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Für Teilhabe von Menschen mit Behinderung und eine Demokratie ohne Barrieren

Ari von Demokratie ohne Barrieren auf einem Portraitfoto im Wald

Dominik – auch Ari genannt – ist Mitgründer und Vorstandsvorsitzender von Demokratie ohne Barrieren, einem Verein für gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung in Thüringen. Ihr vorangestelltes Ziel ist nicht zwingend politische Teilhabe, wie es in vielen ähnlichen Vereinen üblich ist, sondern ganz konkret: Menschen mit Behinderung dazu empowern, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Demokratie ohne Barrieren ist unabhängig und hat das Ziel, unterschiedliche Vereine, initiativen, Organisationen und Einzelpersonen zu bündeln, um gemeinsam voneinander zu lernen und stärker zu werden.

Mit Ari haben wir über den Zustand in den Werkstätten, in denen behinderte Menschen häufig arbeiten, gesprochen und darüber, was Menschen mit Behinderung nach den Wahlen im Herbst erwartet.

Wie geht es dir, wenn du auf das wichtige Wahljahr 2024 und die allgemeine politische Situation im Bundesland schaust?

Die politische Lage ist natürlich schwierig. Im letzten Jahr im Sommerinterview hat sich die AfD sehr negativ über Menschen mit Behinderungen geäußert. Wir wissen natürlich nicht, wie sich alles entwickelt, wir wollen da auch nicht spekulieren. Aber natürlich macht uns die derzeitige Situation sehr große Angst. Die derzeitige Koalition wird nicht noch einmal so zustande kommen. Menschen mit Migrationshintergrund werden angegriffen, Menschen mit Behinderung genauso. Natürlich ist ein Ministerpräsident weniger mächtig als ein Kanzler. Aber dennoch spiegeln die Wahlergebnisse auf Landesebene unsere Gesellschaft wider, die Länder haben ja ein wichtiges Stimmrecht im Bundesrat. Wir fragen uns natürlich, wo wir da ansetzen können. In den Ballungsräumen können wir leichter aufklären.

Kannst du uns ein Bild zeichnen, wie es politisch für Menschen mit Behinderung abseits der Ballungsräume aussieht?

Mein derzeitiges Projekt, an dem ich arbeite, hat tatsächlich den ländlichen Raum als Schwerpunkt, der eben deutlich weniger progressiv ist als in den Städten. Auf dem Land sind mit der CDU die konservativen aber auch die Stimmen rechts davon sehr laut. Das spiegeln ja Studien auch wider. Viele Menschen – ob mit Migrationsgeschichte oder mit Behinderung – fühlen sich auf dem Land häufiger allein gelassen. Wir möchten hier unterstützen, aber es ist auch einfach deutlich schwieriger, hier als Verein fuß zu fassen. Unser Hauptsitz ist in Weimar, hier ist die Arbeit deutlich leichter. Trotzdem arbeiten wir daran, die Themen Behinderung, Inklusion und Barrierefreiheit auch in die ländlicheren Gebiete zu bringen, die hier einfach noch nicht so präsent sind. Mit mehr Ressourcen könnten wir mehr erreichen.

An welcher Stelle genau?

Natürlich wollen wir so viel wie möglich erreichen – auch noch vor den Wahlen im Herbst – aber ich weiß aus Erfahrung in der Migrationsarbeit auch einfach, wie langsam die Mühlen wirklich mahlen. Deshalb ist es für uns so wichtig, eine starke Basis von vielen unterschiedlichen Vereinen zu schaffen, die sich bei uns engagieren und darüber auch Kontakte zu Politiker:innen herstellen können. Und um möglichst viele Leute zu erreichen, versuchen wir unter anderem, viel Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben.

Habt ihr mit der Strategie Erfolg?

Als Verein sind wir erst sechs Monate alt. Aber wir sind sehr schnell gewachsen und haben bereits viel Zuspruch erhalten. Sogar so viel, dass sich viele Ministerien bereits gemeldet haben, um mit uns zusammenarbeiten und weil sie unsere Expertise haben wollen. Dadurch, dass unser Vorstand und unsere Vereinsmitglieder aus Menschen mit Behinderung bestehen, bringen sie natürlich unglaublich viel praktische Expertise aus vielen unterschiedlichen Bereichen mit unterschiedlichen Netzwerken mit. Es ist natürlich immer schön, wenn man schnell wächst, weil das auch zeigt, dass es vorher eine Lücke gab, die nicht gefüllt wurde. Wir schaffen es anscheinend, einem Bedarf gerecht zu werden.

Was für ein Erfolgszeichen, dass Ministerien auf euch zukommen. Eigentlich wolltet ihr aber nicht politisch arbeiten..?

Wir haben diesen Verband mit dem Wunsch gegründet, einen Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen. Das schließt natürlich nicht aus, dass wir mit der Politik reden. Es ist natürlich wichtig, politisch gehört zu werden. Das reichtt von Finanzierung bis hin zu Gesetzesentwürfen, die die gesellschaftliche Teilhabe dann fördern. Aber unser Schwerpunkt sind allen voran die Menschen mit Behinderungen. Wir möchten, dass sie eine Anlaufstelle haben, dass sie gehört und gesehen werden – und eben teilhaben können, wir möchten, dass Aktive und andere Vereine auf uns zukommen können. Wir möchten uns und sie vernetzen und eine Zusammenarbeit gewährleisten, das ist in diesen Zeiten enorm wichtig.

Ihr seid ein junger Verein, seid durch diesen komplexen Gründungsprozess gegangen und auf einmal interessieren sich Ministerien für das Thema, nachdem ihr die Infrastruktur bereitgestellt habt. Macht dich das auch ein wenig wütend?

Ganz am Anfang hatte ich den Gedanken, ob sie uns vielleicht ausnutzen. Mittlerweile sehe ich das offizielle Interesse aber eher als großen Nutzen. Ich bin regelmäßig in Räumen unterwegs, in denen sich Menschen nicht allzu sehr mit dem Thema Inklusion beschäftigen. Als Experte dann in solche Räume zu kommen, ist immer ein wenig schwierig. Aber es kann eben auch eine große Chance sein, anderen Menschen das Thema näherzubringen. Wir haben diese Kraft und das Privileg, für unsere Rechte zu kämpfen und daran zu arbeiten, dass Türen geöffnet werden. Viele andere Interessensvertretungen müssen häufig jahrelang dafür arbeiten, dort einen Fuß in die Tür zu bekommen, wo Entscheidungen getroffen werden. Dass das bei uns jetzt so schnell ging, ist etwas Tolles.

Für welche Art der Verbesserung für Menschen mit Behinderung kämpft ihr dann in diesen Kreisen? Zum Beispiel mit Blick auf die Werkstätten.

Diese Werkstätten sind nicht die Lösung für unsere Gesellschaft. Die Menschen dort sind separiert, das ist gar keine wirkliche Inklusion. Was mir von den Mitarbeitenden aus den Werkstätten erzählt wird, ist, dass sie dort Arbeit leisten, die für unsere ganze Gesellschaft wichtig ist. Obwohl dort viel hergestellt und hart gearbeitet wird, verdienen die Menschen dort sehr wenig. Es wirkt auf mich leider häufig so, als würde man die Menschen dort ausnutzen. Das hat mit Inklusion für mich nicht wirklich viel zu tun. Inklusion bedeutet für mich, dass Menschen mit Behinderungen den gleichen Platz in der Gesellschaft haben wie alle. Das heißt für mich nicht, dass man die Menschen irgendwo am Rande der Stadt außerhalb des Sichtfeldes aller für niedrige Löhne arbeiten lässt.

Wie müsste es für Menschen mit Behinderung besser gemacht werden?

Es gibt bei uns in Thüringen einige Cafés, in denen vor allen Dingen Menschen mit geistiger Behinderung arbeiten, unter der Anleitung einer Person. Das funktioniert sehr gut und ist auch eine Begegnungsstätte für Menschen mit und ohne Behinderung. Deshalb gibt es für mich keinen wirklichen Grund mehr, die Werkstätten so, wie sie sind, weiterlaufen zu lassen. Es muss ein neues Konzept her, mit wirklicher Inklusion.

Wenn das so einfach geht: Weshalb haben wir dann diese Werkstätten noch? Wie kommt man von dem einen zum anderen Modell?

Die Werkstätten existieren noch, weil es leicht ist, sie zu haben. Irgendwann wurden sie eingeführt, jetzt gibt es diese Infrastruktur und deshalb ist es einfach, sie zu behalten.
Sie sind fest verankert und andere Unternehmen sind auf die dort hergestellten Produkte angewiesen. Es ist ein kompliziertes und etabliertes System. Ich denke, viele trauen sich nicht, jetzt einen anderen, neuen, besseren Weg zu gehen. Vielleicht auch deshalb, weil die Stimmen, die sich für eine Veränderung einsetzen, noch nicht laut genug sind.

Wo könnte es Hürden geben, wenn man das System verändern wollte?

Wenn Menschen in ein Unternehmen eingegliedert werden müssen, braucht es ja wiederum Personal, das sie anleitet. Würde man die Ressourcen bereitstellen, wäre das machbar. Aber dafür ist das Thema einfach noch nicht genug in der Breite der Gesellschaft angekommen. Ich glaube auch nicht, dass es aus bösem Willen keine Veränderung gibt – weder in den Unternehmen, noch in den Werkstätten. Sondern es wird einfach nicht weitergedacht, dass man das gesamte Konzept auch anders angehen könnte.

Was wären erste Schritte, um ein Umdenken zu erreichen?

Ich freue mich immer sehr, wenn man mit Betroffenen redet – sowohl in den Werkstätten, als auch mit solchen wie uns, die wir in Beiräten und Vereinen aktiv sind. Wir sind aktiv in Interessensvertretungen, wir wollen Wandel voranbringen. Uns zuzuhören ist ein wichtiger Schritt. Denn natürlich haben betroffene Menschen eine ganz andere Sicht auf Themen als die, die nicht betroffen sind. Dann könnte man gemeinsam mit allen Beteiligten in Politik, Unternehmen und mit Betroffenen neue Konzepte entwickeln. Wichtig ist dabei eben auch, mit der Wirtschaft zu sprechen und ihnen die Angst zu nehmen, dass da eine größere Belastung auf sie zukommen würde, wenn sie jemanden mit Schwerbehinderung einstellen würden. Natürlich müsste man dabei auch über Förderungen und Anpassungen sprechen.

Ich kenne keine größeren Unternehmen, die das bereits machen. Natürlich kann es sein, dass es in einem mehr gewinnorientierten und kaufmännischen Bereich komplexere Konzepte als im Café in Weimar braucht. Aber diese lassen sich ja erarbeiten. Daraus lassen sich wiederrum Modellprojekte schaffen, die Konzepte verbessern und damit andere Unternehmen anwerben.

Du hast gesagt, dass du ein wenig mit Sorge auf das kommende Jahr schaust. Worauf freust du dich aber in diesem Jahr mit einem neugegründeten Verein und in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung?

Wir planen viele Vernetzungsveranstaltungen. Ich freue mich, viele engagierte Leute kennenzulernen. Wir planen eine Podiumsdiskussion, bei der die Teilnehmenden Menschen mit Behinderung sind. Dort können sie Teilnehmenden aus Menschen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft auf einer Bühne sagen, welche Probleme sie als Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft haben. Sie können sie offen ansprechen und einen Austausch ermöglichen. Gleichzeitig freuen wir uns eben sehr auf die Kunstausstellung, die in der Planung ist, denn in diesem Jahr ist unser Arbeitsschwerpunkt Kunst und Teilhabe. In einem Projekt wollen wir ermöglichen, dass Menschen mit Behinderung Kunst schaffen können. Wir bieten Ausstellungsräume in ganz Thüringen an, damit diese Arbeit auch gesehen werden kann.

Mehr zum Thema Barrierefreiheit und Teilhabe gibt es zum Beispiel hier, mehr zu Demokratie im ländlichen Raum hier.

CategoriesAllgemein
  1. Schark says:

    Arbeitgeber müssen je nach Mitarbeiterzahl einen bestimmten Anteil schwerbehinderter Mitarbeiter beschäftigen. Die Regelung in § 154 Abs. 1 SGB IX sieht für private und öffentliche Arbeitgeber vereinfacht Folgendes vor:

    Arbeitgeber mit 20 bis 39 Arbeitsplätzen müssen einen schwerbehinderten Menschen beschäftigen.
    Arbeitgeber mit 40 bis 59 Arbeitsplätzen müssen zwei schwerbehinderte Menschen beschäftigen.
    Arbeitgeber mit 60 und mehr Arbeitsplätzen müssen auf wenigstens fünf Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen beschäftigen.

    Wenn Arbeitgeber die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Mitarbeiter nicht beschäftigen, müssen sie für jeden unbesetzten Arbeitsplatz eine Ausgleichsabgabe bezahlen (§ 160 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).

    Ein Eingliederungszuschuss kann als Zuschuss zum Arbeitsentgelt in Anspruch genommen werden (§ 90 SGB III). Der Zuschuss beträgt bis zu 70 Prozent des Gehalts und wird im Regelfall bis zu 24 Monaten gewährt.

    Quelle: https://www.business-wissen.de/artikel/behinderte-mitarbeiter-einstellen-die-vorteile-fuer-arbeitgeber
    Achtung: Das erste Drittel des Artikels kommt eher zynisch daher; aber so ticken Arbeitgeberinnen und -geber vermutlich ..?

  2. Pingback:Ableismus tötet noch immer – über Kunst und das Crip Movement - Reversed Magazine

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