Wer das KATAPULT Magazin und seinen Geschäftsführer Benjamin Fredrich kennt, weiß, dass sie nicht nur Medien machen, sondern auch politisch aktiv sind. Beim Playboy ist das eher nicht der Fall. Doch das scheint sich jetzt zu ändern. KATAPULT hat KATAPULT Thüringen gegründet, um im Bundesland gegen den Rechtsruck vorzugehen – und ist dabei eine überraschende Kooperation mit dem Playboy eingegangen. Was steckt hinter dieser ungewöhnlichen Allianz – und wer ist KATAPULT Thüringen?
Die Mittagshitze drückt auf den Bahnhofsvorplatz in Erfurt. Auf den ersten Blick wirkt alles unscheinbar. Dass man sich in einer Hochburg der AfD befindet, fällt nicht sofort ins Auge. Um Punkt 16 Uhr rollt ein Transporter auf den Platz. Die Türen öffnen sich, und KATAPULT-Fahnen werden aufgestellt. Schnell bildet sich eine Schlange vor dem Auto. Benjamin Fredrich, Geschäftsführer von KATAPULT, tritt vor die Menge und ruft: „Wir verteilen jetzt die Zeitungen. Es wäre großartig, wenn diejenigen, die es nicht eilig haben, bis zum Ende bleiben könnten, damit wir noch ein gemeinsames Foto machen können. Vielen Dank, dass ihr so zahlreich erschienen seid.“ Kurz darauf beginnt er, Beutel mit dem Thüringer Löwen, der an einem Eis – dem KATAPULT Logo – schleckt, an die Wartenden zu verteilen. Darin die Erstausgabe von KATAPULT Thüringen.
Rechtsruck in Thüringen – was macht das KATAPULT Magazin hier?
KATAPULT nun auch in Thüringen – das ist eine Premiere. Bisher war das Magazin ausschließlich in Greifswald, Mecklenburg-Vorpommern, beheimatet. „Manchmal fragen wir uns selbst, wie wir hier gelandet sind“, sagt Benjamin schmunzelnd. „Die Idee entstand aus der Frage vieler Menschen: Was können wir gegen den Rechtsruck tun? Ich habe oft auf Bühnen gesagt: ‚Weitermachen! Engagiert euch in Parteien und demokratischen Organisationen, geht demonstrieren!‘ Doch trotz aller Bemühungen stiegen die Prozente für die AfD weiter. Das Gefühl der Ohnmacht ist allgegenwärtig.“
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Das Erstarken rechter Parteien ist in ganz Deutschland zu beobachten, in Thüringen ist die Lage jedoch besonders brisant. Die hiesige AfD wird vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft. Ihr Vorsitzender Björn Höcke als Rechtsextremist. KATAPULT schreibt dazu: „Es geht hier nicht darum, ob die AfD ein paar Kontakte zur rechtsextremen Szene pflegt. Nein. Die AfD Thüringen IST die rechtsextreme Szene!“
Nichtdestotrotz hält dies viele Menschen nicht davon ab, diese Partei zu wählen – nach großen Erfolgen in Sachsen und Thüringen nun wahrscheinlich auch bei den Landtagswahlen in Brandenburg: Nach einem leichten Abwärtstrend infolge der Correctiv-Recherche im Januar erholt sich die Partei langsam wieder. Koalitionsbildungen ohne die AfD werden zunehmend schwierig bis unmöglich.
Mit einer aufklärerischen Karten-Zeitung gegen den Rechtsruck
Eine bedrohliche Entwicklung. KATAPULT kann und will nicht wegsehen. Die Macher*innen beschließen, die betreffenden Bundesländer vor der Wahl mit einer aufklärerischen Karten-Zeitung zu fluten. Benjamin sagt dazu: „Es gibt Parteien, die unsere Demokratie, unsere Kultur und unser freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen wollen. Die Beispiele aus Ungarn und Polen zeigen, wie real diese Gefahr ist.“
Er ist überzeugt, dass sie mit ihrer Zeitschrift etwas bewirken können: „Im letzten halben Jahr sind die Prozentpunkt der AfD für einige Zeit um 4-6 Prozent gesunken. Das hängt möglicherweise mit den vielen Skandalen zusammen: Zu viele russische Spione, intransparente Geldflüsse und Menschenfeindlichkeit. Das zeigt, guter Journalismus kann etwas bewirken. Daher unsere Idee: Wir gründen aufklärerische Zeitungen für Thüringen, Sachsen und Brandenburg, Länder in denen die Landtagswahlen anstehen.“
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Die Skandale um die AfD sind jedoch bereits publik. Wie will KATAPULT die Menschen überzeugen, die dennoch bereit sind, die AfD zu wählen wollen, dies nicht zu tun? „Wir haben uns bewusst dafür entschieden, dass es keine radikale Zeitung wird und versuchen, aus unserer bereits sehr sozialen und nachhaltigen Bubble herauszukommen,“ so Benjamin. „Wir stellen nüchtern dar, was der Verfassungsschutz und Experten über die AfD sagen.“
Für einige Menschen ist es aber tatsächlich der Spritpreis, der wahlentscheidend ist. „Wir haben also auch das thematisiert. Aber wir berichten zum Beispiel auch darüber, was mit unseren Krankenhäusern passiert, wenn man alle „Ausländer*innen“ „remigriert“ werden, wie es die AfD beschreibt. Fast alle Kliniken haben uns zurückgemeldet, dass sie dann den Betrieb einstellen müssten.“ (Anm. d. Redaktion: Den problematischen Begriff der Remigration machen sich Rechte Akteure als Euphemismus für die Forderung Massenhafter Ausweisung von Menschen mit Migrationshintergrund zu nutze.)
KATAPULT Thüringen will mit diesen Inhalten vor allem Menschen erreichen, die in ihrer Wahlentscheidung schwanken. Menschen, die zum Beispiel schmerzhafte Erfahrungen aus der Wendezeiten mitgenommen haben. Solche kennt Benjamin von seinen Eltern, seine Familie kommt aus Mecklenburg-Vorpommern. „In die falsche Richtung sind sie trotzdem nicht abgedriftet.“ Außerdem geht es um jene, die denken, sie könnten die AfD aus Spaß oder Protest wählen. „Im Sinne: Mal schauen, was dann passiert. Wir wollen zeigen, dass dieses: ‚Mal schauen, was dann passiert‘ eine ganz schlechte Idee ist,“ erläutert Benjamin.
Eine große Frage ist doch auch: Wie kann man Nichtwähler*innen erreichen?
Mit einem Auto tourt das Team um Benjamin deswegen nicht nur durch Thüringen, sondern auch Sachsen und Brandenburg, die sie mit einem Augenzwinkern SACH-THÜR-BRAND-Tournee nennen. Sie stoppen in Groß- und Kleinstädten, um die Zeitungen an Unterstützer*innen und Multiplikator*innen zu verteilen. „Es ist schön, auf der Tour unsere große Community zu sehen“, freut sich Benjamin. Auf Instagram und ihrer Website hat KATAPULT zum eine um Spenden zur Finanzierung der Auflagen gebeten, als auch auf der Tour vorbei zu kommen um die Zeitungen zu verteilen. Eingeladen sind alle. Ziel ist, dass die Zeitung bis in die ländlichen Regionen vordringt. Und das scheint zu klappen. „Viele, die hier stehen und uns helfen, sind nicht aus Erfurt, sondern aus den umliegenden Dörfern. Sie legen die Zeitung im Sportverein, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder beim Hausarzt aus. So können wir etwas verändern“, ist sich Benjamin sicher.
Robin aus Erfurt, langjähriger KATAPULT-Abonnent, ist einer von ihnen. Er war sofort begeistert, als er auf Instagram von der Verteilaktion in seiner Stadt erfuhr. „Ich habe mir schon überlegt, wie ich meine 30 Exemplare verteilen werde. Am Wochenende, wenn ich einen Ausflug mache, werde ich die Zeitung beim Bäcker im Dorf auslegen. Gerade im ländlichen Raum haben seit dem Wendeumbruch viele das Gefühl, immer mehr zu verlieren. Da zieht der Populismus der AfD. Deswegen ist es besonders wichtig zu zeigen, dass sich mit der AfD nichts bessern wird.“
Das Gemeinschaftsprojekt „Aufklärerische Karten-Zeitung“ ist in allen drei Bundesländern im vollen Gange und im städtischen Raum ein großer Erfolg. Mit einem Augenzwinkern berichtet Benjamin: „In Sachsen mussten wir schon drei Termine verschieben, weil wir so schlau waren, Leipzig und Dresden zuerst zu besuchen. Die haben uns komplett ausgeraubt. 100.000 Exemplare sind bereits weg, und wir drucken gerade 300.000 nach.“ Obwohl es beim CSD in Bautzen und Leipzig zu Ausschreitungen von rechts kam, blieb es bei der KATAPULT-Tour ruhig. „Wir sind überrascht, dass bisher nichts passiert ist. Unsere größte Sicherheit ist die Öffentlichkeit an den Verteilplätzen. Nachdem jemand auf social media kommentierte, dass wir uns nicht in kleine Städte trauen würden, haben wir unsere Route erweitert. Doch auch da – alles blieb friedlich. Bisher haben wir nur Unterstützung erfahren“.
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Besondere Unterstützung gibt es mittlerweile auch vom Playboy. „Die haben unser Editorial gelesen und sich bei uns gemeldet“, erzählt Benjamin. „Nicht politisch zu sein, war ihre Blattlinie, was ich bei der Zielgruppe auch verstehe.“ Laut Benjamin ist die politische Lage mittlerweile so angespannt, dass der Playboy Stellung beziehen möchte. Über ein Quiz auf Instagram, bei dem Länderumrisse verzerrt dargestellt wurden, hat Playboy pro richtigem Kommentar die Auflagen finanziell unterstützt und legt außerdem die Auflage ihren Heften bei. „Uns haben Mails erreicht, die sagen, das könne man doch nicht machen – bei dem Frauenbild, welches der Playboy darstellt. Das kann man so sehen. Aber ich sehe eher, wen wir damit erreichen. Genau die Menschen, die sonst nicht in unserer Bubble sind. Der Playboy hat ein anderes, ein gemischtes Publikum. Im Prinzip ist das das Beste, was uns passieren konnte.“
Ein Kampf um Köpfe und Herzen: Der Weg geht weiter
Auch in Erfurt auf dem Bahnhofsplatz ist nach 20 Minuten der Bus leer, vereinzelt tauschen sich Menschen noch zur Aktion aus. „Es fühlt sich ein bisschen an wie damals – bei der sogenannten Flüchtlingswelle,“ erinnert sich Robin. „Damals hat man Kleidung und Alltagsgegenstände zusammen gesucht und ist mit Gleichgesinnten zu den Sammelstellen gegangen. Man hat einfach Menschlichkeit erlebt und etwas für die richtige Sache getan.“
Noch immer kommen vereinzelt Personen, in der Hoffnung, noch ein Exemplar zu ergattern. Auch die Polizei schaut vorbei, als sie bemerken, dass das ausgeben der Zeitungen nicht angemeldet ist. Benjamin zwinkert: „Wir haben etwas Illegales gemacht, damit die Polizei kommt – denn die ist eigentlich unsere Zielgruppe. Jetzt müssen wir aber zusammenpacken“.
Während der Transporter seine Türen schließt und weiterfährt, bleibt eines klar: Diese Aktion ist nur ein kleiner Teil eines größeren Kampfes – um die Köpfe und Herzen der Menschen in Thüringen und darüber hinaus. Der Einsatz gegen den Rechtsruck ist langfristig. Auf der Rückseite der Zeitung ist der mögliche weitere Plan für KATAPULT Thüringen. Benjamin erklärt „Diese Aktion ist einmalig. Wir wollen aktuell auch noch nicht in ein Abo-Modell abdriften, wie es nötig wäre, um eine Redaktion für KATAPULT Thüringen aufzubauen. Erst einmal geht es darum, wachzurütteln.“ In Sachsen wird aber sogar bereits nach Journalist*innen für die Fortsetzung gesucht.
Der Bus fährt weiter – in die nächste Stadt. Was bleibt, sind nicht nur die aufklärerischen Zeitungen, sondern auch das Gefühl: Wir müssen weiter reden, schreiben, aufklären– genau dort, wo es am meisten drückt. In der Provinz von Thüringen, Sachsen und Brandenburg.
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