Die Nachrichten der letzten Wochen und insbesondere Tage waren erschütternd. Neben der furchtbaren Tatsache, dass Putins Russland die Ukraine militärisch angreift, machen die medialen Verhältnisse es noch schwieriger, einen geordneten und gesicherten Überblick über die Lage zu bekommen. Fake News werden verbreitet, gezielte pro-russische Propaganda und die Geschwindigkeit, in der sich die Situation verändert, machen eine Berichterstattung sehr schwierig. Während es hier an vielen Medienhäusern berechtigte Kritik gibt – beispielsweise an zu unkritisch übernommenen Aussagen oder Redeausschnitten Putins, wie zu hören im im Deutschlandfunk Politikpodcast vom 22.02. – wird die visuelle Berichterstattung weniger gesprochen.
Krisensituationen sind Ausnahmesituationen, die einen gesonderten Umgang mit (Bild-)Material erfordern. In unserer visuell basierten Online-Welt braucht es qualitativ hochwertiges und unterstützendes Bildmaterial.
Während es in den 1960er Jahren im Vietnamkrieg durch die fortschreitende Fernsehtechnologie möglich wurde, Bildmaterial zu zeigen, hat sich die Kriegsrezeption drastisch verändert. Die schrecklichen Bilder von Menschen, die vor Napalm flüchten, sind uns noch heute in den Schädel gebrannt. Die Menschen im Westen waren erschüttert und gingen zu hunderttausenden auf die Straße. In der Folge wurde bei den nächsten großen Kriegen, so wie dem Golfkrieg, das Bildmaterial extrem zurückgehalten. Ähnlich große Aufschreie blieben aus.
Durch das Internet hat sich die Situation in den letzten zwei Jahrzehnten wieder gewandelt. Auch wenn von offizieller Seite Bildmaterial vorsichtiger eingesetzt wurde und wird, so werden die sozialen Medien von Zivilist:innen mehr und mehr genutzt, um Informationen, Updates und Foto- und Videomaterial aus Krisengebieten zu senden.
Das erschwert natürlich das Identifizieren einer Quelle, sorgt aber auch dafür, dass Einzelne in fragilen Staaten mit eventuell Zensurproblemen Gegenmaterial publizieren können. Das ist enorm wichtig. Dem Arabischen Frühling wird auch deshalb so ein großer (kurzfristiger) Erfolg nachgesagt: Menschen konnten sich vernetzen, sehen, wo andere Bewegungen und Zusammenkünfte zu finden sind. Ich mag keinen reinen Technodeterminismus, aber an dieser Stelle ist die große Wirkkraft des Systems Soziale Medien schwer zu leugnen.
Auch in den vergangenen Tagen werden auf unterschiedlichen Wegen Fotos und Videos aus der Ukraine geteilt. Der Schock über einen Krieg „mitten in Europa“ sitzt für viele tief (das sollte an anderer Stelle auch diskutiert werden) und sie teilen in ihren Instagram-Stories und im Twitter-Status Bilder aus dem Kriegsgebiet, um ihre Betroffenheit und Solidarität auszudrücken.
Auch wenn Bilder mit Menschen eine andere Wirkkraft haben als ohne, sollte auch in Krisenzeiten auf eine ethische Berichterstattung geachtet werden – ob von Laien fotografiert und geteilt oder von Professionellen.
- Menschen nach ihrem Einverständnis fragen. Wenn man Menschen in vulnerablen Situationen ablichtet – ob verletzt, auf der Straße sitzend und wartend, schreiend, weinend, hungernd – sollten sie darüber Bescheid wissen, dass ihr Foto geschossen wird. Anders herum möchte man selbst auch nicht in anderssprachigen Medien viral gehen, wenn man sich am verletzlichsten fühlt. Das ist eine grundlegende Frage des Respekts und der Menschenwürde.
- Keine Kinder. Kinder können ihr Einverständnis nicht geben. Auch Eltern werden sich selten wohl fühlen, wenn ihr leidendes Kind symbolisch für eine Schreckenssituation herhalten muss, wenn es hungrig ist oder verdreckt. Klar, Kinder bringen Klicks. Eine Alternative könnte sein, das Elternteil und das Kind von hinten zu fotografieren. Eines der bekanntesten Bilder der Welt ist so entstanden, wo Fotografin Dorothea Dorothea Lange die Hungersnot 1936 in den Vereinigten Staaten fotografiert hat. Sie hätte leicht das Kind und dessen große traurige Augen für ihre Zwecke ausbeuten können. Stattdessen wählt sie als das finale Bild eines, das das Kind an die Brust der Mutter gedrückt zeigt, mit dem Kopf von der Kamera abgewandt. Solche Bilder haben nicht weniger Kraft, nur weil sie weniger explizit sind.