Na, schon das neue Weiße Haus-Foto des (designierten) US-Präsidenten gesehen, das aussieht wie sein Polizeifoto? Oder die Nachrichten darüber verfolgt, wie tief Elon Musk seine Finger in der deutschen Medienlandschaft und im Wahlkampf hat? Und schon die Aussagen der ehemaligen CDU-Ministerin Klöckner gelesen, dass man nicht AfD wählen müsse, weil man mit der CDU das gleiche bekäme? Vorsicht, Paraphrase, aber an der Absurdität der Aussage haben wir nichts geändert. Oder die Instagram-Videos von Markus Söder, auf denen er Pullis mit seinem eigenen Gesicht trägt und Menschen zum Döneressen einlädt? Und was ist mit der #noAfD-„Kanzler“-Kandidatin Weidel, die Adolf Hitler einen Sozialisten nennt und „Remigration“ kämpferisch in ihrer Parteitagsrede betont – dieses Konzept, das im vergangenen Jahr noch zu so viel Aufschrei geführt hat. Oder die politischen Attacken gegen unser Sozialsystem, wie Vorstöße, die Bezahlung des ersten Krankentages auszusetzen. Und die Klimakrise ist hier nicht mal erwähnt.
Wann hat die Welt eigentlich das letzte Mal nicht so sehr geschmerzt? Ist es gerade wirklich besonders schlimm, oder sind wir einfach nur immer und immer schneller und mehr und aktueller informiert? Letzteres wohl auch, aber in Umbruchszeiten leben wir trotzdem.
Kein Ende der Geschichte
Eigentlich ist es das Gegenteil des Endes der Geschichte, wie es Francis Fukuyama im Jahr 1989 umstritten analysiert hat. Zwar hat auch damals niemand wirklich geglaubt, dass die Erde nun zum Paradies wird und Krieg und Krise hinter uns liegen. Aber die These war dennoch, dass „Die Demokratie […] sich deshalb als Ordnungsmodell durchgesetzt [habe], weil sie das menschliche Bedürfnis nach sozialer Anerkennung relativ gesehen besser befriedige als alle anderen Systeme“. Nun haben wir eine Zeit vor uns, in der wir Regeln und Recht, die wir seit Jahrzehnten erstritten glaubten, wieder verteidigen müssen. Menschenrechte werden als „links“ bezeichnet und jedwede kritische Einordnung zu AfD, Trump und co als „Unterdrückung der freien Meinungsäußerung“ verschrien. Diese destruktiven Diskurse, die das Gesagte und Argumentierte in Frage stellen, anstatt sich dem Argument inhaltlich zu stellen und darauf zu reagieren, sind an der Tagesordnung.
Die Zauberworte heißen Desinformation, Diskursverschiebung und Turbokapitalismus
Desinformation ist ein riesiges Problem – das wissen wir alle. Träger der politischen Bildung geben uns eine Strategie nach der nächsten an die Hand, wie wir mit rechtsoffenen Großonkels am Kaffeetisch diskutieren sollten. Während das sicherlich wichtig ist, löst es aber das eigentliche Problem nicht, das wir haben: Desinformation hat System. Und das seit Jahrzehnten. Erst war es die Tabaklobby, seit mindestens den neunziger Jahren ist es die Anti-Klimawandel-Lobby, die die Wahrheit systematisch und strukturiert leugnen, verdrehen und als Lüge hinstellen. Diese Lobbys sind industriegeförderte Stiftungen, Think Tanks und Werbungsschalter, die für uns unvorstellbare Summen dafür kassieren, der Welt zu erzählen, sie brenne nicht. Im deutschsprachigen Raum ist es das Eike-Institut, in den USA die Heartland-Foundation, die Plakate drucken, mit Bots das Internet überschwämmen und pseudowissenschaftliche Studien publizieren – damit die Shells, Exxons und co dieser Welt ihnen weiter Geld geben.
Je mehr Geld in die Unwahrheiten gesteckt wird, desto häufiger können sie publiziert werden und desto mehr Menschen bekommen diese Dinge wiederholt vorgesetzt. Der Diskurs verschiebt sich weiter nach rechts. Kurz gesagt klingt deshalb irgendwann die SPD wie die CDU und die CDU wie die AfD.
Kämpfen gegen das System: Das Informationsdilemma
Natürlich können wir mit unserem Großonkel am Tisch diskutieren und ihn eventuell sogar überzeugen. Denn das ist leichter, als gegen ein milliardenschweres und unsichtbares System anzukämpfen – letzteres für eine Einzelperson mit durchschnittlichen Ressourcen schlicht unmöglich. Die Ressourcen sind aber die Crux. In einer Welt, in der immer weniger mehr Menschen prozentual immer mehr besitzen, verteilen sich auch Macht und Einfluss auf die wenigen – auf diejenigen mit Geld. Neben die rechten und tiefkapitalistischen umweltschädlichen Firmen gesellt sich nun aber ein neuer Schlag Milliardäre: Was die Musks und Zuckerbergs von den Ölmultis unterscheidet, ist, dass sie nicht nur auf die Inhalte Einfluss nehmen, die auf unterschiedlichen Plattformen publiziert werden – sondern ihnen gehören die Plattformen.
Auch die „klassischen“ Medien sind natürlich nicht frei von politischem Einschlag. Wer Welt, Zeit, BZ, Spiegel oder Süddeutsche kauft, tut dies zumindest auch, weil dort bestimmte Werte in den Inhalten erkennbar sind. Aber was, wenn die Inhabenden der Plattformen sich der Diskursverschiebung bemächtigen und behaupten, bei ihnen gäbe es noch „freie Meinungsäußerung“, während sie im Hintergrund gezielt das Gegenteil tun?
Unsere Abhängigkeit von Milliardären
Das tut weh: Nicht nur die Produkte, die wir kaufen und konsumieren, sind von Firmen abhängig, nicht nur die Werbung, die große Leugnerlobbys schalten, sondern auch unsere tägliche und persönliche Kommunikation. Wir rezipieren Nachrichten in den Sozialen Medien, wir finden internationale NGOs und tauschen uns permanent auf Instagram, tiktok, Whatsapp und co in Gruppen aus. In Kriegs- und Krisenzeiten sind diese Plattformen für die Menschen unabdingbar geworden. Nun regulieren und de-regulieren Zuckerberg und Musk politische Inhalte, wie es ihnen gefällt, sperren politische Accounts und Nutzende und schaffen Fakten-Checks ab. Sie beugen sich vor den Politiker:innen, die wiederum nur sich selbst im Sinn haben.
Es ist ein absurdes Konstrukt, in dem Geld, Macht und Informationsfreiheit so eng verbunden und vernetzt sind, dass wir abhängig von den Plattformen sind, ohne dass wir die Einsicht darüber haben, welche Entscheidungen wie getroffen werden. Politik, Medien und große internationale Konzerne – denn nichts anderes sind X, Meta und Bytedance – schieben sich die Macht so zu, wie sie sie brauchen.
Und was machen wir nun mit der Welt, die sich immer und immer weiter polarisiert?
Wir machen natürlich weiter. Auch wenn es mühsam ist, mit Weltschmerz gegen Desinformation, Diskursverschiebungen und Multimilliardäre zu kämpfen. Was sollen wir auch sonst tun? Sich zu vernetzen bleibt und wird immer wichtiger. Und die Medien darauf zu stoßen, dass sie eine Verantwortung haben – zumindest diejenigen, die sich noch nicht von Milliardärsseite haben kaufen lassen. Was wir auch gelernt haben: Wir müssen uns unabhängiger von Plattformen machen, die nicht unsere Vernetzung und Austausch im Sinn haben, sondern Profit. Und dann geht’s weiter: Das Ende der Geschichte ist noch lange nicht erreicht.