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Kein Platz für Vielfalt im Bahnhof Plauen? Im Gespräch mit colorido e.V.

„Platz für mehr“ steht an den Fenstern vieler leerstehender Räumlichkeiten der Bahnhofshalle in Plauen. „Raum für deins“ steht an der nächsten Ecke. Doch nicht für alles von dir scheint hier Raum zu sein, denn wir sind nach Plauen gekommen, weil vor einigen Wochen der Verein colorido e.V.  eben jene Räumlichkeiten verlassen musste. Vor ihrem Rauswurf gab es noch wöchentliche Tango-Gruppen, Sportunterricht und Bildungsveranstaltungen zu politischen Themen in einem großen Saal direkt gegenüber vom Eingang des Bahnhofs. Platz für mehr, eben.

Gleichzeitig war dieser Ort auch ein Rückzugs- und Begegnungsort für Bevölkerungsgruppen, die es auf dem sächsischen Land nicht leicht haben: Geflüchtete, queere Menschen und Menschen mit Behinderung. Der colorido e. V. hat den Bahnhof mit Leben gefüllt und engagiert sich darüber hinaus im ganzen Vogtlandkreis ehrenamtlich und aktuell sogar ohne Sachsenförderung für eine „vielfältige, starke und lebendige Demokratie“. Jetzt steht der Saal erstmal wieder auf unbestimmte Zeit leer – gegen den Wunsch des colorido e.V.

Wie konnte es dazu kommen? Und welche Rolle spielen Orte wie dieser in einer Stadt wie Plauen, in der einerseits viele Geflüchtete z. B. aus der Ukraine, Venezuela, Afghanistan, Iran, Syrien, etc.  untergekommen sind, die aber andererseits durch rechtsextreme Umtriebe von unter anderem dem Dritten Weg auffällt. Um darüber mehr zu erfahren, haben wir Doritta Kolb-Unglaub – Gründungsmitglied und Geschäftsführende Vorständin des Vereins im Ehrenamt – bei ihren Arbeiten für den colorido e.V. begleitet. 

Doritta Kolb-Unglaub vorm BruNi

Doritta ist Gründungsmitglied und Geschäftsführende Vorständin des Vereins im Ehrenamt. Sie ist in der DDR groß geworden und hat eine selbstbenannte „typische DDR-Bastelbiografie“ und somit mehrere Berufe gelernt – erst Schauwerbegestalterin, dann Studium zur Dipl. Designerin und mit 43 Jahren studierte sie nochmals Sozialpädagogik Jetzt geht sie mit großen Schritten auf die Rente zu und will in Zukunft der Vereinsarbeit noch mehr Priorität geben. Ihr Vater prägte schon früh, als Doritta zur FDJ musste, den Satz „Das machen wir nicht mit“.

Trotz Bestnoten wurden ihr dadurch? zu DDR-Zeiten, aber auch in den letzten Jahren aufgrund ihrer politischen Tätigkeiten, immer wieder Steine in den Weg gelegt. So war sie seit 2014 als quereinsteigende Lehrkraft an einer Oberschule beschäftigt, wurde aber 2019 durch AfD-nahe Eltern aus dem Amt gedrängt. Der Kampf gegen Rechts prägte dabei schon immer ihre Biografie und ein entscheidendes Werkzeug, welches Doritta beschreibt ist Begegnung. Begegnung, Gespräche und Zusammenarbeit – diese Werte nimmt Doritta mit in die Vereinsarbeit von colorido e. V. 2017 ging der Verein aus dem Bündnis Vogtland gegen Rechts hervor und engagiert sich seitdem für Demokratie und eine diskriminierungsfreiere Gesellschaft. 

Wir treffen uns heute nicht im Bahnhof, sondern im BRuNi – dem BRING-und-NIMM-Laden vom colorido e.V. Warum ist der Verein nicht mehr im Bahnhof präsent?

Vor zwei Jahren gab es seitens der Deutschen Bahn den Wunsch, den Bahnhof zu beleben. Ich habe also ein Kurzkonzept geschrieben und wir haben vertraglich geregelt, die Räumlichkeiten im Bahnhof zunächst über ein Jahr kostenlos zu bekommen. Wir haben also den Bahnhof bespielt und über 50 Kooperationspartner*innen herangeholt. Es gab Fachtagungen, musikalische Events, Ausstellungen und so weiter. Wir haben dann eine weitere Verlängerung der Mietmöglichkeit bekommen, aber sollten bis März dieses Jahres organisieren, dass wir eine Miete von 800 Euro im Monat zahlen können. Ich habe die Deutsche Bahn darauf hingewiesen, dass wir nicht genau sagen können, wann wir die Fördergelder bekommen. Aufgrund der vorzeitigen Bundestagswahlen war alles sehr ungewiss und es gab weder einen Bundes- noch einen Sachsenhaushalt.

Im Juni hatte ich dann die Zusage, dass wir das Geld bekommen, aber da war es zu spät und die Bahn wollte nicht mehr mit sich reden lassen. Aus drei offiziellen Gründen wollten sie uns raushaben. Zum einen, weil wir nicht rechtzeitig das Geld organisiert hatten, obwohl wir die Zusage vor Auslaufen des Vertrags geben konnten. Außerdem gab es ein Event, bei dem wir vor Ort gut mit ihnen zusammengearbeitet haben. Die Kommunikation lief gut und der Umgang war freundlich. Im Nachgang hieß es dann aber, wir hätten uns nicht an Absprachen gehalten. Abschließend sagten sie, dass sie die Zusammenarbeit wegen Neutralitätsbestrebungen nochmal überdenken müssten. Dabei hat sich an der Ausrichtung von colorido in den Jahren vor Ort nichts geändert. 

Als wir dann noch mit anderen Akteur*innen aus der Region Plauen über die Problematik am Bahnhof ins Gespräch gegangen sind, hieß es seitens der Bahn, dass es ein Vertrauensbruch sei, dass wir das Thema öffentlich machen. Es ist wirklich sehr schade, dass wir gehen mussten. Gerade auch für die Veranstaltungen, die regelmäßig im Bahnhof stattfanden. Wir haben eine Petition gestartet, aber ich habe wenig Hoffnungen, dass sich nochmal was ändert. Wahrscheinlich werden die Räumlichkeiten jetzt auf unbestimmte Zeit leer bleiben.

Es steht noch Colorido drauf, aber die Halle ist leer – Seit Monaten.

Auf Social Media hat der colorido e.V. kommuniziert, dass eure Präsenz im Bahnhof besonders wichtig sei, weil es dort Rechtsextreme Umtriebe gibt. Kannst du das ausführen?

Der Bahnhof ist zu einem Treffpunkt der rechtsextremen Jugend und der sogenannten Vogtland Revolte geworden. Es gibt ganz klar dokumentierte Vorfälle. Die Bahnhofshalle ist warm und daher ein Aufenthaltsort für Obdachlose. Diese werden von den Jugendlichen belästigt.

Wir haben selbst bei Veranstaltungen mehrfach die Polizei gerufen. Ich hatte schon eine Konfrontation mit denen, als ich letztes Jahr für die Juniorwahl im Bahnhof gearbeitet habe. Kurz vor dem Ende der Öffnung als Wahllokal kamen fünf junge Neonazis rein und fragten mich, ob sie hier die NSDAP wählen könnten. Nach vielen Provokationen ihrerseits haben sie schließlich ihre Zettel abgegeben, aber wollten im Rausgehen dann noch unsere Regenbogenflagge runterreißen und drohten damit, sie zu verbrennen. Das konnte ich zum Glück verhindern und schließlich gingen sie, aber nicht ohne nochmal gegen die Einrichtung zu treten und für den kommenden CSD Gewalt anzudrohen. Dadurch, dass ich einige von ihnen auf Bildern wiedererkannte, konnte die rechtsextreme Gegenveranstaltung zum CSD der Vogtland Revolte verhindert werden.

Und die Bahn leugnet diese Umtriebe?

Ja. Die Bahn hat es in einer Email an uns geleugnet. Sie hätten bei der Bundespolizei und in den Läden nachgefragt und diese hätten das verneint. Wir sollten solche Behauptungen daher unterlassen.

Sie können das aber nicht leugnen, weil es immer wieder Stress gab. Um diesen Bahnhof rum hatten wir 2024 eine „Hakenkreuzgalerie“.Das hat übrigens auch die Stadt Plauen geleugnet. Aber wir haben die Fotos. Da war das eine Hakenkreuz mit 1,80 Meter Durchmesser direkt unter der Bahnbrücke. 

Es gibt eine Tafel an der Mauer vor dem Bahnhofsgebäude für Paul Dittmann, der von Nazis verfolgte Menschen vor dem Tod rettete und Flublätter gegen die Nazis transportierte. Auf der Tafel ist die Aufschrift „Nie wieder Faschismus“ angebracht.  Da wurde immer wieder das NIE überschmiert bzw. Aufkleber darüber geklebt. Die Bahn hat nach längerem Aufmerksammachen durch uns und die Angehörigen von Dittmann eine Schutzschicht angebracht.

Die Stimmung im BruNi ist gut am Mittwochmorgen.

Die Notwendigkeit demokratiefördernder Arbeit wird sehr deutlich durch das, was du berichtest. Kannst du nochmal ausführen, was ihr als Verein tut, um ein Gegengewicht darzustellen? 

Wir setzen mit dem colorido e. V. auf Begegnung, denn das ist es, was es in den aktuellen Zeiten braucht. Einsamkeit, auch unter jungen Menschen, ist ein riesiges Problem. Deshalb sind Räume wie unser Begegnungscafé so wichtig. Es saßen schon bis zu zwölf Nationen an diesem Tisch. Verschiedene Nationen, verschiedene Altersgruppen, verschiedene Problemlagen. Sie kommen gerne, sie fühlen sich wohl und es ist für sie ein geschützter Raum geworden, wo einander zugehört wird. Man begegnet sich, man sitzt ein paar Stunden zusammen und bei Problemen wird versucht, sich gegenseitig zu helfen. Heute war es zum Beispiel jemand, der Unterstützung mit einer Bewerbung brauchte und es als Transperson hier schwer hat. Wir hatten aber auch mal eine Person mit starken Suchtproblemen. Er hat gesagt, dass colorido ihn von der Nadel weggebracht hat. 

Es gibt eine Therapiegruppe, organisiert von einer Ukrainerin mit therapeutischem Abschluss und auf dem Bahnhof gab es noch deutlich mehr Angebote. Da gab es regelmäßig Tango und Schach, Fachtage und gelegentlich größere Events. Für diese Dinge braucht es viel Platz, aber nun fehlen uns durch die Kündigung der Bahn die Räume. Wir leisten hier ehrenamtlich einen essenziellen Beitrag für das Zusammenleben in Plauen und dann werden uns Mittel gekürzt und die Räumlichkeiten entzogen.

Das ist wirklich wichtige Arbeit. Ihr betreibt den BRING-und-NIMM-Laden BRuNi. Was genau passiert da?

Der BRuNi hat sich aus der Ukraine-Hilfe entwickelt und ist zu einem Ort für alle geworden. Von älteren Leuten über junge Mütter, die eine kleine Kindergröße bringen und eine größere mitnehmen. Es gibt Menschen, die hier zwei Stunden durch den Laden „kreisen“. Die darauf warten, was noch gebracht wird oder die sich hier jede Woche treffen, um zu quatschen. Der Laden wird auf jeden Fall sehr gut angenommen und die Bedürftigkeit nimmt zu. Wenn die Regierung jetzt noch das Bürgergeld kürzt, werden die Bedarfe wohl noch größer werden. Und bis dahin gibt es uns vielleicht nicht mehr.

Ich weiß nicht, ob man das nicht sehen will. Ob man nur die Wirtschaft im Blick hat. Die Wirtschaft wird uns aber nicht helfen, wenn der Sozialstaat krank ist. Wir sind ein Sozialstaat. Wir haben uns das irgendwann mal auf die Fahne geschrieben. Viele Menschen haben es jetzt schon schwer und wenn es denen noch schwerer gemacht wird, weiß ich nicht, wo das hinführen soll.

Es ist ein Mittwochmorgen und vorm BRuNi hat sich schon eine Schlange gebildet. Hier kommen Menschen unterschiedlichster Altersgruppen und Nationalitäten zusammen. Es wird gebracht, getauscht und gefeilscht. Einige Sachen gibt es umsonst und andere sind mit einer Spendenempfehlung markiert. Doritta hat keine ruhige Minute, aber nach zwei intensiven Stunden hinter der Kasse erklärt sie mir in der kleinen Küche zwischen Kisten die Bedeutung vom BRuNi. 

Ihr leistet hier unfassbar wichtige Arbeit gerade auch mit Angeboten wie der psychotherapeutischen Betreuung und dann gibt es erstmal keine Förderrichtlinie in Sachsen dafür mehr und die Bahn nimmt die Räumlichkeiten weg. Was macht das mit dir? 

Es ist manchmal sehr frustrierend, aber wir machen weiter. Ich persönlich habe ein ziemlich dickes Fell und ich will das weiter machen. Die Menschen, die zu uns kommen, müssen gesehenwerden. Ich habe vor kurzem drei tolle Aspekte gelernt und die drücken es gut aus:

  1. Beschwerde ist ein Geschenk!
  2. Wer sich beschwert ist mutig und zeigt Einsatz für andere Menschen!
  3. Tägliches Zähneputzen ist Optimismus!

Man bekommt sehr viel zurück und das ist es jede Sekunde wert. Dafür bin ich gerne eine Nestbeschmutzerin, wie wir oft genannt werden, auch von unserer Verwaltung. Wir müssen darauf hinweisen und uns beschweren, auch wenn es manchmal dicke kommt. Es gibt sie noch zahlreich, die Menschen, die uns unterstützen, die uns mutmachende Worte schreiben, die mithelfen, das wir uns Menschlichkeit bewahren. Das sind unsere Stützen und der Zusammenhalt, das Zusammenwirken sind einmalig schön.

Als abschließende Frage angesichts dieser schweren Kämpfe, die ihr führen müsst. Was gibt dir Hoffnung?

In unserem Verein sind einige Wendeaktivist*innen – mich eingeschlossen. Mein Vater prägte schon früh, als ich zur FDJ musste, den Satz „Das machen wir nicht mit“. Wir haben das Ganze also schon mal durch. Wir sind schon mal rebellisch durch die Lande gezogen, auch mit Bedrohungslagen und wir haben trotzdem weiter gemacht. Das ist so das eine. Wir können Unrecht so nicht stehen lassen.

Das andere sind auch unsere Kinder. Die sind alle politisch. Jede*r auf seine*ihre Weise. Da gibt es die zwei Mädels von meinem Mann. Die sind in der Kirche aktiv und mischen da auf. Meine zwei Jüngeren spielen bei Banda Comunale und Fiatelle Blaskapelle in Dresden. Die sind also mehr als aktiv gegen Rechts. Wir haben Enkelkinder und auch die sind politisch interessiert. Das ist die Hoffnung, dass es Menschen gibt, die dranbleiben. Und solange wir stützen können und unterstützen können, sollten wir das tun. Das macht keiner von uns im Alleingang. Es sind viele Hände und es ist eine Hilfe zur Selbsthilfe. 

Es gibt immer wieder neue spannende Leute, die etwas Gutes tun und die müssen wir noch mehr zusammenbringen, gerade hier auf dem Land. Wie sich die Menschen auch hier auf dem Land vernetzen, gibt mir Hoffnung. Es ist ein Auf und Ab, aber es gibt immer wieder Hoffnungsschimmer und wir müssen weitermachen. Wir werden weitermachen. Dafür muss dringend bei der Bildung angesetzt werden: Dort muss wieder Hoffnung rein.

Der Artikel erscheint im Rahmen des Projektes Über Ostdeutschland und resiliente Demokratie des Projektes Über Ostdeutschland und resiliente Demokratie gefördert durch  das Bündnis Zusammen für Demokratie.  

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