Über die Radikalität des privaten Autos mit Benni vom Volksentscheid Berlin Autofrei

60 Prozent der Verkehrsfläche in der Stadt gehören dem Auto. Das ist nicht nur extrem viel Platz, sondern auch unglaublich teuer – und zwar für uns alle. Denn während ein Auto die Besitzer:innen ungefähr 5.000 Euro im Jahr kostet, hat ein Auto ebenfalls hohe gesellschaftliche Kosten. Darunter sind über 400 Euro für Klimaschäden jährlich. Der Volksentscheid Berlin Autofrei legt hier den Finger in die Wunde und möchte nicht nur für weniger Autoverkehr in der Innenstadt sorgen, sondern das gesamte Konzept Stadt neu denken. Er möchte mehr Fläche in der Stadt für andere Zwecke nutzbar machen: Grünstreifen, Fußgängerzonen, Spielstraßen, Aufenthaltsräume.

Wir haben mit Benni Wasmer von Berlin Autofrei gesprochen. Benni selbst hat schon lange Interesse an Stadtplanung und -gestaltung und basisdemokratischen Prozessen. So ist Berlin Autofrei seine politische Heimat geworden. Er sagt: Wir haben ein Recht darauf, unsere Stadt selbst zu gestalten. Ein Gespräch über die Machbarkeit des Vorhabens, über die gerechte Verteilung von Grünfläche in der Stadt und das Aufbrechen von Klischees.

Benni, warum braucht es Berlin Autofrei?

Wir fragen uns, was in der Stadt eigentlich uns gehört und wie wir diesen Raum gestalten. Wollen wir es hinnehmen und zulassen, dass dieser ganze Platz in der Stadt, den wir eigentlich nutzen könnten, vollgestellt wird von Blechkisten, die statistisch gesehen 23 Stunden am Tag rumstehen? – Und für jedes Auto, was länger als eine Stunde am Tag bewegt wird, steht ein anderes Auto eigentlich den ganzen Tag rum. Wir wollen den Aushandlungsprozess wieder anstoßen und sagen, wir diskutieren jetzt mal darüber, wie wir die Stadt eigentlich nutzen wollen.

Und dafür muss Berlin komplett autofrei sein?

Unser Name Berlin Autofrei steht vor allem für eine Vision. In unserem Gesetzentwurf, den wir vorschlagen, steht gar nicht drin, dass ganz Berlin zu einhundert Prozent autofrei werden soll, sondern dass sich das Autofahren eben vor allem auf die fokussieren soll, die darauf angewiesen sind. Für die meisten Menschen in der Innenstadt ist dieses „autofrei“ eigentlich schon Realität. Auch, wenn sie eins besitzen. Denn in Berlin werden Autos so selten genutzt. Die Autos stehen halt rum. Und trotzdem erlauben wir es uns, weil es halt so bequem ist, privat ein Auto zu besitzen. Dieses Privateigentum von Menschen stellt unseren öffentlichen Raum voll, obwohl es in vielen Fällen eigentlich gar nicht gebraucht wird. Und diejenigen, die es brauchen, leiden auch drunter, zum Beispiel das Handwerk oder die häusliche Pflege, weil sie dort, wo sie arbeiten wollen, keinen Parkplatz finden.

Weshalb habt ihr dann den Namen „autofrei“ gewählt, der ja sicherlich – insbesondere im Netz – viel Unmut, Verlustangst und schlicht Polarisierung auf sich zieht?

Wir haben einen Namen gesucht, der unsere Vision vertritt und hinter dem sich Leute versammeln können, die diese Vision teilen. Aber auch hier muss natürlich wieder einen Aushandlungsprozess stattfinden und es müssen sich gesellschaftliche Kompromisse finden. Aber ein Stück weit werden diejenigen, die eine Gesellschaft verbessern wollen, etwas ändern wollen, immer damit leben müssen, dass diejenigen, die auf ihren Privilegien sitzen, damit unzufrieden sind und pöbeln werden. Ich glaube, man muss ein bisschen versuchen, daran zu arbeiten, zu entlarven, wem hier eigentlich ein Vorwurf gemacht wird. Wenn unsere Vision von einem stark autoreduzierten Berlin als radikal bezeichnet wird, dann kommt das ja eigentlich aus einer Position oder aus einer Realität heraus, die selbst total radikal ist.

Spannend. Wie meinst du das?

Es herrscht in Berlin eine radikale Abhängigkeit: Alle anderen Verkehrsmittel und alle Aktivitäten im Alltag, die im öffentlichen Raum stattfinden, müssen sich dem Auto unterordnen. Kinder können nicht auf den Straßen, sondern müssen auf eingezäunten Spielplätzen spielen. Wenn ich in ein Erholungsgebiet will, muss ich in den nächsten Park, anstatt vor der Haustür frische Luft atmen zu können. Das ist flächendeckend so und deshalb total radikal. Vor dem Hintergrund ist zu sagen: Wir wollen mehr Lebensqualität, mehr Sicherheit, mehr Klimaschutz, irgendwie gar nicht mehr so radikal. Sondern vielleicht einfach etwas Menschliches.

Der Volksentscheid Berlin autofrei ist nicht in erster Linie eine Fahrrad-Initiative, obwohl die Initiator:innen natürlich die Priorisierung von Fahrrädern im Stadtverkehr unterstützen.
Sondern der Volksentscheid Berlin autofrei denkt alle Mobilitätsformen der Stadt mit, denn alle Berliner:innen haben unterschiedliche Bedürfnisse.

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Bei Verkehrswende denken viele zunächst an Lastenrad-Prenzlberg-Muttis. Vielleicht ist euer Ansatz doch zu radikal, um flächendeckend akzeptiert zu werden?

Erstmal vorweg: Ich finde dieses Bild von den Lastenrad fahrenden Prenzlberg-Muttis total schrecklich. Wenn ich mit Menschen auf der Straße über eine Autoreduzierung spreche, bin ich immer wieder erstaunt, obwohl ich nicht erstaunt sein sollte, wie viel Zuspruch von wie vielen unterschiedlichen Menschen wir bekommen. Wir alle leiden ja unter den vielen Autos, egal in welchem Bezirk und mit welchem Budget. Denn diejenigen, die darauf angewiesen sind, leiden unter dem ständigen Stau und der vollgepackten Stadt. Und gleichzeitig ist es eine soziale Frage: Mieten sind dort oft günstiger, wo der Verkehr und damit der Lärm und die Feinstaubbelastung vor der Tür größer sind.

Und dennoch zwingt sich mir diese soziale Frage auch irgendwie auf: Zonen, die autofrei sind, gibt`s auf der Friedrichstraße, in Friedrichshain und im Bergmannkiez. Wieso nicht auf der Müllerstraße?

Das ist eine gute Frage und schwer zu beantworten. Vielleicht geht sie so ein wenig in die gleiche Richtung wie die Frage, weshalb Fridays For Future so mittelständisch geprägt ist. Ich glaube, die zugrundeliegende Frage wäre: Wer wird politisch aktiv? Wer hat Bildungsressourcen, zeitliche Ressourcen und mentale Ressourcen, um sich zu engagieren? Wer kein gutes deutsch spricht und viele Behördengänge hinter sich bringen muss, hat vielleicht nicht die gleichen mentalen Ressourcen als jene, die das nicht tun müssen. Und bei den verkehrsberuhigten Straßen spielt auch eine Rolle, dass – grob gesagt – nur die Leute in der Politik aktiv werden, für die auch Politik gemacht wird.

Wie setzt ihr euch dafür ein, dass eure Initiative für weniger Autos in Berlin nicht auch nischig oder klientelpolitisch ist?

Wir setzen uns als Ünterstützer:in der Volksinitiative „Demokratie für alle“ für mehr demokratische Partizipation ein, so zum Beispiel für ein Wahlreicht ab 16, für ein Wahlrecht für all jene, die schon länger hier wohnen – unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft – und für eine digitale Unterschriftensammlung bei Volksentscheiden. Wir wollen nämlich genau das nicht: Eine Verkehrswende nur dort schaffen, wo eh schon Privilegierte wohnen. Damit würden wir für mehr Ungerechtigkeit sorgen und was wir möchten, ist das Gegenteil. Wir machen Verkehrswende für alle und schaffen nicht nur grüne Oasen, so wie es vielleicht die Grünen derzeit tun.

Apropos die Grünen. Im Berliner Wahlkampf haben wir gesehen, dass das Autothema noch immer stark polarisiert. Die eine Hälfte der Stadt wählt grün, die andere schwarz.

Eigentlich sind sich die Parteien in allen Punkten mehr oder wenig einig, sogar eine CDU und FDP: Wir brauchen mehr nachhaltige und klimafreundliche Mobilität. nachhaltige Mobilität brauchen, mehr klimafreundliche Mobilität. Aber mit Einigkeit lässt sich kein Wahlkampf mehr. Wahlkampf lässt sich gewinnen, indem man polarisiert, indem man Symbole hochhält. Ja, und so wird jetzt Politik gemacht auf dem Rücken von eigentlich notwendigen Inhalten. Und man macht dann Symbolpolitik sowohl für als auch gegen das Auto, anstatt an konstruktiven Lösungen zu arbeiten.

Warum ist die Polarisierung gerade beim Auto so stark?

Weil wir es verpasst haben, rechtzeitig eine Verkehrswende anzugehen, haben sich die Herausforderungen, vor denen wir stehen so aufgestaut, dass manche lieber die Hände in den Schoß legen und weiter machen wollen wie bisher.  Ein Beispiel dafür ist die Autoindustrie in Deutschland, sie hat den Technologiewandeln und eine Diversifizierung ihres Angebots verpasst und wird nun von der Bundesregierung verhätschelt, weil die Verbindungen zwischen ihnen einfach seit Jahrzehnten unglaublich stark sind. Das erzeugt natürlich enorme Spannungen zwischen denen, die einsehen, dass es einen Wandel braucht und denjenigen, die die wenigen abgehängten Profiteure der autofreundlichen Politik schützen wollen.

Was kann ein Volksentscheid vor diesem Hintergrund überhaupt ausrichten?

Die Berliner:innen wünschen sich Veränderungen und wir bieten konkrete Verbesserungsvorschläge an. Nach einer vierjährigen Übergangszeit wollen wir die Autos innerhalb des Berliner S-Bahn-Ringes nur noch zu Gast haben. Und das bedeutet, dass diejenigen, die aufs Auto angewiesen sind, das Handwerk, die häusliche Pflege und in der Mobilität eingeschränkte Menschen so weitermachen wie bisher. Mit dem Unterschied, dass dann weniger Autos auf den Straßen sind, es weniger Stau und Co2-Ausstoß gibt.

Alle anderen, die nicht auf ihren privaten PKW angewiesen sind, können sich mit ihrem privaten PKW noch zwölfmal pro Kopf und Jahr in Berlin bewegen. Das heißt, eine vierköpfige Familie kann 48 mal im Jahr fahren. Das ist fast einmal pro Woche Abseits dessen müssen sie einen privaten Stellplatz für Ihr Auto finden oder, was eigentlich schon die Realität für die meisten Leute sein könnte, ihr Auto verkaufen und auf Carsharing zurückgreifen, wenn sie es wirklich brauchen. Mit diesem konkreten Gesetzentwurf können die Berliner:innen direktdemokratisch abstimmen, ob sie diese Verkehrswende möchten oder nicht.

Wie kann Berlin autofrei also praktisch umgesetzt werden?

Unsere Vorstellung ist, dass das im ruhenden Verkehr überprüft wird. Das heißt, wenn ich ein Auto benutzen will, weil ich zum Beispiel umziehen muss oder mein Schlagzeug transportieren will, dann gibt es einen Online-Account, bei dem ich mich anmelde und mir einen Akut-Pass für 24 Stunden buchen kann. Den lege ich mir an die Windschutzscheibe und er kann dort dann überprüft werden. Grundsätzlich soll das ähnlich laufen wie heute ja auch schon Parktickets überprüft werden. Wenn dann Und diejenigen, die auf mehr Mobilität mit dem Auto angewiesen sind, die haben gesonderte Pässe. Langfristig ist das nach einiger Zeit weniger Verwaltungsaufwand und günstiger als bisher: Straßen müssen nicht so häufig erneuert werden, es gibt weniger Unfälle…

Mit welcher Verbesserung für die Innenstadt rechnet ihr?

Es ist sehr schwer, da konkrete Zahlen zu nennen. Wir rechnen mit zwischen 40 bis 60 Prozent weniger Autoverkehr. Es gibt gute Leute, die in der Verkehrsforschung aktiv sind und schon an Modellierungen arbeiten.

Wie geht es ansonsten weiter?

Die erste Sammelphase haben wir ja schon hinter uns. Wir haben von 25.000 notwendigen über 50.000 Unterschriften gesammelt. In einer ersten Runde hat der Senat auf unseren 40 Seiten Gesetz einen juristischen Angriffspunkt gefunden, weswegen jetzt das Landesverfassungsgericht unser Gesetz auf Umsetzbarkeit überprüfen muss. Das kann noch ein wenig dauern. Das heißt aber auch: Wenn das erfolgreich ist, dann kann da erst mal keiner dran rütteln. Wir nutzen die Wartezeit, um zu wachsen, uns zu professionalisieren, unsere Strukturen zu stärken und auch weiterhin das Thema in der Öffentlichkeit zu diskutieren und es präsent zu halten. Und ich glaube, es wirkt. Die Menschen wollen ihren öffentlichen Raum selbst gestalten.

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