In Deutschland leben wir in einem Rechtsstaat, können wählen gehen und wissen um das Konzept der Gewaltenteilung. Diese Prinzipien sind Teil von einem Katalog an Kriterien, die gemeinsam unser demokratisches Miteinander sichern. Ein Grundpfeiler einer demokratischen Grundordnung ist darüber hinaus aber ein Aspekt, der uns tagtäglich begleitet: Eine lebendige Zivilgesellschaft. Wir können uns äußern, wenn uns etwas nicht passt. Können ins zusammenschließen, um gemeinsam auf ein anderes Miteinander, auf Veränderung hinzuwirken. Mehr denn je ist dieser Aspekt in Gefahr, unsere Zivilgesellschaft unter Druck. Weltweit wird zivilgesellschaftliches Engagement angegriffen und auch in Deutschland haben wir in diesem Jahr einen Stimmungswechsel gegenüber zivilgesellschaftlichem Engagement erlebt. Und die CDU/CSU-Fraktion hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die gesellschaftliche Stimmung gegenüber Nicht-Regierungs-Organisationen ins Negative verschoben hat. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie – mit erschütternden Belegen. Damit schwächt die CDU maßgeblich unsere Demokratie. Aber von vorn.
Die Rolle der Zivilgesellschaft für die Demokratie
Der Varieties of Democracy (V-Dem) Report 2025, eine der umfassendsten Studien zu demokratischer oder autokratischer Staatsform, schreibt: „Eine lebendige Zivilgesellschaft spielt eine Schlüsselrolle im demokratischen Prozess, indem sie die Regierung gegenüber der Öffentlichkeit zur Rechenschaft zieht und die öffentliche Debatte anregt.“ Im aktuellen Report steht auch, dass zivilgesellschaftliche Organisationen derzeit weltweit angegriffen werden. Mit Blick auf alle Kriterien, die eine Demokratie ausmachen, ist die Zivilgesellschaft am dritthäufigsten von Angriffen betroffen. „Die bevorzugte Waffe von Autokraten ist die Zensur der Medien, gefolgt von der Untergrabung von Wahlen und der Zivilgesellschaft“.
Die CDU-/CSU-Fraktion und die „Kleine Anfrage“
Am 24.02.2025 hat die CDU-/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag eine „Kleine Anfrage“ gestellt. Eine Kleine Anfrage ist ein demokratisches Kontrollwerkzeug der Fraktionen, um die Ministerien zu bestimmten Themen zu befragen. Klein sind die Anfragen dabei in der Regel nicht, sondern umfassen gern auch eine dreistellige Anzahl an Fragen. So auch in diesem Fall: Die CDU-/CSU-Fraktion fragt in ihrer Anfrage aus dem Februar nach der „politischen Neutralität staatlich geförderter Organisationen“. Das ist erstmal ihr gutes Recht – gemeinnützige (also steuerbevorteilte Organisationen) sind limitiert, was ihre politischen Äußerungen betrifft. Beispielsweise dürfen sie nicht klar bestimmte Parteien über anderen bevorzugen. Die CDU hat sich im besagten Fall deshalb angegriffen gefühlt, weil in den Demokratieprotesten aus dem Januar 2025 auch Slogans und Plakate zu lesen waren, die die CDU explizit kritisieren. Das dürfen Personen machen – die CDU argumentiert aber, dass es gemeinnützige zivilgesellschaftliche Initiativen nicht dürfen.
Das Ausmaß der „Kleinen Anfrage“
BUND, Omas gegen Rechts, neue deutsche Medienmacher*innen – die CDU-/CSU-Fraktion fragt die Regierung nach einem breiten Spektrum zivilgesellschaftlicher Organisationen, deren Finanzen und dem politischen Einfluss. Alles hochgradig suggestiv und – und hier wird es so richtig problematisch – unter der Reproduktion von Narrativen von Rechtsaußen. So zitiert die Fraktion in der Anfrage die Welt und deren Artikel über den vermeintlichen „NGO Deep State“ – ein Narrativ, das maßgeblich vom rechtsaußen-Portal NIUS gestreut wurde. Nun hat der Maecenata-Think-Tank eine neue Studie veröffentlicht, die zeigt: Die CDU-/CSU-Fraktion hat in ihrer kleinen Anfrage das Narrativ so salonfähig gemacht, dass seitdem die gesellschaftliche und mediale Stimmung gegenüber der aktiven Zivilgesellschaft gekippt ist – zumindest (zunächst) im digitalen Raum.
Fakten aus der Studie:
- Die Kleine Anfrage der CDU-/CSU-Fraktion fungierte als entscheidender Schlüsselmoment.
- Die Vorstudie zeigte bereits: Vor Februar 2025 wies nur eins von 25 YouTube-Videos einen diffamierenden Stil auf; in der Suche vom Juni 2025 stellten 19 von 25 Videos NGOs in einem negativen Licht dar.
- Von 155 Posts von NIUS zu NGOs und Zivilgesellschaft waren 153 negativ, was einem Anteil von 99 Prozent entspricht. Mit 155 Posts erstellt NIUS am meisten zum Thema.
- Julian Reichelts Posts (48 Stück) zu NGOs sind zu 100 Prozent negativ gegenüber der aktiven Zivilgesellschaft.
- Auch die AfD erreicht 100 Prozent negative Posts zur Zivilgesellschaft (33 Stück).
- Der durchschnittliche Anteil negativer Posts auf Social Media von zehn ausgewählten Akteur:innen, die sich negativ zu NGOs äußern, liegt bei 93 Prozent.
- Das neue, dauerhaft asymmetrische Verhältnis von negativen zu positiven/neutralen Diskussionsbeiträgen über NGOs ab dem Frühjahr 2025 beträgt nun 2:1 (zuvor ca. 1:1).
Zivilgesellschaft schützen statt schwächen
Die systematisch genutzten Narrative zur Delegitimierung von NGOs sind: Staatliche Abhängigkeit/fehlende Unabhängigkeit, Undemokratischer Machteinfluss, Ökonomische Interessen und fehlende Transparenz. All diese Aspekte lassen sich logisch entkräften. Schließlich sind zivilgesellschaftliche Organisationen – die häufig als gemeinnützig anerkannt sind – Zusammenschlüsse aus Menschen, die auf einen Missstand aufmerksam machen wollen. Sie wollen eine gesellschaftliche und politische Veränderung erwirken. Ihre Gemeinnützigkeit wird in aufwendigen Prozessen streng überprüft. Es ist eine politische und gesellschaftliche Aufgabe, diese Menschen und Initiativen zu schützen, weil sie die Vielfalt der Gesellschaft schützen. Wenn nun eine politische Partei oder Fraktion an der Delegitimierung maßgeblich beteiligt ist, muss sie sich dem Vorwurf aussetzen, die Demokratie zu schwächen. Insbesondere, wenn sie andererseits dafür bekannt sind, Interessen der Wirtschaftslobby zu vertreten.


