozess mit Masquerade. Wir haben geschaut, was von uns übrig ist nach so vielen Jahren Frau und Mutter sein.

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Jane, weshalb wolltest du bei einem so persönlichen Thema wie Alter, bzw. Frauen über 50 mitmachen?

Jane: Paola und meine Tochter haben bereits zuvor an einem zehnjährigen Projekt gemeinsam gearbeitet. Es war ein sehr schönes Projekt, es ging um Behinderung und Verletzlichkeit. Wenn ich jemandem mit einem solchen Projekt vertrauen würde, dann Paola. Ich kenne nur sehr wenige andere Menschen, die so sensibel und empathisch anderen gegenüber sind wie sie. 15 Jahre später haben wir nun an Masquerade zusammengearbeitet. Der Prozess war ein ganz anderer, das andere Projekt war langfristig und sehr privat und sensibel, auch wenn Masquerade natürlich auch ein verletzliches Thema ist.

Paola: Masquerade war viel schneller und mit einer anderen Dringlichkeit, mit einem Hintergedanken, dass uns die Zeit davonläuft, wir nicht ewig Zeit haben. Und dass wir die Zeit, die wir haben, auch mit Leichtigkeit füllen können. Das Leben ist herausfordernd, anstrengend und schnell. Wenn wir jetzt nicht kreativ sind, wann dann?

Wie hat es sich für euch angefühlt, 50 zu werden?

Jane: Paola ist 52, ich werde Ende des Jahres 59. Also ich war schon ein paar Jahre weiter in diesem Prozess, 50 zu sein und in der Beschäftigung mit der Frage, was dann kommt. Tatsächlich kam mit dem 50 werden auf einmal ein riesiger Selbstbewusstseinsschub, den ich mein gesamtes erwachsenes Leben so nicht hatte oder kannte. Ich hatte einen riesigen Drang, etwas zu tun, es war so ein wenig ein Gefühl von „you have zero fucks left to give“. Was immer du tun willst: Du fängst besser bald damit an. Es gibt wirklich keinen Punkt im Leben, an dem man nicht mehr mit etwas beginnen kann.

Es ist interessant, was Zahlen mit uns machen. Ich habe zum Beispiel großen Respekt davor, 30 zu werden. Und obwohl es viele in meinem Umfeld jetzt sind und sich de facto gar nichts ändert, bleibt immer so ein Gefühl von „jetzt wird’s ernst“.

Jane: Genau das ist es! Das ist genau das, worum es uns bei Masquerade geht. Das Gefühl, erwachsen sein zu müssen, jeweils einem bestimmten Alter entsprechen zu müssen. Mit 20 will man nicht 30 werden, mit 30 nicht 40 und mit 40 hat man Angst, was passiert, 50 zu sein. Und wir haben uns gedacht, dass wir nicht möchten, dass das Label „50“ uns davon abhält, Spaß zu haben, Leichtigkeit zu verspüren. Es gibt diesen gesellschaftlichen Irrglauben, dass man die wildesten und besten Jahre in seinen Zwanzigern verlebt. Und ich habe sicherlich ein sehr erfülltes und wildes Leben gelebt, als ich 20 bis 30 war. Aber auch mein jetziges Alter gibt mir eine schöne kreative Freiheit.

Paola: Es gibt Studien und Wissenschaftler:innen, die daran arbeiten zu beweisen, dass wir mit 50 und co nicht weniger kreativ sind als mit 20. Sondern wir hören einfach auf, uns kreativ auszuprobieren. Und mit all diesen gesellschaftlichen Zuschreibungen dazu, wie man mit 50 sein sollte, braucht man noch mehr Energie als sowieso schon, um sich zu verwirklichen.

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Weshalb brauchen Menschen – und im besonderen Frauen über 50 hier mehr Energie?

Paola: Weil man sich mit mehr Erfahrungen und Wissen – positiven wie negativen – durch die Welt bewegt, der Druck von außen ist groß. Die Leute denken, mit einem stimmt etwas nicht, wenn man in dem Alter noch etwas Neues beginnt. Wenn man mit 50 und 60 seit Jahrzehnten etablierte:r Künstler:in ist, dann sagt niemand etwas. Aber in diesem Alter neue Sachen auszuprobieren ist mit Scham behaftet, Angst. Dabei bringen wir in unserem Alter sehr viele Erfahrungen mit, die man künstlerisch verarbeiten könnte. Und ich mache den Leuten keinen Vorwurf, dass sie es nicht ausprobieren. Wir bekommen ja keinen anderen Input, bekommen nichts anderes gespiegelt. Es gibt so wenig Ressourcen, die ältere Frauen stark, attraktiv, schön zeigen. Aber es gibt sie. Und wir müssen mehr Räume schaffen, wo sie abgebildet werden, um andere zu inspirieren und in denen sie sich so zeigen können, wie sie sein wollen.

Was braucht man dafür?

Paola: Erst einmal braucht es das Bewusstsein, dass es gesellschaftlich für Frauen, die älter als 30, 40, 50 sind, immer schwieriger wird. Sie werden immer unsichtbarer. Wir wollen sie empowern. Und weil wir ja vorhin zum Beispiel über KI gesprochen haben: Wenn man einer KI sagt, eine ältere Frau oder einen älteren Mann zu konzipieren, dann schafft sie das nicht wirklich. Weil gesellschaftlich und von den Ressourcen diese Gruppe unterrepräsentiert ist. Es ist essenziell, Räume für mehr Stimmen und Bilder und Worte von älteren Menschen zu schaffen. Umso lauter müssen diejenigen jetzt sein, die es sich jetzt schon trauen, die jetzt schon kleine Räume geschaffen haben.

Vielleicht können wir dann noch kurz über die Masken sprechen. Weil eigentlich wollt ihr die Frauen über 50 die ja nicht verstecken, sondern sie zentrieren.

Jane: Ja, wenn man mit Masken arbeitet, kann man das schnell denken. Ich wollte nicht zwingend, dass die Zuschauenden die Gesichter anschauen. Sondern viel mehr ihre Emotionen und Ausdrücke. Das schaffen die Masken über Texturen und Materialien. Und Paola mit ihrer 20-jährigen Erfahrung im Fotografieren konnte diese Emotionen wunderbar einfangen.

Paola: Masken machen Spaß, ihre Texturen und Farben rufen in unterschiedlichen Leuten unterschiedliche Gedanken und Gefühle hervor. Sie bringen Farben und Leichtigkeit in das Thema des Älterwerdens, das gesellschaftlich so wenig beachtet wird. Mit 50+ haben wir nicht mehr ewig Zeit. Aber deshalb sollten wir uns nicht verstecken und sorgen, sondern das Gegenteil.

Unbezahlte Einladung der Künstlerin.

Mehr zu Kunst und Gesellschaft gibt es zum Beispiel hier.

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