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Synthetik statt (fairer) Baumwolle: Die Textilindustrie hat keine Lust auf Nachhaltigkeit

Neuigkeiten aus der Textilindustrie haben medial schon länger keine Hochkonjunktur mehr: Zwölf Jahre nach der Katastrophe von Rana Plaza und zehn Jahre nach der Dokumentation The True Cost über den Anfang textiler Lieferketten, schaffen es die Kleidungsindustrie, Arbeitsbedingungen und Materialien nur noch selten in die Schlagzeilen. Immerhin muss man der Industrie zugute halten, dass sich in diesen vergangenen zehn Jahren auch ein wenig getan hat. Gerade Richtung Ende der 10-er Jahre konnten wir viele positivere Meldungen lesen: Ob Textilsiegel, Bio-Baumwolle, organische Materialien, faire Produktion – all das haben die meisten Einkäufer:innen mittlerweile wahrscheinlich schonmal gehört.

Und dann, dann kam Shein. Nach Fast Fashion nun Ultra Fast Fashion, Internethypes und Unmengen an Polyester – zu letzterem Schluss kommen zumindest die 2025 Cotton Rankings von der NGO Solidaridad und die Bewertungsplattform Good On You.

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Ergebnisse des Cotton Rankings

Die Organisationen Solidaridad und Good On You haben sich 100 Textilmarken und ihre Baumwollnutzung angeschaut. Das ernüchternde Ergebnis: Mit 29 Prozent legen weniger als ein Drittel der Firmen vollständig und transparent offen, wie viel Baumwolle sie in ihren Lieferketten nutzen. Und nur ein Viertel der Marken gibt die genaue Nutzung ihrer Materialien insgesamt transparent an. Immerhin: Auch ein Viertel der Unternehmen sagt, dass sie zertifizierte recyclte Baumwolle nutzen. Allerdings nur in Größenordnungen von einem bis 18 Prozent ihrer insgesamt genutzten Materialien.

Während die Outdoorfirma Patagonia von sich sagt, 27 Prozent recycelte Baumwolle zu nutzen – und damit das Cotton Ranking in dem Bereich anführt – schneidet sie hingegen bei ihrer Plastiktransparenz so schlecht ab, dass eine Polyester-Studie sie in die niedrigste Kategorie „Red Zone“ stuft. Und das beschreibt den Zustand der Textilindustrie ganz gut. Selbst wenn sie bei der Zunahme von Transparenz und Nutzung (zertifizierter) Baumwolle minimale Fortschritte macht: Plastik ist und bleibt überall – insbesondere bei den umsatzstärksten Textilfirmen. „Synthetische Stoffe gewinnen weiter an Bedeutung“, heißt es in der Cotton Ranking-Studie deshalb. Synthetische Stoffe: Also die, die aus Erdöl gewonnen werden, die niemals richtig abgebaut werden können und die sich bereits in jedem lebenden Körper auf der Erde befinden.

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Shein übernimmt die Textilindustrie

Enorm viel Plastik gibt es auch bei der Erfolgsmarke Shein. Dass der Ultra-Fast-Fashion-Retailer so viel Polyester in seiner Kleidung nutzt, ist einfach aufgrund der schieren Menge seiner Produkte ein Problem. Täglich fügt die Shein-Website eine vierstellige Anzahl an neuer Produkte hinzu. Und die sind, laut Solidaridads und Good On Yous Cotton Ranking, eben zu 82 Prozent aus Polyester. Lange haben H&M, Zara und co die Einkaufszentren unserer Innenstädte und damit auch die Märkte dominiert. Diese Mühe macht sich Shein nicht einmal mehr. Einkaufen geht dort nur noch digital – und das mit Erfolg: Der Wert von Shein wurde Anfang 2022 auf 100 Milliarden US-Dollar geschätzt, sein Umsatz 2021 auf knapp 16 Milliarden US-Dollar. Tendenz seitdem: Steigend. Fast 40 Millionen Follower auf Instagram, Tiktok-Aufrufe in dreistelliger Milliardenhöhe.

Bei Shein kommt neben der schieren Masse auch die niedrige Qualität hinzu. Die Kleidung ist aus so billigem Polyester und so schlecht verarbeitet, dass sie häufig direkt aus der Verpackung oder nach kürzestem Tragen sofort in den Mülleimer wandert. Bereits vor über zwei Jahren hat uns eine Upcycling-Künstlerin gesagt: Mit Sheins Billigpolyester kann sie nicht arbeiten. Second Hand oder sogar Kreislaufwirtschaft? Fehlanzeige.

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Die Nachhaltigkeit von Baumwolle

Baumwolle als solche ist auch nicht das nachhaltigste Material der Welt. Im Anbau verschlingt sie literweise Wasser – auch mal 10.000 Liter Wasser pro Kilogramm konventionell hergestellter Baumwolle – und ist deshalb nicht sehr klimafreundlich. Häufig arbeiten die Menschen ohne großen Schutz mit Pestiziden und – wie so häufig im Textilsektor – unter prekären Arbeitsbedingungen. Klimawandelbedingte Extremwettereignisse wie anhaltende Dürreperioden sind zusätzlich wachsende Herausforderungen.

Dafür kann der Baumwollbetrieb etwas, was Polyester nicht kann: Sich auf unterschiedlichen Ebenen verbessern. „Wenn die Branche die Einführung nachhaltiger und regenrativer Praktiken entlang der gesamten Lieferkette verstärkt, hat Baumwolle das Potential, klimaneutral oder sogar klimapositiv zu werden und gleichzeitig den Lebensunterhalt von Menschen auf der ganzen Welt zu sichern“, heißt es im Cotton Ranking. Und weiter: „Sicher ist, dass fossile Fasern, ob recycelt oder nicht, diesen Vorteil niemals haben werden“. Unser Besuch 2019 bei Biobaumwoll-Unternehmen BioRe in Tansania bestätigt das: Baumwolle kann anders hergestellt werden, wasserschonend, pestizidfrei und gewinnbringend für die Farmer:innen.

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Ein Blick in die Glaskugel: Was würde sich ändern, wenn Shein und co sich für Baumwolle statt Polyester entschieden?

Obwohl Baumwolle das nachhaltigere Material ist – das allein reicht nicht. Sollten Ultra Fast Fashion Marken wie Shein vermehrt auf Baumwolle setzen, wäre es unwahrscheinlich, dass sie ihre generellen Unternehmenspraktiken anpassen würden. Sprich: Shein und co setzen in horrenden Mengen auf Masse, immer auf Quantität, niemals Qualität. Es ist unwahrscheinlich, dass Shein auf einmal Menschen- und Arbeitsrechte, Klima- und Umweltschutz groß schreiben würde.

Bereits heute gibt es berechtigte Kritik an Baumwollzertifizierungen. Während es einige ernstzunehmende und strenge Siegel gibt, ist das der sehr beliebten Better Cotton Initiative (BCI) bekannt für Greenwashing. Von unterschiedlichen Siegeln war es eines von zweien, das mir vor einigen Jahren für einen (potentiell kritischen) Artikel nicht einmal geantwortet hat. Sollte unter den derzeitigen Marktvoraussetzungen eine Marke wie Shein also auf Baumwolle oder gar zertifizierte Baumwolle setzen, wäre das potentiell mit viel Greenwashing statt wirklichem Änderungswillen verbunden.

Die Menge macht’s: Nachhaltige Marken wie hier bei der BioRe Stiftung in Tansania produzieren nicht nur mit streng ausgewählten und überblickten Lieferketten, sondern vorallem auch in geringerem Umfang. Das Konzept der Sheins dieser Welt ist leider das völlige Gegenteil dessen.

Ohne politische Regulierung geht es nicht

Mit einer wirklichen Verbesserung für Menschen, Umwelt und Klima wäre also nicht wirklich zu rechnen, sollten Ultra Fast Fashion Retailer wie Shein und co erstmal nur Plastik mit Baumwolle ersetzen. Deshalb ist ein Blick auf Materialen in der Textilindustrie auch immer ein Blick auf Menschenrechte, auf Arbeitsbedingungen, auf Wasserverbrauch, auf Landbesitz – im Rückschluss also auf Unternehmenspraktiken in der gesamten Lieferkette.

Auch deshalb ist es ein riesiges Problem, dass auf EU-Ebene die Umsetzung der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) – also des Lieferkettengesetzes – weiter ein Streitthema bleibt. An dem Cotton Ranking sehen wir, dass auch wenige gute und richtige Schritte nicht ausreichen, wenn Marktriesen parallel unkontrolliert abertausende Tonnen an erdölbasierter Kleidung produzieren. Eine politische Regulierung ist und bleibt deshalb dringend notwendig. Im Cotton Ranking verweisen auch Solidaridad und Good On You auf die CSDDD. Während manche Firmen sich derzeit vielleicht erhoffen, durch Intransparenz weniger Aufmerksamkeit auf die eigenen Praktiken zu lenken, wird „diese mangelnde Transparenz und Rückverfolgbarkeit […] diesen Marken jedoch letztendlich schaden“, sollte das europäische Lieferkettengesetz doch noch in ausreichender Form in Kraft treten. Die Studie appelliert an die Firmen also über das Argument, das der Kleiderbranche am meisten weh tut: Geld.

Mehr zu dem Zustand der Textilbranche auch hier im Gespräch mit den Fashion Changers.

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