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Ableismus tötet noch immer – über Crip Movement und Kunst

Über das Crip Movement, Kunst und Ableismus sprechen die Kurator:innen der Ausstellung im pinken und dunkel beleuchteten Raum

Empfangen werden wir von starken Lichtern, Farben, Bannern. Sie sind rosa, blau, bunt, aber beschönigen doch nicht, worum es eigentlich geht: Dass Gesundheit politisch ist. Das wird schnell klar, wenn man die Räume des Kunstraum Kreuzbergs/Bethanien betritt. Aus der Krankheit eine Waffe machen, heißt die Ausstellung passend dazu. Im Hauptgang treffen wir die Kuratorin Linnéa Meiners und ihre Assistenzkuratorin Gianna Ehrke. Hier erklären sie uns, was es mit dem Titel der Ausstellung auf sich hat, weshalb Ableismus noch immer tötet und welche Antworten das Crip Movement darauf liefert.

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Warum wollt ihr aus der Krankheit eine Waffe machen?

Linnéa: Um den Assistenzart Wolfgang Huber hat sich 1970 das Sozialistische Patientenkollektiv gegründet. In der Schrift mit dem Titel aus der Krankheit eine Waffe machen geht es darum, aktionistisch und gesundheitspolitisch aufzuklären. Wir haben das Buch auch hier, am Ausstellungseingang. Es ist natürlich ein historisches Dokument, deshalb treffen vielleicht nicht mehr alle Inhalte so zu. Aber diese Idee, dass Kapitalismus und Gesundheitspolitik einen direkten Einfluss auf die Menschen haben, war uns sehr wichtig. Dass Gesundheit eben nicht nur individuell ist. Das hat natürlich auch mit Intersektionalität zu tun.

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Gesundheit ist nicht nur individuell?

Linnéa: Nein, sie passiert in dem System, in dem wir leben. Zum Beispiel möchten wir auch betonen, dass es sein kann, dass ich im Rollstuhl sitze und gleichzeitig gesund bin. Krank ist nicht automatisch gleich behindert und andersherum. Das sind Nuancen, aber wichtige Unterschiede. Aber was sie trotz Unterschiedlichkeiten gemein haben, ist die Möglichkeit, sich zusammenzuschließen und zu sagen: Wir kämpfen alle für ähnliche Ziele – manchmal sogar für die gleichen.

Wie bildet ihr das künstlerisch ab?

Linnéa: Das hat massiv in die Auswahl der Künstler:innen der Ausstellung hineingespielt: Dass wir unterschiedliche Perspektiven anbieten und gleichzeitig betonen, dass das Thema alle etwas angeht. Denn es wird immer so getan, als hätten Menschen von Geburt an eine Behinderung oder eben nicht. Das ist Quatsch.

Gianna: Nur zwei bis drei Prozent der Menschen mit Behinderung haben diese von Geburt an – der Rest von ihnen erwirbt sie im Laufe ihres Lebens. Es sollten also alle Menschen interessieren, wie wir über Behinderungen sprechen und mit ihnen umgehen. Unsere Künstler:innen – nicht alle, aber viele, sind selber behindert oder chronisch krank. Das war uns sehr wichtig. Und aus den gleichen Gründen haben wir die Ausstellung auch barrierearm – nicht barrierefrei, weil das nicht finanzierbar gewesen wäre – aber barrierearm gestaltet.

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Warum braucht es im Jahr 2024 eine Ausstellung, die Menschen mit Behinderung und mit Krankheit zentriert?

Linnéa: Viele Leute haben Berührungsängste durch eine gesellschaftliche Trennung von Menschen mit und ohne Behinderung. Bereits in der Schule wird hier getrennt, sodass unterschiedliche Menschen weniger miteinander in Berührung kommen. Deshalb muss hier natürlich systemisch etwas gemacht werden. Momentan sagen zwar alle, sie „finden Teilhabe voll toll“, aber möchten im Endeffekt Teilhabe nicht konsequent und radikal umsetzen.

Weshalb ist das so?

Linnéa: Die Menschen denken, radikale Teilhabe kostet Geld und dass sie mehr Aufwand haben, mit behinderten Menschen zu arbeiten. Sie sehen Teilhabe nicht als etwas, das ihr Leben auch bereichern kann – doch selbst wenn ihr Leben nicht dadurch bereichert wird, steht Teilhabe bedingungslos allen Menschen zu. Wenn wir es historisch betrachten wollen, dann sehen wir das auch in der Geschichte des Nationalsozialismus, der verankert hat, dass behinderte Menschen zum Beispiel keinen Beitrag zur Gesellschaft leisten können. Ich glaube, dass das in vielen Menschen noch immer verinnerlicht ist.

Gianna: Die Gesellschaft ist so wenig barrierefrei, dass manche Menschen mit Behinderung nicht oder nicht viel vor die Tür gehen. Weil es bedeutet, sie müssen vor Ort Leute ansprechen, damit sie ihnen helfen, oder sie werden permanent angesprochen. Es ist viel Überwindung, immer um Unterstützung zu bitten.

Und weil die Gesellschaft so wenig barrierefrei ist, tötet Ableismus noch immer?

Linnéa: Es gibt zum Beispiel Brandschutzverordnungen, bei denen Menschen im Rollstuhl im Brandfall nicht aus einem Gebäude geschoben werden dürfen. Man muss zuerst der Feuerwehr Bescheid geben, diese darf dann die Menschen im Rollstuhl aus dem Gebäude holen. In solchen Fällen tötet die Benachteiligung von behinderten Menschen. Auch bei der Flut im Ahrtal gibt es ein Beispiel, bei dem in einem Lebenshilfehaus 12 Menschen ertranken. In anderen Fällen ist das verschleierter oder findet anders statt. Aber es ist immer noch so, dass behinderte und chronisch kranke Menschen sterben, weil die Gesellschaft es nicht schafft, sich zu hinterfragen. Das ist aber natürlich auch viel mit unserem kapitalistischen System verwoben. Derzeit habe ich aber das Gefühl, dass gerade sehr viele Menschen Sichtbarkeit schaffen.

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Wie das?

Linnéa: Es gibt gerade viele Aktivist:innen mit Behinderung oder Krankheiten, die aufklären. Sie nehmen sich Raum, wie beispielsweise bei einer Pride Parade in Berlin für Menschen mit Behinderung aber eben auch das Crip Movement. So gibt es immer mehr Menschen, die auch dieses Missverständnis zwischen dem, was die Institutionen sagen und tun, aufzeigen und sich dagegenstellen.

Was ist das Crip Movement?

Linnéa: Das Crip-Movement verbindet und gibt einen Ausblick darauf, wie eine Gesellschaft aussehen kann, wenn sie radikale Teilhabe möglich macht und sie nicht verhindert. Es geht darum, gemeinsam anders zu sein. Dabei erobert sich die Bewegung den diskriminierenden „Krüppel“-Begriff zurück. Damit empowern sie, aber in diesem Wort stecken auch Spaß und ein Betonen der Vorteile, die es hat, behinderte Menschen mit ins Leben zu integrieren. Und das nicht auf eine Charity-Art, dass ihnen Teilhabe von oben herab ermöglicht wird. Sondern auf eine Art, dass die gesamte Gesellschaft am Ende profitiert, wenn sie selbst inklusiv sein möchte. Darunter fallen dann auch unsichtbare Behinderungen. Viele Positionen in unserer Ausstellung beziehen sich auf Mad und Disability Movements. Es gibt Positionen aus behinderter, chronisch kranker und neurodivergenter Perspektive und Positionen zu gesundheitspolitischen Bewegungen.

Habt ihr Sorge, dass vieles, was in den Bewegungen wie dem Crip Movement erreicht wurde, mit einer sich weiter nach rechts bewegenden Politik wieder zunichtegemacht wird?

Linnéa: Natürlich kann es auch ein wenig frustrierend sein zu sehen, dass so viele Jahrzehnte und Jahre zuvor schon Leute zu den gleichen Themen gearbeitet haben und es immer noch die gleichen Probleme gibt. Eine erstarkende rechte Politik ist sicherlich auch bedrohlich. Aber dadurch, dass es die Bewegung schon so lange gibt, sieht man, dass sie auch durchhalten kann. Der Kontakt zwischen den Menschen und das Gefühl des Zusammenhaltes bleibt.

Gianna: Aber trotzdem hört man dauernd, beispielsweise wenn man Jüngeren zuhören, dass sie das Wort „behindert“ als Schimpfwort nutzen. Da sieht man, dass es für viele einfach immer noch nicht klar ist, dass es einfach nicht in Ordnung ist, diese Worte als Beleidigung zu benutzen. Es muss noch viel getan werden.

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Also gibt es noch viel zu tun – politisch im Großen mit dem Blick auf unser kapitalistisches System, aber auch im Kleinen, im direkten Gespräch zum Beispiel mit Jugendlichen?

Linnéa: Ich glaube schon, dass das, was wir im Kleinen machen, viel Bedeutung hat. Das muss eben verknüpft werden mit den großen Ideen. Man kann natürlich sagen: Das hier ist nur eine Ausstellung irgendwo in Berlin. Aber sie wird eben doch von Menschen gesehen. Und dann können Menschen sie eben selbst in einen Kontext setzen, zum Beispiel in einen Internationalen. Es ist nun einfach so, dass Tabletten in bestimmten Ländern viel teurer sind, die schlechtere Gesundheitssysteme haben als wir hier. Aber umso wichtiger ist es, dass wir hier diese Konversation starten.

Gianna: Beispielsweise gibt es auch eine krasse Stigmatisierung von HIV-positiven Menschen hier in Berlin. Das wäre das lokale Beispiel. Aber wenn man das auf den globalen Kontext anwendet – und eben auch über Kapitalismus spricht – dann sieht man, dass es überall schwierig ist und die Stigmatisierung überall passiert.

Linnéa: Es ist immer wichtig zu sagen: hey, es liegt am System. Aber genauso wichtig ist es eben auch wertzuschätzen, was schon passiert. Dass viele Menschen eine neue Sichtbarkeit haben, dass man die Power auf der Straße spürt. Dass wir auch einige Bildet-Banden-Momente haben. Es gibt einen gemeinsamen Moment, in dem sich zusammengeschlossen wird. In dem dann aber auch immer Reflexion gefördert wird, in dem sich Leute selbst hinterfragen können und müssen. Deshalb versuche ich immer, zweigleisig zu fahren: systemisch und ganz direkt vor Ort. Dort hat man eben die Möglichkeiten, ganz akut anzusetzen – zum Beispiel über Kunst.

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Noch bis zum 18.08. könnt ihr im Bethanien Kreuzberg die Ausstellung anschauen und mehr zu Ableismus, dem Crip Movement und Teilhabe lernen.

Mehr zu gesellschaftlicher Teilhabe gibt es zum Beispiel hier oder hier.

  1. Seh, Fraus Garn says:

    Möchte man zu einer Einschätzung der Lage vor einem KAPITALISTISCHEM Hintergrund kommen, darf man sich mit einem Blick auf die eine Seite (weniger „fit“) nicht bescheiden, sondern muss wohl genauso die andere berücksichtigen, die „Vorbilder“, denen ein “Durchschnitt“ angeglichen werden soll: durchtrainierte Hollywood-Übermenschen, gesichtslose Disney-“Ideale“, immer einsatzbereit, immer gut gelaunt, immer Herr der Lage, gar leidensfähig und sei es (Achtung Paradox!) auf Kosten der eigenen Gesundheit: Anabolika verursachen Diabetes und Impotenz, Aufputschmittel um die Masterarbeit fertig zu bekommen womöglich eine Psychose. Egal: funktionieren ist allein sexy! Und um dem dräuendem burn out ein Schnippchen zu schlagen, greifen wir sogar zum Hatha Yoga, wobei wir das eigentliche Ziel, Spiritualität und Transzendez sorgfältig ausblenden: Es soll schließlich darum gehen, weiter als wohlgeschmiertes Zahnrädchen den nächsten Quartalsabschluss zu bewältigen und auf keinen Fall um einen Blick über den Tellerrand hinaus!

    Wie vielversprechend es ist, aus „Krankheit eine Waffe“ zu machen, bzw. wie schlagkräftig diese dann sein wird, ist schwer abzuschätzen — sicher ist aber, dass der Gesundheitswahn eine perfekt geschmierte und sehr sehr erfolgreiche Waffe darstellt.

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