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Anhaltend unterbetrachtet: Über die humanitäre Lage im Sudan

Im April 2023 eskalierte im Sudan der Konflikt zwischen den sudanesischen Streitkräften (SAF) und den Rapid Support Forces (RSF) zu einem Bürgerkrieg – einem der tödlichsten Kriege der Welt. Wir haben Fakten über die humanitäre Lage im Sudan zusammengetragen und das International Rescue Committee (IRC) zu ihr befragt. Dabei wollten wir auch wissen: Wie kann es sein, dass der Krieg, der die größte Migrationskrise der Welt zu verantworten hat, medial nicht wirklich stattfindet?

Flucht und Vertreibung

Weltweit sind derzeit 122 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Zerstörung und Vertreibung. 12 bis 14 Millionen von ihnen sind Vertriebene im Sudan, also bis zu 30 Prozent der Bevölkerung des Landes. Die Vereinten Nationen sprechen von vier Millionen Menschen, die es bisher geschafft haben, aus dem Sudan in Nachbarländer zu fliehen. Ziele sind der Tschad, die Zentralafrikanische Republik, Ägypten, Äthiopien und der Südsudan.

Die meisten derjenigen, die jetzt aus dem Sudan in den Südsudan flüchten, kamen während des Bürgerkriegs im Südsudan zwischen 2013 und 2018 überhaupt erst in den Sudan. „Über 800.000 südsudanesische Staatsangehörige sind in ihr Herkunftsland zurückgekehrt“, erklärt uns Richard Orengo, IRC-Landesdirektor für Südsudan. Dabei sind diese Zahlen mäßig verlässlich, „da einige der Rückkehrenden wieder in den Sudan zurückgegangen sind“. Wohl deshalb, weil der Südsudan kaum eine Infrastruktur für die geflüchteten Menschen bereitstellen kann. Die Menschen „konzentrieren sich in Grenztransitzonen oder neu entstehende Integrationszentren. Eine vollständige Wiedereingliederung in ihre Gemeinschaften ist nach wie vor nur begrenzt möglich, solange sich die Sicherheitslage, die Kapazitäten und der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen nicht verbessern“, so Richard Orengo. Denn auch im Südsudan sind 75 Prozent der Menschen auf grundlegende humanitäre Hilfe angewiesen. Viele der Menschen, die nun aus dem Sudan in Richtung Süden flüchten, haben diese Traumata also bereits früher erlebt.

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Hunger und ausbleibende medizinische Versorgung: Die humanitäre Lage im Sudan ist katastophal

Für die im Sudan verbleibenden Menschen ist die humanitäre Situation zu großen Teilen prekär bis katastrophal. Die zivile Infrastruktur wie Krankenhäuser und Märkte werden durch den Krieg immer weiter zerstört. Und gleichzeitig wird auch die Grundversorgung wie die Strom-, Wasser- und Gesundheitsinfrastruktur angegriffen. Richard Orengo vom IRC berichtet: „Die humanitäre Lage im Sudan, insbesondere in Darfur, ist katastrophal und verschlechtert sich täglich. Millionen Zivilist:innen sind in einem Kreislauf aus Gewalt, Vertreibung und Hunger gefangen. Ganze Gemeinschaften wurden entwurzelt, und es wird über Gräueltaten wie ethnisch motivierte Übergriffe und geschlechtsspezifische Gewalt berichtet. In vielen Gebieten gibt es fast keinen Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser und medizinischer Versorgung. Dies ist nicht nur eine regionale Krise, sondern eine humanitäre Krise, die dringende globale Solidarität erfordert“. Derzeit sind „mindestens 18 Millionen Menschen – mehr als 37 Prozent der Bevölkerung – von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen“, schreibt das IRC weiter.

Fehlende globale Allianzen, globale Berichterstattung und globale Spenden?

Um ausreichende Unterstützung für die Zivilbevölkerung vor Ort zu gewährleisten, braucht es dringend Gelder für humanitäre Infrastruktur. Derzeit liegt die finanzielle Unterversorgung für das laufende Jahr aber bei 77 Prozent. Somit kann nicht einmal ein Viertel der grundlegendsten Bedürfnisse der Menschen gedeckt werden. Ein Grund dafür ist das Wegbrechen großer Teile der US-amerikanischen finanziellen Unterstützung. Aber auch die internationale Aufmerksamkeit für den Krieg, um Spenden zu motivieren und Druck zu erhöhen, bleibt aus. Dafür sieht Richard Orengo vom IRC mehrere Gründe, zusammengefasst als „eine Mischung aus geopolitischen Interessen, Mediendynamik und narrativem Framings“. Insbesondere Konflikte in Afrika wären, wenn sie keine globalen Konsequenzen hätten, häufig unterbetrachtet.

Konkret heißt das: „Konflikte in Regionen mit starken strategischen, wirtschaftlichen oder sicherheitspolitischen Interessen für Großmächte (z. B. Europa, Naher Osten) dominieren tendenziell die weltweiten Schlagzeilen“. Der Sudan verfüge nicht über die „gleichen globalen wirtschaftlichen Einflüsse oder dieselben militärischen Allianzen“ wie in anderen aktuellen Kriegen zu beobachten ist.

Komplexität, Fragmentierung und fehlende Zugänge

Gleichzeitig ist der Krieg medial schwieriger erklärbar als andere. „Am sudanesischen Krieg sind mehrere Akteure beteiligt: die sudanesischen Streitkräfte (SAF), die Rapid Support Forces (RSF), Stammesmilizen und ausländische Einflüsse“, so Orengo. International werden die SAF von Ägypten, der Türkei, Russland und dem Iran unterstützt. Die RSF – Expert:innen zufolge – von den Vereinigten Arabischen Emiraten (die die Waffenlieferungen entgegen internationaler Beobachtungen jedoch weiter dementieren). „Diese Komplexität macht es für Medien und politische Entscheidungstragende schwieriger, den Konflikt in einfachen Begriffen zu beschreiben (zum Beispiel „Aggressor vs. Opfer“)“, erklärt Orengo. Eine einfache Beschreibung, die in dem Fall eben nicht gegeben ist, hilft Rezipierenden, sich solidarisch auf eine Seite zu stellen und für diese einzustehen und potentiell zu spenden.

Andere Gründe für ausbleibende Berichterstattung und Spenden sieht Orengo bei einem begrenzenten Zugang für Journalist:innen, insbesondere in Darfur im südwestlichen Sudan, der Bilderaufnahmen und Berichterstattung behindert. Weiterhin erklärt Orengo, dass der Sudan „seit Jahrzehnten von Instabilität geprägt [ist], sodass internationale Akteure ihn manchmal eher als „chronische Krise“ denn als dringenden Notfall wahrnehmen“.

Die humanitäre Lage im Sudan erfordert dringende politische Intervention

Helena Lüer, Advocacy-Referentin mit Schwerpunkt Sudan beim IRC Deutschland, fordert deshalb: „Die internationale Gemeinschaft muss jetzt handeln, um Zivilist:innen zu schützen, Menschen die sichere Flucht aus den aktiven Kampfhandlungen zu ermöglichen und humanitären Zugang sicherzustellen. Auch die Bundesregierung steht in der Verantwortung, Druck auf die Konfliktparteien und ihre Unterstützer auszuüben – und die Mittel für humanitäre Hilfe deutlich zu erhöhen: flexibel, schnell und direkt für lokale Helfende.“

Für 2025 hat Deutschland den Haushaltsposten für humanitäre Hilfe im Vergleich zum Vorjahr halbiert. Voraussichtlich Ende November wird der Bundestag über den Haushalt für 2026 Jahr abstimmen. Es ist unwahrscheinlich, aber dennoch dringend wünschenswert, dass die Gelder für Humanitäre Hilfe wieder angehoben werden. Schließlich geht es um lebensrettende Hilfe – auch und insbesondere für die Menschen im Sudan.

Titelfoto: Aus dem Sudan ankommende Menschen am Flughafen Wau im Südsudan, Oktober 2023

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