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Gegen den Ausverkauf der Stadt mit dem Pa*radieschen Augsburg und dem Mietshäuser Syndikat Modell

Spätestens seit dem Erfolg des Volksentscheids Deutsche Wohnen und Co. enteignen haben viele wieder ein wenig Hoffnung: Es gibt – zumindest theoretisch – Möglichkeiten und Wege, als Einzelpersonen dem Ausverkauf der Stadt, den Spekulationen und steigenden Mieten etwas entgegenzusetzen. Über einen anderen Ansatz als Vergesellschaftungen haben wir nun mit Franziska vom Pa*radieschen Augsburg gesprochen, einem Hausprojekt nach dem Modell vom Mietshäuser Syndikat. In diesem Modell werden Häuser über eine Art Schwarmfinanzierung gekauft, die ermöglicht, dass das Haus nicht Vermieter:innen gehört, sondern immer denen, die gerade darin wohnen.

Das Pa*radieschen hat sich 2017 gegründet und besteht derzeit aus elf Erwachsenen und zwei Kindern. „Wir wollen nicht nur langfristig bezahlbaren Wohnraum, sondern auch einen offenen Begegnungsort schaffen, in dem gemeinschaftliches und solidarisches Zusammenleben möglich wird“, erklärt Franziska. Damit wollen wir zeigen „es geht auch anders“. Seit einem knappen Monat hat das Team nun eine Immobilie in Aussicht und arbeitet daran, Direktkredite zusammenzubekommen, um den Hauskauf möglich zu machen.

Liebe Franziska,kannst du den Augsburger Wohnungsmarkt kurz für uns einordnen?

In Augsburg sind in den letzten Jahren die Immobilien- und Mietpreise regelrecht explodiert. In den letzten 10 Jahren (2012-2022) sind die durchschnittlichen Mietpreise von etwa 7€/m² auf fast 12 €/m² gestiegen. Die Entwicklung der Boden- und Immobilienpreise ist noch extremer: Alleine im letzten Jahr sind die Kaufpreise für Wohnungen um etwa 15% gestiegen. Neben den allgemeinen Gründen für steigende Miet- und Kaufpreise wirkt sich in Augsburg vor allem die Nähe zu München aus, wo das Wohnen inzwischen nahezu unbezahlbar geworden ist. Von Augsburg lässt es sich entspannt nach München pendeln – und gleichzeitig von den vergleichsweise günstigeren Mieten profitieren. Auch als Geldanlage sind die Immobilien hier deshalb für vermögende Menschen interessant. 

Gleichzeitig wird Augsburg regelmäßig als die ärmste Stadt Bayerns bezeichnet. Hier treffen also zwei fatale Umstände aufeinander: Mit dem durchschnittlichen Einkommen in Augsburg wird es immer schwieriger, das Grundbedürfnis nach Wohnen, insbesondere in den attraktiven, innenstadtnahen Vierteln, zu decken. Diese Viertel werden „baulich aufgewertet“, die darin lebenden Menschen konsequent verdrängt.

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Wie kann das Pa*radieschen konkret etwas gegen diesen angespannten Wohnungsmarkt tun?   

Mit dem Pa*radieschen versuchen wir, ein Zeichen gegen diese Entwicklung zu setzen. Wir prangern die Umstände an und bauen gleichzeitig eine faire und vor allem dauerhafte Alternative dazu auf. Das Haus, das wir kaufen möchten, finanzieren wir in großen Teilen über niedrig verzinste Direktkredite von vielen, vielen Privatpersonen. Diese Kredite zählen bei der Bank als Eigenkapital und ermöglichen uns somit einen Bankkredit für die weitere Finanzierung. Über die Mieten werden dann sowohl Bank- als auch Direktkredite zurückgezahlt.

Das bedeutet im Umkehrschluss: Wer Geld hat, kann dieses bei uns „zwischenparken“ und so bezahlbaren, selbstverwalteten Wohnraum fördern. Wer kein Geld hat, hat trotzdem die Möglichkeit quasi „im Eigenbesitz“ und damit sicher und verhältnismäßig günstig zu wohnen. Wir fairteilen damit also Vermögen und (Haus-)Besitz. Und das schönste: Durch die Zusammenarbeit mit dem Mietshäuser Syndikat, einem deutschlandweiten Solidarverbund derartiger Wohnprojekte, stellen wir sicher, dass diese Nutzung des Hauses auch für immer beibehalten wird.

Ist kaufen nicht generell unsolidarisch? Immerhin „spielt ihr das Spiel mit“: ihr gebt einer Person, die Immobilien besitzt Geld und macht sie noch reicher.  

Durch den Kauf entziehen wir das Haus dauerhaft dem Immobilienmarkt und stellen somit sicher, dass es das letzte Mal war, dass Menschen durch den Verkauf von diesem Wohnraum profitiert haben. Außerdem schaffen wir Rahmenbedingungen für eine kleinteilige Umverteilung, indem vermögende Menschen ihr Geld einsetzen können, um anderen Menschen selbstverwalteten und günstigen Wohnraum zu ermöglichen. Durch unser kleines Projekt werden wir damit sicherlich weder den Augsburger Immobilienmarkt, noch die allgemeine gesellschaftliche Ungleichheit revolutionieren können. Aber die Hoffnung ist ja, dass es nicht das letzte derartige Projekt in Augsburg bleibt und immer mehr Häuser nach diesem oder einem anderen gemeinschaftlichen Modell dem Wohnungsmarkt entzogen werden. Spätestens dann würde ich sagen, spielen wir ein ganz anderes Spiel.

In dem gleichen Kontext: Sollten wir nicht alle eher unsere kollektive Energie für Vergesellschaftungen einsetzen und nicht dafür, dass einige wenige eine Immobilie besitzen können?  

Ich glaube, die zwei Ansätze schließen sich nicht aus. Ganz im Gegenteil: Durch kleinteilige Alternativen wie unser Projekt können wir zeigen, wie gemeinschaftliches Wohnen und Besitzen funktionieren kann. Damit verändern wir Denkmuster und die Grenzen dessen, was gemeinhin als „machbar“ oder „sagbar“ gilt – auch konkret hier in der Nachbarschaft oder in der Stadtpolitik. Daran können wir bei der Arbeit an einer kollektiven Vergesellschaftung anknüpfen. Wichtig ist natürlich, dass es nicht bei dem einen Projekt bleibt. Wir setzen uns deshalb auch beim Netzwerk „Augsburg für alle“ auf politischer Ebene für eine Veränderung ein. Außerdem möchten wir, sobald unser Projekt steht, anderen Projekten bei der Umsetzung unter die Arme greifen.

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Was unterscheidet euch und ein Mietshäuser Syndikat von einer Genossenschaft?   

In einer Genossenschaft müssen immer Genossenschaftsanteile gezahlt werden, um dann die Produkte – in diesem Fall Wohnraum – nutzen zu können. In einem Mietshäuser Syndikat trennen wir Vermögen und Nutzung strikt. Wer einen Direktkredit bei uns anlegt, hat kein Anrecht auf Wohnraum. Wer im Haus wohnt, muss kein Vermögen einlegen, sondern nur die monatliche Miete zahlen. Damit ist das Konzept noch niedrigschwelliger und zugänglicher für Menschen ohne oder mit geringem Vermögen.

Wie läuft das konkret mit Direktkrediten? Muss man in einem Mietshäuser Syndikat Eigenkapital mitbringen?

Direktkredite sind niedrig verzinste Darlehen, die uns Privatpersonen zur Verfügung stellen. Dieses Geld wird von manchen Banken als Eigenkapital angesehen, wodurch wir einen Bankkredit für die restliche Finanzierung beantragen können. Wir Menschen von Pa*radieschen müssen also kein weiteres persönliches Eigenkapital mitbringen. Über die Mieten werden dann sowohl der Bankkredit als auch die Direktkredite abbezahlt. Während wir für den Bankkredit gerade mit Zinsen von vier bis fünf Prozent rechnen müssen, sind die Direktkredite mit null bis einem Prozent verzinst. Diese Kredite sind also deutlich günstiger und ermöglichen somit niedrigere Mieten. Da niemand Profite mit der Miete macht, bleiben die Mieten außerdem dauerhaft auf dem gleichen Niveau.

Könnte man das Mietshäuser Syndikat Modell auch auf andere gesellschaftliche Bereiche übertragen?

Das Prinzip basiert auf dem Modell von dem Mietshäuser Syndikat, das schon vor etwa 30 Jahren in Freiburg entstanden ist. Inzwischen gibt es mehr als 180 andere Wohnprojekte in Deutschland, die sich erfolgreich darüber finanzieren. Es wurde auch schon auf den Erwerb und Schutz von landwirtschaftlichen Flächen übertragen, das sogenannte Ackersyndikat. Theoretisch ist es vermutlich auch möglich, es auf weitere gesellschaftliche Bereiche zu übertragen, solange durch monatliche Einnahmen sicher gewährleistet werden kann, dass die Kredite zurückgezahlt werden. Im Falle von Immobilien ist das Risiko ja sehr gering: Solange das Haus bewohnbar ist und Menschen Mieten zahlen, können die Kredite auch zurückgezahlt werden.

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Was habt ihr vor – für euch und die Community – wenn ihr eine Immobilie habt?   

Neben dem bezahlbaren Wohnraum ist uns vor allem eine lebendige Nachbarschaft wichtig. Deshalb fangen wir schon jetzt an, die Menschen um das Haus herum kennen zu lernen. Im Keller des Hauses sollen öffentliche Räume entstehen, die dann von allen Interessierten genutzt werden können. Wir denken da an ein Café oder einen Veranstaltungsraum, aber auch an eine offene Werkstatt, ein Verschenkeregal oder eine Lebensmittelkooperative. Bestenfalls sollte es in dem Haus nicht nur um eine andere Form des Wohnens gehen, sondern auch allgemein um andere Wege des Produzierens, Konsumierens und Zusammenleben. Diese Räume können dann auch von den Menschen aus dem Viertel mitgestaltet werden. Und natürlich geht es dann darum, weitere Wohnprojekte anzustoßen und im Aufbau zu unterstützen. Denn je mehr wir werden, desto größer ist unser Gegenentwurf zum jetzigen Immobilienmarkt.

Weitere Infos und Hintergründe zum Prinzip Mietshäuser Syndikat, zum aktuellen Stand des Immobilienkaufs und noch vielem mehr findet ihr auf der Seite des Pa*radieschens.

Fotos: Pa*radieschen Augsburg

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