Die NGO Wir packen’s an entstand 2020 in einer Scheune in Bad Freienwalde in Brandenburg. Hier fingen die Gründer:innen Andreas Steinert, Miriam Tödter und Axel Grafmanns an, die ersten Kartons zu packen und Kleidung nach Chios und Lesbos zu schicken. Eine Toilette gab’s nicht, nur die Motivation des schnell wachsenden Freiwilligenteams, anzupacken und zu helfen. Seitdem ist einiges passiert: Lisa und Mimi nehmen uns im zweiten Teil des Gesprächs mit in ihre ehrenamtliche Arbeit und berichten über Unterstützung auf Augenhöhe und aktuelle Herausforderungen.
Weshalb ist Wir packen’s an, ein guter Ort, um sich für die Belange von Geflüchteten einzusetzen?
Mimi: Ich bin seit etwa vier Jahren bei Wir packen’s an, weil es einer der einzigen Vereine war, in dem es möglich war, Menschen auf der Flucht zu unterstützen. Die großen Seenotrettungsvereine, da kannst du eigentlich gar nicht aktives Mitglied werden. Es sei denn du hast irgendwelche Skills, die bei einer Seenotrettungsmission hilfreich sind. Damals waren wir natürlich noch kleiner bei Wir packen’s an. Aber wie es mit „packen“ im Namen schon steckt – kannst du sehr schnell sehr aktiv bei uns sein und das auf unterschiedlichen Wegen. Mit mehr Ressourcen haben wir in den letzten Jahren auch größere Projekte umsetzen können. In Kairo zu sein, war jetzt für mich die vierte Mission. Ich bin froh, wenn ich einen Haken pro Jahr machen kann und sagen kann: Da habe ich aktiv vor Ort unterstützt.
Wo warst du mit Wir packen’s an bereits?
Mimi: Ich war in Moria, in der Ukraine für eine Scouting Mission, dann in der Türkei wegen des Erdbebens und kürzlich in Kairo. Ich melde mich immer als erstes, wenn es darum geht, irgendwo hinzufahren. Ich freue mich, wenn ich aus der Ohnmacht und aus der Perspektive des Zuschauens und Aushalten Müssens ausbrechen kann, um aktiv zu werden. In Aktion zu gehen hilft und es zeigt dann eben doch, dass man eigentlich immer etwas machen kann.
Und du, Lisa?
Lisa: Ich bin seit 2021 im Verein. Ich war von 2015 bis 2017 aktiv in Griechenland, on and off. 2017 war ich mehrere Monate in Griechenland und habe da eine große Lagerhalle mit Kleiderspenden koordiniert und Verteilungen organisiert. Danach brauchte ich erst mal eine Pause, bin nach Berlin gezogen und war irgendwann wieder bereit, etwas zu machen. Jedoch wusste ich, dass ich nicht wieder vor Ort irgendwohin gehen kann, weil das Leben so zu ungesund war und ich wirklich kaputt zurückgekommen bin. Dann war es meine beste Option, hier etwas zu machen, was ich gut kann, und das war Kleider sortieren. Ich bin ins Lager nach Biesenthal gegangen um zu sortieren, und es war so gut organisiert.
Ich habe jahrelang vor Ort in Griechenland Klamotten in so schrecklichen Zuständen bekommen, Kisten, in denen wirklich Müll drin war. Irgendwann regt man sich so auf. Es ist respektlos und Ressourcenverschwendung. Der ganze Prozess kostet so viel Geld, die Spenden von A nach B zu bringen. Und die Organisationen vor Ort müssen den Müll bezahlen, den sie wegschmeißen. Vor Ort hast du nicht die Zeit, vorzusortieren. Bei Wir packen’s an wird gut sortiert und zwar so, dass es auf die Bedarfe vor Ort angepasst ist. Als ich öfter beim Packen war, aber die anderen gesehen, dass ich Ahnung habe und haben gesagt: “Komm, werd‘ Mitglied im Verein.”
Wie arbeitet ihr bei Wir packen’s an noch?
Lisa: Wir wollen uns auch politisch einmischen und Einfluss nehmen, soweit wie wir können. Wir organisieren Demos, zum Beispiel gegen das Abschiebezentrum in Brandenburg. Wir sind gut vernetzt, sodass wir uns für politische Aktionen mit anderen zusammenschließen können, zum Beispiel mit ProAsyl. Ich war schon zwei Mal im Landtag in Brandenburg, einmal bei der SPD-Fraktion und einmal bei der Linken, um unsere Themen zu platzieren. Und um zu sagen “Wir sind übrigens auch Brandenburger Zivilgesellschaft und solche Themen sind uns wichtig.“ Das versuchen wir. Aber es ist die anstrengendste Arbeit, um ein Ziel zu erreichen. Wenn man eine Kiste packt, dann kommt sie irgendwo an und du kriegst ein schönes Foto, wie sie dort wieder jemand auspackt, das ist belohnender.
Mimi: Natürlich ist es langfristig wichtig, sich politisch einzusetzen, aber wenn du gerade ge-push-backed wurdest und du nur noch mit einer Unterhose im Wald stehst, dann brauchst du erst mal Klamotten. Aber es ist das Mindeste, sich auch politisch immer wieder zu positionieren. Im Verein gibt es Leute, die seit Jahrzehnten auf Demos gehen und dort reden. Die AfD ist jetzt noch präsenter in der Politik. Deshalb ist es umso wichtiger, Stirn zu zeigen und sich dagegen aufzustellen. Besonders als Brandenburger Verein.
Und wie arbeitet ihr konkret vor Ort, dort, wo Unterstützung gebracht wird?
Mimi: Es ist unser Prinzip, dass wir immer mit Organisationen von vor Ort arbeiten, die dort politisch keiner Partei zugehörig sind, sie müssen eine NGO sein und einen ähnlichen Spirit haben wie wir. Also arbeiten wir auch nicht mit stark religiösen Gruppierungen. Im Bestfall haben wir Leute on the Ground, die unsere Augen und Ohren sind, die uns zurückspielen, was vor Ort gebraucht wird. Wenn wir Sachen angeboten bekommen, dann können wir sie fragen: “Wir haben hier drei Paletten von XY, braucht ihr das?” und sie können uns das direkt beantworten. Wir liefern nur das, was gewollt ist. Wir wollen Ressourcen vernünftig nutzen und die Hilfe bieten, die verlangt wird.
Lisa: Wir fahren dann auch nicht einfach irgendwo in Gebiete, in denen wir uns nicht auskennen, und verteilen Dinge. Nein, wir suchen uns dort die Leute, die sich auskennen und versuchen sie zu fördern. Wer sind wir, da einfach aufzutauchen? Deshalb haben wir versucht, so enge Partnerschaften wie möglich zu haben. Inzwischen sind wir in Bosnien, normalerweise auch in Serbien, aber es ist politisch dort gerade einfach schwierig. Wir sind in Kroatien, Griechenland, an der polnischen Grenze zu Belarus, in der Ukraine. Wir machen auch einzelne Transporte nach Rojava. Und dann gab es die einmalige Aktion in der Türkei, als da das Erdbeben war. Ansonsten sind wir noch in Ägypten und Calais.
Was ist vor Ort konstruktive Humanitäre Hilfe – und was nicht?
Lisa: Wir leisten ja in den meisten Fällen wirklich Nothilfe. Unsere Hilfe ist also erfolgreich, wenn wir Leben retten, wenn Menschen nicht frieren oder hungern müssen. Grundsätzlich gilt für menschenwürdige humanitäre Hilfe alles zu versuchen, um Menschen Auswahlmöglichkeiten zu bieten und ihnen ein kleines Stück Selbstwirksamkeit zurückzugeben. Das ist aber nicht immer möglich. Auch starke Abhängigkeit sollte verhindert werden. Grundsätzlich sollte das Ziel jeder humanitären NGO sein, nicht mehr gebraucht zu werden. Nicht hilfreich in der humanitären Hilfe sind white saviour Haltungen, Konkurrenz zwischen Hilfsorganisationen, zu viel Bürokratie, das Ignorieren lokaler Märkte und selektive Hilfe.
Wie setzt ihr das als Wir packen’s an konkret vor Ort um?
Mimi: Uns ist immer total wichtig, dass wir da hin gehen, wo wenig Aufmerksamkeit ist. In Lesbos waren wir auch aktiv, aber eben auch Chios. In Polen und der Ukraine waren wir auch, da war unsere erste Scouting Aktion, wenn wir neue Gebiete erschließen. Wir sind zu zweit hingefahren, haben Sachen eingekauft wie Müsliriegel, und sind dann hingefahren um zu schauen, wie die Lage vor Ort ist. Womit können wir arbeiten, was wird gebraucht? Dann war klar, dass wir den Fokus noch stärker auf Polen/Belarus legen.
Das ist das perverse: In der Ukraine bist du sofort Held:in und in Polen/Belarus hingegen wirst du kriminalisiert. Wenn ein noch schlimmeres Unheil passiert, dann zieht es Spenden. Diese Aufmerksamkeit nutzen wir, um den Fokus gleichzeitig auch auf weniger beachtete Gebiete zu lenken, in denen die Lage für die Menschen aber auch prekär ist. Du kannst nichts dafür, wenn du von etwas Schrecklichem betroffen bist, weil du wohnst, wo du gerade wohnst. Du hast trotzdem jede Hilfe und Unterstützung verdient. Es sind unsere Prinzipien, dass die Menschen im Mittelpunkt stehen. Wir müssen uns immer fragen: Es geht um die Menschen, was können wir jetzt für sie tun? Deshalb müssen wir auch agil bleiben. Wir sammeln das ganz Jahr über Kleiderspenden, wir rufen aber auch gezielt zu Geldspenden auf, dann können wir auch gezielte Einkäufe machen.
Wie ging es dann in Polen weiter?
Lisa: In Polen hat Wir packen’s an zum Beispiel Thermowäsche gekauft und neue Schuhe oder Thermoskannen. Im Balkan kann man gar keine Second Hand Schuhe einführen, die müssen neu sein. Einerseits versenden wir Transporte mit den Spenden, die wir sammeln und in unserem Lager sortieren und andererseits kaufen wir selten gespendete Hilfsgüter vor Ort ein. Es gab eine Phase, in der wir genug Spendengelder bekommen haben, dass wir sogar Projekte durchführen konnten. Das heißt, wir haben mit Partnerorganisationen vor Ort einen Projektvertrag gemacht und sie haben monatlich Geld von uns bekommen. Die Projekte mussten wir letztes Jahr alle stoppen, weil unsere Spenden so eingebrochen sind. Es ging ja nicht nur uns so. Es ging allen zivilgesellschaftlichen Organisationen so. Wir haben die Projekte vorerst gestoppt und nur noch die Transporte durchgeführt. Das Ägypten-Projekt ist das erste seit langem.
Apropos zurückgehende Spenden. Gleichzeitig nehmen Miss- und Desinformation – auch gegenüber den Themen Flucht und humanitärer Hilfe – zu: Wo seht ihr wichtige Stellen, an denen u.a. die Politik ansetzen muss, um zivilgesellschaftliches Engagement und humanitäre Hilfe zu sichern?
Lisa: Ein wichtiger Aspekt ist das Gemeinnützigkeitsrecht. Es gibt Initiativen, die sich dafür einsetzen, dieses zu ändern, unter anderem soll der Passus raus, der es verbietet, politische Arbeit zu machen. Denn es ist zu befürchten – und das passiert auch tatsächlich schon – dass Rechte und die AfD Vereine, die wie wir arbeiten, versuchen zu denunzieren, um ihnen die Gemeinnützigkeit aberkennen zu lassen. Grundsätzlich es auch sehr schwierig für humanitäre Hilfe außerhalb Deutschlands Fördergelder des Bundes zu bekommen. Es gibt einige Fördertöpfe für Integrationsprojekte und viele für Demokratieförderung. Für Vereine wie uns ist es sehr schwierig, öffentliche Förderungen zu bekommen. Wir sind ausnahmslos auf private Spenden angewiesen.
Grundsätzlich ist es aber natürlich wichtig, Gelder für zivilgesellschaftliches Engagement zu sichern und nicht immer weiter kürzen! Auch Medien könnten zur humanitären Hilfe mehr informieren: was ist Nothilfe oder humanitäre Hilfe, wann und wo wird sie notwendig? Auch ein Bezug zu Deutschland kann vielleicht verdeutlichen: in Zeiten von Wetterextremen und Klimakatastrophe kann es jede:n treffen und auch bei uns Menschen in akute Notlagen geraten.
Gibt es etwas, was Zivilgesellschaft, Medien und Politik tun müssen, um rechter Desinformation und Hetze gegen Geflüchtete wirksam etwas entgegenzusetzen und darauf aufmerksam zu machen, dass Rechte daraufhin arbeiten, Vereinen die Gemeinnützigkeit aberkennen zu lassen?
Lisa: Hier bin ich etwas ratlos. Das Wirksamte, was die Politik tun kann, ist rechte Narrative nicht zu übernehmen, rechten Wortschatz nicht übernehmen und sich in den Werten nicht von dem Erstarken der Rechten ins Wanken bringen lassen. Auch für die Zivilgesellschaft gilt, nicht aus Angst vor dem Erstarken der Rechten die eigenen Positionen zu verwässern oder schwerwiegende Abstriche in den eigenen Positionen zu machen. Immer denken und sagen Menschen, dass man etwas in der Geflüchtetenpolitik verändern muss, weil sonst die Rechten zu stark werden. Sie denken nicht selbst, dass die Zahl der aufgenommenen Geflüchteten reduziert werden soll, sie sagen das nur aus Angst vor Rechts und der AfD.